In Barcelona war noch Hochsommer (hier ja auch, aber da war es noch ein wenig wärmer, mit Tagestemperaturen so um die 30 Grad). Entsprechend habe ich auf eine Krawatte verzichtet, meist auch kein Jackett getragen (außer in den ganz eisig klimatisierten Räumen) und hatte auch ein paar bequeme Schuhe an, weil ich viel zu Fuß unterwegs war. So sehr kommt es ja auf die Kleidung auch nicht an, oder?
Dann fielen mir aber zwei Dinge auf (die zusammengenommen dieses Beispiel zu Nummer 2 und 2,5 machen, weil sie eng zusammenhängen): Zum einen stellte ich fest, dass diejenigen Konferenzteilnehmer, die nach Hautfarbe und Namen zu urteilen aus Indien und aus arabischen Ländern stammten, alle besonders gut gekleidet waren: Immer im Anzug, immer mit Krawatte, immer mit passenden Schuhen dazu. Und dann sah ich, wie eine der deutschen Teilnehmerinnen nach der letzten Session eines Tages ihre Schuhe gegen einen Satz bequemere tauschte. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken “Gut, dass ich mir den Stress mit Kleidung und Schuhen nicht mache.”
Wieder Autsch! Ich muss mir diesen Stress auch nicht machen. Immerhin gehöre ich letztlich auch zur Gruppe der “alten weißen Männer” (naja, soo alt noch nicht). Die Wahrscheinlichkeit, dass man mir ein leichtes Abweichen von Kleidernormen nachsieht, ist wesentlich höher als bei einer Frau oder bei jemandem mit dunkler Hautfarbe.
Und klar, auch hier kann man einwenden, dass ich vielleicht einem confirmation bias unterliege (weil mir die anders gekleideten Personen dunklerer Hautfarbe nicht so stark auffielen und weil nicht alle Frauen sich solche Mühe gemacht haben) oder dass es eine Ausprägung der jeweiligen Kultur ist, die dazu führt, dass andere die Kleidervorschriften weniger locker nehmen als ich. Auf der anderen Seite ist aber zumindest kaum zu bestreiten, dass es für eine Frau wesentlich schwerer ist, bequeme Schuhe zu einem business outfit zu finden als für einen Mann. Und wie gesagt – es geht hier um Anekdoten, die meine (Nicht-)Wahrnehmung von Privilegien illustrieren sollen, nicht um einen Beweis für die Existenz von Privilegien.
Tja, beides sehr harmlose und alltägliche Beispiele – habe ich ja vorher gesagt. Aber gerade das macht sie – so trivial sie einerseits auch sind – auch interessant: Privilegien ziehen sich durch unsere Gesellschaft,und zwar in einer Weise, dass wir es meist nicht einmal merken (vor zwei Jahren ist mir bei derselben Konferenz weder das Kleidungsproblem noch die tatsache, dass alle plenary speakers männlich waren, besonders aufgefallen). Für jeden Fall, den man bemerkt, gibt es vermutlich 10 oder 100 andere, die einem nicht auffallen (und bei denen man möglicherweise andere Leute direkt beeinträchtigt).
Noch ein wichtiger Hinweis: Jeder (und jede) ist in einiger Hinsicht privilegiert, in anderer aber nicht. Auch die transsexuelle verarmte schwarze Frau im Rollstuhl hat vielleicht ein Privileg auf Grund ihrer hohen Intelligenz oder Bildung, auch jemand wie ich ist vielleicht auf Grund des Aussehens (ich bin halt kein George Clooney) oder der Tatsache, dass ich dann doch keine Millionen auf dem Konto habe, gegenüber anderen unterprivilegiert. (Nein, ich sage das nicht, um rumzuheulen oder meine unbewusstes Einsetzen meiner Privilegien abzuschwächen, sondern um Klarheit zu schaffen – Privilegiertsein ist kein eindimensionales Kriterium. Aber ihr merkt schon, dass es mir nicht so leicht fällt, Aspekte zu finden, bei denen ich nicht privilegiert bin) Und natürlich kann auch bei männlichen Konferenzteilnehmern die Kleidung durchaus negativ auffallen (ich habe mal ne hellblaue Trainingsjacke mit Krawatte gesehen, grusel…). Als Angehöriger einer privilegierten Gruppe hat man es nur etwas leichter als andere.
Zum Abschluss noch ein paar Links zum weiterlesen:
Dass man es als Privilegierter leichter hat, erklärt sehr schön dieser Text. Hier eine weitere fast noch schönere Erklärung, was ein Privileg ist.
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