Krokodile sind ja – so die landläufige Meinung – ziemlich langweilig. Sie folgen dem Prinzip “viel Panzer, wenig Hirn”, liegen im wesentlichen den ganzen Tag am Ufer oder schwimmen im Wasser und hoffen, dass jemand (Gnu, Fisch oder was sonst ins Beuteschema passt) sie für einen Baumstamm hält und ihnen zu nahe kommt. Mehr kann man von ihnen nicht erwarten – oder doch?
Generell gelten Krokodile ja als Überbleibsel aus der Dino-Zeit und werden gern als die nächsten lebenden Verwandten der Dinosaurier bezeichnet. (Insbesondere in älteren Büchern – inzwischen wissen wir ja, dass Vögel evolutionär zu den Dinos zählen.) Aber natürlich haben sich auch die Krokodile seit der Dino-Zeit weiterentwickelt, auch wenn einige fossile Arten den heutigen schon ähnlich sind. Und das, was heute an Krokodilen herumläuft und -schwimmt, ist tatsächlich nur ein Überbleibsel eines viel größeren Artenreichtums – viele urzeitliche Krokodile waren reine Landbewohner, andere dagegen lebten komplett im Meer. (Einen schönen Überblick gibt es – na klar – bei TetZoo (einem der besten Wissenschaftsblogs überhaupt), wo ihr auch etwas über Meereskrokodile findet.)
Aber auch heute lebende Krokodile haben einiges zu bieten. Über Krokodillungen habe ich ja schon mal geschrieben, und auch das Herz von Krokodilen ist ziemlich komplex. (In meinen alten Büchern steht oft noch, dass Krokodile “auf dem Weg” zu einem echten 4-Kammer-Herz sind, aber tatsächlich ist es wohl eher so, dass ihr Herz sich an die semi-aquatische Lebensweise angepasst hat und es den Krokodilen ermöglicht, den Blutfluss genauer zu steuern. Ein bisschen was dfazu findet ihr bei Wikipedia.) Aber Krokodile haben noch mehr drauf. Vladimir Dinets, ein russischstämmiger Forscher, der jetzt in den USA lebt, hat mehrere paper über das erstaunliche Verhalten von Krokodilen geschrieben (ein weiteres zum Thema “kooperatives Jagen” ist noch nicht erschienen).
Krokodile jagen an Land
Das klassische Bild des Krokodils ist ja das eines Lauerjägers, der im flachen Wasser herumliegt und sich an unachtsame Beute heranpirscht (falls man beim Schwimmen “pirschen” kann…). Aber Krokodile können auch an Land jagen. Insbesondere nachts halten Krokodile sich gelegentlich in der Nähe von Wegen oder Straßen auf und können dann auch vorbeilaufende Tiere anfallen. Messungen der Temperatur zeigten, dass die Krokodile sich nicht auf oder an den Wegen aufhielten, weil es dort besonders warm war und sie sich nachts aufwärmen wollten. Wie häufig sich Krokodile tatsächlich nachts an Land aufhalten, um dort zu jagen, ist unklar, aber selten scheint das Verhalten nicht zu sein. Allerdings sind es nur große Krokodile (mit Körperlängen von mehr als 2 Metern), die beim nächtlichen Lauern an Land beobachtet wurden; vermutlich weil kleinere Krokodile selbst Gefahr laufen würden, im Magen eines Raubtieres zu enden. Angriffe von Krokodilen auf Menschen können auch in solchen Situationen stattfinden – in der Arbeit wird von zwei solchen Fällen berichtet.
Krokodile auf Bäumen
Ja, ihr habt richtig gelesen – in einem kürzlich veröffentlichten paper geht es um Krokodile, die auf Bäumen herumklettern. Zugegebenermaßen solltet ihr euch jetzt kein Nilkrokodil vorstellen, das wie ein Eichhörnchen zwischen den Ästen herumturnt oder wie ein Gibbon von Ast zu Ast schwingt. Aber Krokodile können nicht nur so tun, als ob sie Baumstämme wären, wie im Abenteuerfilm, sondern sie können auch zumindest auf Baumstämmen herumliegen und -klettern.
Insbesondere Jungtiere können sogar erstaunlich gut klettern – in Mangrovenwäldern kann man sie auf Bäumen in bis zu 10 Metern Höhe finden. Dabei laufen sie nicht nur auf den Ästen herum, sondern klettern wirklich: sie können sich seitlich mit ihren Krallen an senkrecht stehenden Ästen festhalten oder auch von einem Ast zum nächsten kommen, wie auf einer Treppe.
Aber auch größere Krokodile klettern gern auf Baumstämmen herum. Zwei schöne Bilder dazu findet ihr hier bei Reuters, die binde ich hier lieber nicht direkt ein, weil ich bei den Bildrechten hier gar nicht durchblicke….
Richtig klettern wie die Jungtiere tun große Krokodile allerdings nicht – sie beschränken sich auf Baumstämme, die einigermaßen schräg wachsen und auf die sie so einfach hinauflaufen können. Trotzdem findet man auch große Krokodile dabei durchaus in einer Höhe von 2 Metern über dem Boden (oder, häufiger, dem Wasser).
Es gibt zwei Gründe, warum Krokodile auf Bäume klettern: zum einen tun sie es besonders in solchen Gegenden (wie eben Mangrovenwäldern), wo es auf dem Boden wenige gute Plätze zum Sonnenbaden gibt. Allerdings findet man Krokodile auch nachts auf Bäumen – dabei geht es dann wohl eher darum, ihr Territorium aus erhöhter Position gut überwachen zu können. Ein weiterer Grund, der auch bei nächtlichen Landausflügen eine Rolle spielen kann, ist, dass Krokodile ihre Schuppenhaut auch gelegentlich trocknen müssen, weil sie sonst von Parasiten befallen werden und auch Algen auf ihnen wachsen können. In einigen der Internetartikel zum Thema stand gelegentlich, dass man sich also beim Klettern auf Bäumen vorsehen muss, um nicht von einem Krokodil überrascht zu werden – aber dass baumkletternde Krokodile (insbesondere größere) tatsächlich Beute angreifen, ist nicht bekannt und es ist wohl auch eher unwahrscheinlich, weil die Verletzungsgefahr zu groß wäre.
Dass man Krokodile auch auf Bäumen finden kann, hat auch eine direkte Konsequenz für die Paläontologie: Allein von der Anatomie her würde man diese Fähigkeit ja eher nicht erwarten, was zeigt, dass die Rückschlüsse, die man aus fossilen Knochen ziehen kann, eben doch begrenzt sind.
Krokodile benutzen Werkzeuge
Dass Krokodile auch Werkzeuge benutzen können, ist vermutlich eine noch größere Überraschung. Aber ehe ihr euch jetzt Krokodile vorstellt, die mit ihren Schwänzen als baseballschläger Steine auf ahnungslose Opfer schießen oder die mit ihren Klauen Lianen-Netze knüpfen (das wäre dann sogar Werkzeugherstellung), muss ich die Euphorie etwas dämpfen: Von Werkzeugen kann man hier nur im weitesten Sinn sprechen – das beobachtete Verhalten ist aber trotzdem faszinierend.
Laut Wikipedia stammt die Definition des Begriffs “Werkzeuggebrauch” von Jane Goodall. Danach verwendet ein Tier ein Werkzeug, wenn es ein Objekt verwendet, das nicht zum Körper gehört, um damit ein Ziel zu erreichen und die Funktionen des eigenen Körpers zu erweitern. (Jane Goodall wurde ja für ihre Schimpansenbeobachtungen berühmt, bei denen sie auch die Verwendung und dann sogar die Herstellung von Werkzeugen bei Schimpansen beobachtete. Ihr Buch “Wilde Schimpansen” habe ich als Teenager vermutlich so etwa 20 Mal gelesen – beim Wiederlesen vor ein paar Jahren fand ich es immer noch genau so faszinierend.)
Was tun also die Krokodile, um ihre Körperfunktionen zu erweitern? Die Werkzeuge, die sie verwenden, sind Stöcke, und sie legen sich diese auf ihre Schnauzen, um im Wasser besser getarnt zu sein:
Aus Dinets, Brueggen&Brueggen, s.u.
Beobachtet wurde dieses Verhalten zumindest anekdotisch bei Sumpfkrokodilen und – in einer längeren und systematischen Beobachtung – bei Alligatoren. Die Alligatoren legten sich die Stöcke nur während der Brutzeit der Reiher und Löffler auf ihre Schnauzen – also genau zu der Zeit, wo diese Vögel aktiv nach Stöcken suchen, um ihre Nester zu bauen. Die Stöcke dienen also den Krokodilen als Köder, um die Vögel anzulocken, und hatten damit auch tatsächlich Erfolg.
Krokodile können also tatsächlich Werkzeuge als Köder benutzen. Welcher Mechanismus dahinter steckt – woher die Tiere also wissen, dass sie mit Stöcken auf der Schnauze mehr Beute machen – ist allerdings noch vollkommen unklar. Hat es ein Krokodil durch Zufall entdeckt und andere haben es sich abgeguckt? Sind Krokodile schlau genug, um das Verhalten von Vögeln zu beobachten und daraus abzuleiten, dass es klug ist, sich Stöcke auf die Schnauze zu legen? Oder ist das Verhalten genetisch verankert? Wie so oft, wirft eine neue Entdeckung gleich wieder neue Fragen auf.
V. Dinets,
On terrestrial hunting by crocodilians
Herpetological Bulletin [2010] – Number 114, p. 15
V. Dinets , J.C. Brueggen & J.D. Brueggen
Crocodilians use tools for hunting
Ethology Ecology & Evolution, DOI:10.1080/03949370.2013.858276
Vladimir Dinets, Adam Britton and Matthew Shirley
Climbing behaviour in extant crocodilians
Herpetology Notes, volume 7: 3-7 (2013)
Weitere Infos auch auf der Homepage von Vladimir Dinets
Und natürlich hat auch Darren Naish auf seinem Blog (wesentlich kompetenter als ich) über die Werkzeugbenutzung geschrieben.
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