Soweit die übliche Erklärung. Sobald man aber etwas darüber nachdenkt und ein paar Grundlagen der Quantenmechanik (QM) berücksichtigt, lässt sie einen ratlos zurück: Die QM sagt uns, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Elektronen in einem System, das sich im energetisch günstigsten Zustand befindet, zeitlich unveränderlich ist. Das ist eine Form der berühmten Unschärfe-Relation, nach der es eine (allerdings gern missverstandene) Energie-Zeit-Unschärfe gibt. Ist die Energie genau bestimmt (und das ist sie im Zustand minimaler Energie), dann ist die “Zeitunschärfe” unendlich, oder anders gesagt, der Zustand kann sich mit der Zeit nicht ändern. Ein System mit minimaler Energie ist also absolut stationär, da sich die Wahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu finden, zeitlich nicht ändern.
Tja, wenn das aber so ist, dann passt die anschauliche Erklärung der vdW-Wewi nicht mehr so richtig gut, oder? Auch wenn man da natürlich annimmt, dass das System im zeitlichen Mittel stabil ist, braucht man ja doch die momentane Ladungsverteilung, damit die Kraft entsteht. (Ich hoffe, hier ist niemand verwirrt, weil ich mal über Kräfte und mal über Energien rede: Wenn zwei Objekte sich mit einer Kraft anziehen, dann verringert sich ihre Energie, wenn sie sich näherkommen. Deswegen kann man über Wechselwirkungs-Energien oder über Kräfte reden, je nachdem, was gerade passt. Nachher werden wir deshalb die Energie angucken, wenn die beiden Atome, die wir binden wollen, einen bestimmten Abstand haben – wenn diese Energie kleiner wird, wenn wir den Abstand verringern, dann ist die Kraft anziehend.) Und ohne diese momentane Ladungsverteilung klappt die Erklärung mit der vdW-Kraft leider nicht. Entweder der Zustand ist stationär, dann ist aber die Ladungsverteilung symmetrisch und es gibt kein momentanes Ungleichgewicht, oder er ist eben nicht stationär – aber dann ist es kein stabiler gebundener Zustand (und das sollte er sein, wenn zwei Atome oder Moleküle aneinander gebunden sind).
Um zu sehen, was hier tatsächlich passiert, basteln wir uns ein einfaches Modell (das ich diesem Artikel entnommen habe), zunächst mal für ein einzelnes Atom. Wir nehmen an, dass das Atom ein einzelnes Elektron hat, das an den Atomkern gebunden ist und das für die vdW-Wewi verantwortlich ist. (Das Atom muss also nicht unbedingt ein Wasserstoff-Atom sein, wir betrachten der Einfachheit halber eben nur eins der Elektronen.) Um die Sache noch weiter zu vereinfachen, nehmen wir außerdem an, dass die Welt eindimensional ist, unser Elektron kann sich also irgendwo entlang einer Linie aufhalten, aber sonst nichts.
Als letztes nehmen wir noch an, dass die Wechselwirkung zwischen Elektron und Atomkern nicht die normale elektrostatische Anziehung ist, sondern dass wir sie über ein sehr einfache Kraftgesetz beschreiben können, bei dem die Kraft proportional zum Abstand des Elektrons vom Kern ist, so wie bei einer Feder. Je stärker man dehnt, desto größer die Kraft. Die Kraft ist also gleich Null, wenn sich das Elektron genau beim Kern aufhält und nimmt dann nach außen hin immer weiter zu. (Warum machen wir diese ganzen vereinfachenden Annahmen? Weil man dann die Lösung des Problems am Ende relativ leicht berechnen und auch interpretieren kann – ich führe die Rechnung hier nicht vor, weil die in dem zitierten Artikel drin ist und so etwas für Nicht-PhysikerInnen ja immer eher abschreckend wirkt. Außerdem ist die Interpretation eh interessanter als die Rechnung selbst.)
Ein solches System nennt man einen harmonischen Oszillator. Betrachtet man ihn zuerst mit den Mitteln der klassischen Physik, dann nimmt die Energie des Elektrons nimmt nach außen hin quadratisch zu, wenn man sie graphisch darstellt hat sie also die Form einer Parabel. (Dass das so sein muss, davon könnt ihr euch mit den Mitteln der Schulphysik leicht überzeugen: Arbeit ist Kraft mal weg. Wenn ich also das Elektron immer weiter entferne, lege ich zum einen einen immer größeren Weg zurück, zum anderen steigt aber auch die Kraft proportional zum Weg.) Die Energie, die das Elektron an einem bestimmten Ort nach den regeln der klassischen Physik hätte, nennen wir das Potential:
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