Niederle und Westerlund (2010) untersuchen in einer Überblicksstudie den Einfluss des Wettbewerbs-Charakters. Andere Studien haben gezeigt, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Wettbewerbssituationen reagieren. In einer Wettbewerbssituation (die Aufgabe besteht darin, am Computer Wege durch ein Labyrinth zu finden) schneiden laut mehreren Studien Frauen deutlich schlechter ab, wenn sie in einer gemischten Gruppe gegeneinander antreten, als wenn sie nur gegen andere Frauen antreten.
Insgesamt zeigen diese Studien, dass die Erwartungshaltung einen deutlichen Einfluss auf das Ergebnis von Tests hat. Eine Gesellschaft, in der suggeriert wird, dass Mathe und Naturwissenschaften eher männliche Domänen sind (wie bei der berühmten “Math class is tough”-Barbie, ein Spaziergang durch eine Spielzeug- oder Buchabteilung ist auch sehr instruktiv…), kann man also erwarten, dass Frauen schon allein aufgrund dessen schlechter abschneiden. (Was, wie gesagt, nicht heißen muss dass es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt.) Auch Jürgen hat schon vor einiger Zeit eine Studie zu diesem Thema vorgestellt. Die Datenlage spricht also dafür, dass zumindest ein Teil der Unterschiede in den Testergebnissen, die wir oben gesehen haben, durch solche Stereotyp-Effekte zu Stande kommt.
Die unbewussten Stereotypen gehen übrigens ziemlich weit. Eine interessante Studie dazu wird in WSF, S. 76, zitiert. Legt man Menschen einen zufälligen Namen vor und zeigt ihnen dann ein paar Tage später eine Liste, in der sie berühmte Personen identifizieren sollen, dann picken sie den gezeigten Namen deutlich häufiger heraus als einen beliebigen anderen. Die Erinnerung an den Namen ist also da, aber nicht mehr die Erinnerung, wo man ihn schon einmal gesehen hat. Das gilt allerdings wesentlich stärker, wenn der zufällige Name männlich ist – weibliche Namen werden also nicht so leicht für die berühmter Personen gehalten. (Was in unserer männerdominierten Geschichte ein naheliegendes Stereotyp ist – berühmte Personen sind eben meist männlich.)
Selbsteinschätzung
Auch in einem anderen Aspekt unterscheiden sich Männer und Frauen: In ihrer Selbsteinschätzung und den Anforderungen, die sie an sich selbst stellen. Zunächst einmal gibt es auch hier einen Effekt der Erwartungshaltung (Studie zitiert nach WSF, S. 47ff). Hierzu wurden Versuchspersonen mit einer Aufgabe konfrontiert, bei der sie abschätzen sollten, ob eine Fläche überwiegend weiß oder schwarz ist. Tatsächlich war die Verteilung der Farben in den gezeigten Bildern genau gleich, so dass es keine korrekte Antwort gab. Alle Personen erhielten als Rückmeldung, dass sie 13 oder (im 2. Durchlauf) 12 richtige Antworten hatten. Dann sollten ihre Fähigkeiten in dieser Aufgabe einschätzen, nachdem sie entweder erfahren hatten, dass Männer die Aufgabe besser lösen oder dass es keinen Geschlechtsunterschied gibt. Hier das Ergebnis:
(Aus WSF, S. 48)
Allein die Erwartungshaltung der Geschlechterdifferenz führte also dazu, dass Frauen ihre Fähigkeiten schlechter einstuften. Noch interessanter ist die nächste Frage, die sinngemäß lautete “Wie hoch müsste deine Punktzahl sein, damit du das Gefühl hast, diese Fähigkeit gut zu beherrschen?” Auch hier zeigte sich ein drastischer Effekt:
(Bild aus WSF)
Das ist deswegen so interessant, weil es sich mit anderen Studienergebnissen deckt. Beispielsweise zeigen Concannon und Barrow (2010), dass man bei männlichen Studis der Ingenieurwissenschaft die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Studium durchhalten, mit ihrer (am Anfang des Studiums selbst eingeschätzten) Fähigkeit korreliert, ihre Kurse zu absolvieren; bei Frauen dagegen ist die Korrelation stärker mit ihrer (selbst eingeschätzten) Fähigkeit, in den Kursen gute Noten (A oder B) zu bekommen. Frauen scheinen also höhere Anforderungen an sich zu stellen als Männer. (Das genaue Studiendesign ist ziemlich kompliziert, ich gebe die Schlussfolgerung hier etwas eingedampft wieder.) Eine andere Studie (zitiert in WSF, S. 45) zeigt, dass Schüler bei tatsächlich gleicher Fähigkeit ihre mathematischen Kenntnisse höher einschätzen als Schülerinnen. Die Selbsteinschätzung der mathematischen Fähigkeiten wiederum hängt eng damit zusammen, ob Studis beispielsweise einen Kurs in Analysis wählen oder nicht (WSF, S. 46). Bei gleicher mathematischer Fähigkeit schätzen Frauen ihre Kenntnisse also niedriger ein und sind wegen dieser niedrigeren Selbsteinschätzung nicht so geneigt, einen Kurs in höherer Mathematik zu besuchen.
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