Jedes Jahr im Herbst ist es soweit: Die  Jahrestagung der Wirbeltierpaläontologen (ausgerichtet von der Society of Vertebrate Paleontology) findet statt. Normalerweise lese ich allenfalls darüber, aber dieses Jahr war die Tagung in Berlin – und das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Und so habe ich die letzten 4 Tage (mit einer kurzen Rückkehr nach Braunschweig, weil ich noch eine Vorlesung zu halten hatte) in Berlin verbracht und mir dort Vorträge angehört, Poster angeschaut (allerdings waren die Poster-Sessions sehr eng, so dass man viele Poster ohne massiven Ellbogeneinsatz nicht richtig angucken konnte) und mit einigen Leuten geredet.

Wenn ich richtig gezählt habe, habe ich 67 Vorträge gehört (kein Wunder, dass mir abends der Kopf schwirrte) – über die Abschätzung der Masse von Vögeln, über die Knochenhistologie von Temnospondylen, über die Biomechanik von Sauropodenwirbeln, die Evolution von Schildkröten, und und und.

Nein, über alle werde ich hier wohl eher nicht schreiben, aber hier ein kleiner Überblick über die, die mir am meisten im Gedächtnis geblieben sind. (Wenn es euch interessiert, könnt ihr euch das “Book of Abstracts” herunterladen und lesen, was es sonst noch so gab.)

Los ging das Ganze für mich am Mittwoch Vormittag gegen 11:00Uhr im Archaeopteryx-Symposium, in dem es aber nicht nur um den Urvogel, sondern generell um die Evolution der Vögel ging. Der erste Vortrag, den ich vollständig gehört habe, beschäftigte sich mit der Frage, ob wir wirklich die Farben von fossilen Federn rekonstruieren können – dazu gab es ja in den letzten Jahren einige Arbeiten, die fossile Melanosomen angeschaut haben (Melanosomen werden von Zellen produziert und sind kleine, etwa kugelförmige Gebilde, die den Farbstoff Melanin enthalten). Dazu wurden Vogelfedern mehrere Jahre lang unter verschiedenen Bedingungen (bei 60°, bei 350°, in Sand eingebuddelt) gelagert und dann geschaut, was nach dieser Zeit von den Melanosomen und den Keratinfasern drum herum noch übrig ist. Ihr Fazit (leicht vereinfacht): Melanosomen werden schneller zerstört als Keratinfasern – wenn man also Teile findet, die wie Melanosomen aussehen, aber keine Keratinfasern mehr finden kann, dann sind die Melanosomen vermutlich gar keine, sondern etwas anderes (beispielsweise Bakterien). Das Ergebnis dürfte einigen Leuten nicht so gut gefallen – mal sehen, wie diese Debatte weitergeht.

Danach ging es um Embryologie – genauer um die Herkunft des Vogelschnabels. Der Vogelschnabel sitzt auf einem Knochen, der evolutionär durch das Verschmelzen der beiden vorderen Kieferknochen (Praemaxillae) entstanden ist. Dann wurde an Embryonen untersucht, welche Steuergene bei Vögeln (anders als bei anderen Tieren) in diesem Bereich aktiv sind und schließlich wurden diese Gene dann gezielt ausgeschaltet – mit dem Ergebnis, dass die entstehenden Embryonen wieder die ursprünglichen Anlagen der Kieferknochen zeigen. Der Schritt vom Saurierkiefer zum Vogelschnabel ist also zumindest genetisch vielleicht gar nicht so kompliziert, wie man gedacht hätte.

Anschließend zwei Vorträge über die Entwicklung der Vögel im Allgemeinen – der Vortrag von Benton (einem der ganz großen Namen in der Wirbeltierpaläontologie, dessen Buch ein Standardwerk ist, dass in keinen Haushalt fehlen sollte) war eher allgemeiner Natur (und war zwar nett vorgetragen, ist mir aber ehrlich gesagt wenig in Erinnerung geblieben); der anschließende Vortrag beschäftigte sich dann mit der Frage, wie schnell sich die Vögel an unterschiedliche ökologische Nischen angepasst haben. Es zeigt sich, dass es schon im Eozän (so vor rund 50 Millionen Jahren) eine große Vielfalt an unterschiedlichen Vögeln gab. Das oft gezeigte Bild, wonach die Vielfalt der Arten im Laufe der Evolution bis zum heutigen Tag (von einigen Aussterbe-Ereignissen abgesehen) immer weiter zunahm, ist also vermutlich nicht ganz zutreffend.

Und als letztes ging es dann vor der Mittagspause noch darum, in wie weit es möglich ist, die Massen von Vögel (speziell Wasservögeln) an Hand ihrer Knochen vorherzusagen – es zeigt sich, dass die Länge der Arm- und Beinknochen kein gutes Maß ist (wenig überraschend, da es ja sehr lang- und kurzbeinige Vögel gibt); der Umfang der Knochen (insbesondere des Unterschenkels) erlaubt dagegen eine einigermaßen guten Schätzung. Ich finde das ein bisschen überraschend, weil ja längere Knochen auch größere Biegemomente bedeuten und deswegen auch der Querschnitt der Knochen größer sein sollte – aber vielleicht kompensieren das die langbeinigen Vögel ja dadurch, dass sie ihre Beine gerader halten. (Der Vortrag selbst beschäftigte sich nur mit lebenden Vögeln – trotzdem gehört er natürlich auf eine SVP-Tagung, weil man ja irgendwie überlegen muss, wie man Massen ausgestorbener Tiere abschätzen kann.)

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Kommentare (6)

  1. #1 dilopho
    10. November 2014

    Danke für diese sehr ausführliche Zusammenfassung. Wäre selbst gern da gewesen, aber die Zeit und das Geld braucht man halt auch.
    Jedenfalls sind viele interessante Dinge dabei und bei einigen freu ich mich schon drauf, dass sie publiziert werden. Gibts eigentlich so eine Art Faustformel, wann die Paper zu solchen Vorträgen spätestens draußen sind?

  2. #2 MartinB
    10. November 2014

    @dilopho
    “die Zeit und das Geld braucht man halt auch”
    Jupp, aber zum Glück konnte ich’s mir dieses Jahr leisten.
    Nein, es gibt keine Faustformel – das Datum kann zwischen “heute” (so war es bei dem Eunotosaurus-Vortrag) und “nie” beliebig schwanken.

  3. […] Tom Holtz – mit dem ich letztes Jahr bei der SVP-Tagung schnacken konnte, das war schon […]

  4. […] – am Schrank seht ihr das Plakat vom Dino-Spuren-Symposium, und passenderweise hatte ich mein SVP-T-Shirt […]

  5. […] sitzen. Dass Schildkröten Diapsiden sind, weiß man auch noch nicht so lange, ich habe darüber kurz hier berichtet.) Dann seht ihr Eunotosaurus – die erste Urschildkröte, die wir kennen, allerdings noch ohne […]

  6. […] das Melanin steckt, prinzipiell auch in Fossilien nachgewiesen werden können. (Kurz habe ich dazu in diesem Artikel was erzählt, war schon ne coole […]