Und so sieht es für Bob aus (für den es Alice ist, die sich bewegt, und zwar in die andere Richtung):
Es gibt keine Möglichkeit, zu sagen, wer von beiden Recht hat – und das ist der kleine Fehler, den der gute Newton mit seiner Annahme vom absoluten Raum gemacht hat. Es ist unmöglich, festzustellen, ob ich mich relativ zum “absoluten Raum” mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewege oder nicht. Man kann das auch anders ausdrücken: Es ist nicht möglich, zwei Raumpunkte zu unterschiedlichen Zeiten eindeutig in Beziehung zu setzen und zu sagen, ob es sich um denselben Raumpunkt handelt oder nicht – für Alice sieht die Sache anders aus als für Bob. Worüber sich aber beide einig sind, ist der Verlauf der Zeit – wenn für Alice eine Sekunde vergeht, tut sie das auch für Bob. (Newton hatte einen plausiblen Grund, anzunehmen, dass es einen absoluten Raum gibt, weil er wusste, dass man Drehungen im Universum eindeutig feststellen kann (siehe auch oben). Daraus hat er – fäschlicherweise – auf den absoluten Raum zurückgeschlossen.)
Innerhalb der Newtonschen Welt gibt es nicht mehr viel weiteres zu sagen. (Und das, was ich gerade hier erzählte, habe ich schon vor ziemlich genau einem Jahr in anderem Zusammenhang erklärt.)
Falls ihr euch die ganze Zeit fragt, warum ich nicht einfach ein Koordinatensystem einführe, sondern ständig von Staub rede – der Staub hat den Vorteil, dass es sich um echte physikalische Teilchen handelt – Koordinaten kann man so absurd definieren, wie man will (ein Beispiel dafür sehen wir noch), aber echte physikalische Teilchen können auch nur Dinge tun, die physikalisch möglich sind.
Betrachten wir als nächstes die spezielle Relativitätstheorie (SRT). Eine zentrale Aussage der Theorie ist ja, dass sich Objekte relativ zueinander nicht mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen können. Wenn wir also die Staubteilchen betrachten, dann ist klar, dass wir uns relativ zu Alices Staub nicht überlichtschnell bewegen können – relativ zu Bobs Staub übrigens auch nicht. (Die berühmten Additionsregeln für Geschwindigkeiten in der SRT sorgen dafür, dass es keine Probleme gibt, wenn sich Bob mit nahezu Lichtgeschwindigkeit von Alice entfernt und Claudia mit nahezu Lichtgeschwindigkeit von Bob – von Alice aus gesehen ist Claudia trotzdem nicht überlichtschnell.) Das Diagramm für Alice sieht jetzt so aus:
Dabei sind jetzt die Orts- und Zeitachsen gegeneinander verkippt, weil in der SRT Raum und Zeit ja zusammen die Raumzeit bilden. (Achtung, das Diagramm ist nicht gerechnet, sondern nur qualitativ korrekt.) Da wir die Umrechnung zwischen unterschiedlichen Beobachtern nicht wirklich detailliert brauchen, spare ich mir die detailliertere Erklärung, ein bisschen was zu diesen Diagrammen haben ich hier und hier geschrieben. Wenn ihr mit solchen Diagrammen herumspielen wollt, gibt es dafür sogar eine interaktive Grafik.
Machen wir jetzt den Sprung zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Hier wird das Staub-Bild tatsächlich gern verwendet, jedenfalls in der Kosmologie. Um sich die Ausdehnung des Universums zu veranschaulichen, kann man sich Staub vorstellen, der kurz nach dem Urknall gleichmäßig verteilt das Universum erfüllt. Dehnt sich das Universum aus, dann entfernen sich die Staubteilchen voneinander – wie genau sie das tun, kann man dann anschauen, um die Details der Expansion des Universums zu verstehen. Hier sieht man jetzt den Vorteil des Staub-Bildes: Der Staub veranschaulicht direkt die Ausdehnung des Raums. Man kann so tun, als würde jedes Staubkorn einen Raumpunkt kennzeichnen und kann dann direkt sehen, wie sich die Raumpunkte zueinander verhalten – die sich entfernende Staubteilchen folgen dem sich ausdehnenden Raum, und man kann so tun als würde man direkt sehen, wie sich der Raum dehnt, wenn man die Staubteilchen betrachtet.
Aber auch dabei darf man nicht vergessen, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, den Staub anzuordnen. Typischerweise betrachtet man Staub, der relativ zur sonstigen Materie (und auch relativ zur kosmischen Hintergrundstrahlung) im Universum ruht (oder man nimmt den Staub gleich als Modell für die Materie im Universum) – aber auch hier ist es egal, wenn sich Bob relativ zu Alice mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegt, auch er beobachtet die Expansion des Universums in seinem Bezugssystem. Da ich die Expansion des Universums vor einiger Zeit ausführlicher diskutiert habe, brauche ich hier auf die Details nicht einzugehen. (In den Kommentaren gibt es eine lange Diskussion zur Frage des Vergleichs zwischen Alice und Bob, ich bin aber immer noch der Ansicht, dass beide Standpunkte gleichberechtigt sind; wir können das aber gern noch mal in den Kommentaren diskutieren.)
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