Kühlt man ein Metall aus der Schmelze ab, dann bilden sich einzelne Kristalle, ganz ähnlich wie beim Eis. Beim Metall heißen diese Kristalle Körner und sehen so aus:
(Aus Rösler, Harders, Bäker “Mechanisches Verhalten der Werkstoffe”, Springer-Vieweg Verlag)
Manchmal sind diese Körner auch sehr groß, dann kann man sie direkt mit bloßem Auge sehen, beispielsweise bei Laternenmasten.
Verformt man ein Metall bei Raumtemperatur, dann sind die Grenzen zwischen den Körnern Hindernisse für Versetzungen, man möchte also für ein besonders festes Metall kleine Körner haben. Wie groß die Körner beim Erstarren aus der Schmelze sind, hängt davon ab, wie man den Abkühlvorgang genau steuert – aber weil die involvierten Temperaturen sehr hoch sind, nutzt man zum Einstellen der Korngröße oft einen anderen Trick.
Als erstes verformt man das Metall stark, beispielsweise durch einen Walzprozess. Dabei bewegen sich die Versetzungen, zusätzlich entstehen aber auch viele neue Versetzungen im Material, die das Kristallgitter ziemlich durcheinanderwürfeln. Dadurch ist jetzt sehr viel Energie im Metall gespeichert. Wenn man das Metall jetzt erwärmt, dann ist es energetisch günstiger, wenn sich die Atome umsortieren und neue Körner mit wenig Versetzungen drin ausbilden. Weil sich die Kristalle neu bilden, heißt das auch Rekristallisation. Wie groß die Körner sind, die sich neu bilden, hängt wieder davon ab, wie groß die treibende Kraft (der Gewinn durch die Energie im Volumen) gegenüber der Oberflächenenergie (denn es bilden sich ja neue Grenzen zwischen Körnern, die Energie kosten) ist. Hier ist es jetzt vor allem die Größe der gespeicherten Energie, die entscheidend ist – habt ihr das Material nur moderat stark gewalzt, ist nicht so viel Energie gespeichert, und nur sehr günstige Anfangskeime können wachsen. Entsprechend bekommt ihr wenige große Körner. Habt Ihr das Material dagegen heftig umgeknetet, dann ist sehr viel Energie gespeichert und die Körner sind klein (was für Anwendungen bei Raumtemperatur gewünscht ist).
Es gibt aber auch einen entscheidenden Unterschied zu unseren Eiskristallen: Dort reichen sehr kleine Keime, die sich auch spontan bilden können. Bei der Rekristallisation ist das anders – die notwendige Keimgröße liegt im Bereich von Mikrometern. Das Wachstum beginnt deshalb an Stellen, an denen die Atome schon halbwegs passend zur neuen kristallstruktur angeordnet sind (zum Beispiel an den Korngrenzen). Wikipedia hat dazu deutlich mehr Infos.
Eine andere Möglichkeit, um Metalle zu verfestigen, sind Ausscheidungen (nein, nicht die Art von Ausscheidungen (Igitt, was ihr immer denkt…)). Ausscheidungen in Metallen sind kleine Teilchen innerhalb der Körner, die eine andere Zusammensetzung haben.
Im Aluminiumlegierungen beispielsweise kann man etwas Kupfer zulegieren. Dann können sich kleine Kupfer-Aluminium-Teilchen bilden, die die Versetzungsbewegung stören und das Material wesentlich fester machen.So sehen diese Teilchen (jedenfalls, wenn sie sehr klein sind) aus:
(By User A1 at en.wikipedia [GFDL or CC-BY-SA-3.0], from Wikimedia Commons)
Fragt sich nur, wie man die kleinen fein verteilten Teilchen in das Material reinbekommt. Dazu nutzt man die gleiche Logik wie bei unseren Eiskristallen: Bei hoher Temperatur löst sich Kupfer in Aluminium sehr gut. Kühlt man jetzt schnell auf Raumtemperatur ab, dann bleiben die Kupferatome im Kristallgitter – eigentlich wäre es für sie energetisch günstig, wenn sie sich zu Kupfer-Aluminium-Teilchen zusammenfinden würden, aber bei Raumtemperatur sind die Teilchen einfach nicht sehr beweglich. Wenn man die Legierung jetzt wieder etwas erwärmt, dann werden die Teilchen beweglicher und es können sich die entsprechenden Teilchen aus dem Kristall ausscheiden (deswegen heißt das so). Erhöht man die Temperatur sehr stark, dann sind die Kupfer-Atome zum einen recht beweglich und zum anderen ist die treibende Kraft, um Ausscheidungen zu bilden, recht klein – in dem Fall bekommt man also wenige, große Ausscheidungen. Bei niedrigerer Temperatur gibt es mehr Ausscheidungen, die dafür kleiner sind. Da es eine optimale Ausscheidungsgröße gibt, bei der die Teilchen die Versetzungen maximal behindern und so für die größte Festigkeit sorgen, kann man durch genaues Einstellen der Temperatur, bei der der Prozess stattfindet, auch die optimale Größe einstellen. (Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, dann empfehle ich das oben schon erwähnte Buch “Mechanisches Verhalten der Werkstoffe”.)
Ihr seht, dass die Physik des Kristallwachstums uns eigentlich ziemlich häufig begegnet. Auch wenn die Einzelheiten oft kompliziert sind (und ich habe hier einiges deutlich vereinfacht…), ist das Prinzip doch meist dasselbe: Neue Teilchen zu bilden, kostet Energie an der Oberfläche, bringt aber im Volumen einen Energiegewinn, und wie diese beiden Energien miteinander streiten, entscheidet darüber, ob ihr große oder kleine Kristalle von eurer Autoscheibe kratzen müsst.
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