Die Idee, Alu zum Stahl hinzuzufügen, ist nicht ganz neu – bisher gab es aber das Problem, dass die entstehende Legierung ungünstige Eigenschaften hatte. Ein Problem dabei ist die Bildung von Sprödphasen – das sind Teilchen, die sich in der Legierung bilden und die leicht brechen und dann als lokale Fehlstellen dienen. Solche Sprödphasen setzen die Festigkeit und vor allem die Dehnbarkeit (vornehm “Duktilität”) von Legierungen deutlich herab. In diesem Stahl bestehen sie vor allem aus Eisen und Aluminium, aber mit einem höheren Alu-Anteil als im sonstigen Material.
Der Trick des neuen Ansatzes – der diese Woche in nature vorgestellt wurde – besteht jetzt darin, diese Sprödphasen nicht zu vermeiden, sondern sie viel mehr auszunutzen, um die Festigkeit des Materials zu erhöhen.
Praktischweise habe ich ja gerade erklärt, wie sich Kristalle bilden. Im Prinzip dieselbe Logik wendet man auch hier an. Zunächst wird das Material bei niedriger Temperatur gewalzt. Dadurch wird viel Energie im Material gespeichert.So sieht das Material anschließend (im Elektronenmikroskop) aus:
Aus Kim et al., s.u.
Die weißen Striche sind die Platten aus der spröden Phase (die B2 heißt).
Anschließend wird es dann gezielt aufgeheizt; dabei bilden sich zum einen neue Körner (wie im Link zur Kristallbildung erklärt), zum anderen scheiden sich auch sehr kleine Teilchen aus der spröden Phase aus. Das ist nicht ganz so einfach, wie es hier klingt – hier spielt zur Legierung hinzugefügtes Nickel eine große Rolle, weil es die Bildung der Teilchen fördert, außerdem ist es auch wichtig, dass sich im Material Bereiche mit lokal hoher Verformung (Scherbänder) bilden. Hinterher bekommt man jedenfalls diese Struktur:
Aus Kim et al., s.u.
Hier seht ihr die fein verteilten B2-Teilchen zwischen den Platten. Diese Teilchen können jetzt die Bewegung von Versetzungen behindern. Versetzungen sind Baufehler im Kristall und sorgen für die plastische Umformung, Je mehr man sie an der Bewegung hindert, desto fester wird ein Material (klickt den Link, wenn ihr mehr wissen wollt).
Auf diese Weise lässt sich jetzt die Festigkeit des Materials steigern – die kleinen B2-Teilchen behindern die plastische Verformung stark. Hier Messwerte für die neue Legierung (mit den römischen Zahlen I-III gekennzeichnet) im Vergleich zur Titanlegierung Ti6Al4V und zu anderen Stählen (triplex):
Aus Kim et al., s.u.
Aufgetragen ist auf der horizontalen Achse die Dehnung (also wie stark das Material in die Länge gezogen wird), auf der vertikalen Achse die Spannung (also welche Last es aushalten kann). Ihr seht, dass die neue Legierung zum einen hohe Lasten aushalten kann, zum anderen aber auch stark gedehnt werden kann (da wo die Kurven zu ende sind, reißt das Material) – sie ist also nicht spröde. Außerdem nimmt die festigkeit mit der Dehnung zu – das hat den Vorteil, dass eine moderate Überlastung zwar eine plastische Verformung verursacht, aber keinen Bruch.
Hier seht ihr die entscheidenden Größen im Vergleich – spezifische Festigkeit (also Festigkeit geteilt durch Dichte) gegen die maximale Dehnung des Materials.
Aus Kim et al., s.u.
Generell gilt: Je weiter rechts oben, desto besser, das neue Material schneidet also sehr gut ab.
Allerdings ist auch ein bisschen Kritik angezeigt – und ehrlich gesagt wundere ich mich, dass die Gutachter bei nature das so haben durchgehen lassen. Zum einen sind die Daten für die Titanlegierung vergleichsweise schlecht.Im paper steht, dass die Legierung kommerziell erworben und direkt getestet wurde. Eigentlich lassen sich mit Ti6Al4V höhere Festigkeiten und Dehnungen erzielen – ich habe den Verdacht, dass hier eine Legierung gekauft wurde, die man eigentlich hinterher noch hätte wärmebehandeln sollen. Unsere Studis machen das jedes Jahr als Projektarbeit: Eine gekaufte Ti-Legierung durch gezielte Wärmebehandlung in den Eigenschaften verbessern. Sie erreichen dabei Zugfestigkeiten von bis zu 1GPa, und die maximalen Dehnungen liegen, wenn ich mich recht entsinne, auch ein wenig höher. Ein bisschen scheint es, als habe man mit Absicht eine eher mickrige Ti-Legierung genommen.
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