Gestern war ein historischer Tag: Die Entdeckung von Gravitationswellen. Vermutlich habt ihr ja in den Nachrichten, hier auf den Scienceblogs oder auch bei der Pressekonferenz etwas darüber gehört. Aber was wird wirklich in der Wissenschaft kommuniziert? Was steht in der oft erwähnten “Veröffentlichung bei Physical Review Letters”? Wie sieht so eine Veröffentlichung aus und wie liest man sie?
Genau darum kümmern wir uns jetzt. Am besten besorgt ihr euch erst mal eine Kopie der Arbeit, die findet ihr zum Beispiel netterweise drüben bei Was Geht. Falls ihr noch nie so eine wissenschaftliche Arbeit gelesen habt – macht nichts, wir schauen ganz in Ruhe durch und ich versuche, das, was ich verstehe, zu erklären. (Was sicher nicht alles sein wird…)
Und jetzt schauen wir mal, was das so drin steht. Fangen wir ganz oben an.
Der Titel ist schon mal schön schlagkräftig:
Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger
Beobachtung von Gravitationswellen von einer Verschmelzung binärer Schwarzer Löcher
Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Wir haben Gravitationswellen beobachtet (Cooool), die durch schwarze Löcher erzeugt wurden (ein neuer Nachweis schwarzer Löcher, auch nicht schlecht), die miteinander verschmolzen sind (was man bisher nur als theoretische Möglichkeit kannte, aber nie nachweisen konnte, weil bei einer solchen Verschmelzung wenig elektromagnetische Strahlung frei wird, und bis gestern konnten Astronominnen sich ja fast ausschließlich auf elektromagnetische Strahlung verlassen (mal abgesehen von der Neutrino-Astronomie)). Das sind also gleich drei faszinierende Ergebnisse auf einmal, mehr geht nun wirklich nicht, nicht mal im Ü-Ei.
Dann sehen wir bei der Autorinnenliste nur einen Namen, dahinter steht et al (Kürzel für, und andere, was man immer dann nutzt, wenn man nicht alle Autoren zitieren will). Die Fußnote verweist auf die Liste aller Autorinnen am Ende, immerhin weit über Hundert (von denen drei vor der Veröffentlichung verstorben sind, das ist schon etwas traurig).
Dann kommt – wie sich das bei wissenschaftlichen Arbeiten gehört, die kernig-knackige Zusammenfassung, Abstract genannt. Die liest man, um zu wissen, ob man den rest eines solchen papers überhaupt angucken will. In einem guten Abstract sollte alles wichtige drin stehen (das wird leider oft nicht gemacht, gern wird dann nur geschrieben “wir zeigen Ergebnisse für XX” ohne zu sagen, was die Ergebnisse sind).
Hier wurde aber alles richtig gemacht. Wir nehmen den Abstract auch ganz in Ruhe auseinander:
On September 14, 2015 at 09:50:45 UTC the two detectors of the Laser Interferometer Gravitational-Wave
Observatory simultaneously observed a transient gravitational-wave signal.Am 14. September 2015 um 09:50:45 UTC haben die beiden Detektoren des LIGO gleichzeitig ein transientes Gravitationswellensignal gemessen.
O.k., das ist erstmal das Fakt für sich. Beachtet das Wort “transient” – es war also ein Signal, das nur vorübergehend auftrat, kein dauerhaftes Signal. (Was man z.B. erwarten könnte, wenn zwei Neutronensterne sich umkreisen und dabei ständig Gravitationswellen aussenden.) Hmm – ich glaube, ich bin zu faul, immer “Gravitationswelle” zu tippen, das heißt ab jetzt GW.
Weiter im Abstract:
The signal sweeps upwards in frequency from 35 to 250 Hz with a peak gravitational-wave strain of 1.0 × 10−21.
Das Signal erhöht seine Frequenz von 35 auf 250Hz mit einer maximalen GW-Dehnung von 1.0 × 10−21.
So eine Gravitationswelle ist ja eine Welle, die die Raumzeit verformt (Details dazu habe ich vor einiger zeit in diesem Artikel erklärt). Ich klaue mal ein Bild von Markus Pössel – wenn ihr was über Einsteins Relativitätstheorie wissen wollt, dann ist Einstein online ne gute Adresse. (Hier auf dem Blog findet ihr natürlich auch einiges.) Also: Hier seht ihr, wie eine Gravitationswelle den Raum verformt:
Die Welle breitet sich also aus und streckt oder staucht den Raum dabei. Eine Strecke wird also periodisch länger oder kürzer. So eine Welle hat eine Frequenz, die euch sagt, wie oft pro Sekunde eine Strecke gedehnt oder gestaucht wird. Diese Frequenz beträgt 35-250 Hertz, also 35-250 mal pro Sekunde. Allerdings sind die Stauchungen und Dehnungen nicht so groß wie im Bild. Die Dehnung beträgt 1.0 × 10−21.. Eine Strecke von 1 Meter wird also um 1.0 × 10−21 Meter gedehnt oder gestaucht (das heißt also 0,000000000000000000001 Meter, mit 21 Nullen). Zum Vergleich: Ein Atomkern hat einen Durchmesser von 1.0 × 10−15 Meter, ist also eine Million mal größer. (Ein Atom ist dann noch etwa 100000 mal größer als das). Die Dehnungen sind also wirklich unglaublich winzig.
Weiter im Abstract:
It matches the waveform predicted by general relativity for the inspiral and merger of a pair of black holes and the ringdown of the resulting single black hole.
Es [das Signal] passt zu der Wellenform, die die Allgemeine Relativitätstheorie für das spiralförmige Aufeinander-Zubewegen und verschmelzen eines Paares von Schwarzen Löchern und das nachfolgende Abklingen des Signals vorhersagt.
Stellt euch zwei Schwarze Löcher (ab jetzt SL abgekürzt) vor, die sich umkreisen. Wenn sie das tun, senden sie GW aus (so wie kreisende elektrische Ladungen Strahlung aussenden). Die Energie dafür muss irgendwo herkommen, also verlieren die beiden SL Energie – deswegen bewegen sie sich aufeinander zu. Dadurch kreisen sie schneller umeinander. Deswegen erhöht sich die Frequenz. Wenn die beiden SL dann verschmelzen, bilden sie ein größeres SL. Dieses SL kann jetzt aber keine Gravitationswellen mehr aussenden, weil SL ja keine Signale entkommen lassen. Also muss das GW-Signal entsprechend schnell abklingen. Die Beobachtungen passen also zu diesem Szenario.
O.k. jetzt wird es im Abstract statistisch, und ich verstehe nicht mehr jedes Detail:
The signal was observed with a matched-filter signal-to-noise ratio of 24 and a false alarm rate estimated to be less than 1 event per 203000 years, equivalent to a significance greater than 5.1σ.
Das signal wurde mit einem angepassten Signal-rauschverhältnis von 24 und einer falschen Alarmrate detektiert, die kleiner als ein Ereignis in 203000 Jahren war, äquivalent zu einer Signifikanz von 5.1σ.
Es wurde also abgeschätzt, wie wahrscheinlich ein solches Signal durch rauschen oder ähnliches erscheinen sollte. Diese Zahl ist mit einem Ereignis in 203000 Jahren sehr klein. Die Signifikanz sigma (σ) ist eine statistische Größe, die das als Zahlenwert nochmal beschreibt. (Der in der Physik gern verwendete Wert 5σ sagt, dass man so ein Ergebnis einmal in 3,5 Millionen Messungen per Zufall erwarten würde.)
So, jetzt kommt wieder coole Physik:
The source lies at a luminosity distance of 410+160/-180 Mpc corresponding to a redshift z = 0.09+0.03/-0.04 .
Die Quelle liegt bei einer Luminositätsdistanz von 410+160/-180 Megaparsec, das entspricht einer Rotverschiebung von z = 0.09+0.03/-0.04 .
Hier geht es um den Abstand. Der liegt bei 410 Megaparsec, aber wie sich das in der Physik gehört, ist die Zahl nicht genau und es werden Fehlergrenzen angegeben. (Am Ende des Abstracts erfahren wir, dass alle Fehlergrenzen 90%-Margen angeben, mit 90%iger sicherheit liegen die Werte für den Abstand also zwischen 230 und 590 Megaparsec.) Ein Megaparsec sind eine Million Parsec oder 3,26 Millionen Lichtjahre. Die Quelle liegt also etwa 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernt. (Zum Vergleich: Der Abstand zur Andromeda-Galaxis beträgt etwa 2,5Millionen Lichtjahre, der nächste Stern ist etwa 4 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Ereignis war also wirklich weit weit weg.)
Der Abstand ist als “Luminositätsabstand” deklariert – das bezieht sich normalerweise auf die Leuchtkraft bei Sternen. Ich vermute mal, der Abstand wurde ermittelt, indem man aus der gemessenen Signalstärke zurückgerechnet hat. Da sich das Universum ausdehnt, rechnet man Abstände auch gern auf die entsprechende Rotverschiebung um. (Die erklärt euch z.B. Florian in seinem Blog.)
Und jetzt geht’s um die Schwarzen Löcher selbst:
In the source frame, the initial black hole masses are 36+5-4 M⊙ and 29+4/-4 M ⊙ , and the final black hole mass is 62+4/-4 M⊙ , with 3.0+0,5/-0.5 M ⊙ c2 radiated in gravitational waves.
Im Quellenbezugssystem waren die anfänglichen Massen der Schwarzen löcher 36+5-4 M⊙ und 29+4/-4 M ⊙ , und das schließlich entshende Schwarze Loch hatte eine Masse von 62+4/-4 M⊙ ,wobei 3.0+0,5/-0.5 M ⊙ c² als Gravitationswellen abgestrahlt wurden.
Das schöne Symbol M⊙ steht für “Sonnenmasse”. Eins der anfänglichen SL hatte also 36 Sonnenmassen, das andere 29. Am Ende kam ein SL mit 62 Sonnenmassen raus. Nun ist 36+29=65, irgendwo sind also 3 Sonnenmassen verschwunden. Die wurden als GW abgestrahlt. Das kleine c² hinter der Zahl soll klar machen, dass hier die Energie nach E=mc² berechnet werden kann. Es wurde also die Energie von 3 Sonnenmassen in GW umgesetzt, und zwar innerhalb von weniger als einer Sekunde. Die Sonne selbst verliert pro Sekunde 4 Millionen Tonnen Masse als Strahlungsenergie, aber sie kann 10 Milliarden jahre lang scheinen und hat am Ende nur etwa 1 Prozent ihrer Masse verloren, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe. 3 Sonnenmassen in weniger als einer Sekunde ist also unglaublich viel (tatsächlich ist die Strahlungsleistung damit 50 mal höher als die aller Sterne im Universum zusammen).
Der rest des Abstracts ist vergleichsweise simpel
All uncertainties define 90% credible intervals.These observations demonstrate the existence of binary stellar-mass black hole systems. This is the first direct detection of gravitational waves and the first observation of a binary black hole merger.
Alle Unsiverheiten definieren 90% Konfidenzintervalle. Diese Beobachtungen belegen die Existenz binärer Systeme von stellaren Schwarzen Löchern. Dies ist die erste direkte Beobachtung von Gravitationswellen und die erste Beobachtung der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher.
Den ersten Satz habe ich oben schon erklärt. Die letzten beiden sind eigentlich eine Wiederholung dessen, was darüber schon stand, da muss ich hoffentlich nicht viel erklären.
So, und das war nur der Abstract. Aber da habe ich viele grundlagen erklärt, ich denke mal, der rest geht etwas schneller (und ich werde auch nicht jeden Satz auseinandernehmen, zumal ich bestimmt nicht jeden Satz verstehe, besonders, wenn es um Signalrauschen und so angewandtes Zeug geht…)
Als nächstes kommt noch die doi-Nummer. Falls ihr das nicht kennt, hier die kurze Erklärung: Das ist der “digital object identifier”, damit kann man Veröffentlichungen eindeutig identifizieren und zuordnen. Ist in Internetzeiten ne praktische Sache (und Programme zur Verwaltung von Literatur auf eurem rechner brauchen nur ne doi und können dann eine Veröffentlichung finden).
So, jetzt kommt das paper selbst. Es beginnt mit einer Einleitung. Hier gibt es einen kurzen Abriss über die Geschichte der Idee der GW und der Schwarzen Löcher. Dann wird die Entdeckung des binären Pulsars PSR B1913+16 beschrieben. Da umkreisen sich zwei Neutronensterne und verlieren dabei Energie. Diese Energie musste als GW abgestahlt worden sein. Damit hatte man in den 90er jahren schon einen deutlichen Hinweis auf GW, aber man hatte die Wellen halt nicht direkt nachgewiesen. Abschließend wird auf frühere Experimente zu GW eingegangen. Insgesamt eine rundum gelungene Einleitung, die die wichtigsten Stationen Revue passieren lässt. (Ich erzähle jetzt aber nicht zu all diesen Stationen Details, sonst schreibe ich noch nächste Woche an diesem Artikel…)
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