Was bedeutet es eigentlich , wenn sich der Raum verzerrt? Was würde mit Materie passieren, wenn die Verzerrung des Raumes sehr groß wäre?
O.k., auch wenn die Antwort drüben bei meiner Fragen-Seite zeigt, dass so starke Verzerrungen zumindest bei diesen beiden Schwarzen Löchern erst in unmittelbarer Nähe auftreten – wir können uns ja trotzdem vorstellen, eine Metallstange würde von einer gigantischen Gravitationswelle getroffen. Was würde dann passieren?
Die Antwort darauf ist etwas länger, deswegen spendiere ich ihr einen eigenen Post, sonst wird es drüben zu unübersichtlich. (Außerdem scheffle ich dann säckeweise Geld wegen der Extraklicks, muahahah (Träum weiter, Martin…))
Man macht sich hier gern eine falsche Vorstellung, die etwa so aussieht: Wenn der Raum sich staucht, dann werden alle Objekte zusammengequetscht, und weil man sich den Raum als etwas ganz fundamental Grundlegendes vorstellt (ist er ja auch, aber nicht so), denkt man, dass die armen Objekte sich dagegen nicht wehren können. (Eine ähnliche – falsche – Vorstellung macht man sich auch gern bei der Expansion des Universums, habe ich auch mal erklärt.)
Aber so ist es nicht. Ihr seid ja nicht fest an irgendwelche Raumpunkte angeheftet – sonst könntet ihr euch nicht bewegen. Objekte können sich aber ja mit beliebiger konstanter Geschwindigkeit bewegen, auch wenn überhaupt keine Kräfte wirken (das ist das erste Newtonsche Gesetz, das ihr aus der Schule vermutlich kennt).
Um genauer zu sehen, was passiert, stellt euch erst einmal zwei Atome vor. (das Modell habe ich auch schon in einem etwas anderen Zusammenhang mal verwendet, um die Allg. Relativitätstheorie zu erklären.) Nehmt an, die Atome wären überhaupt nicht aneinander oder an anderen Atome gebunden und könnten sich frei bewegen. (Und nehmt weiter an, dass wir im Vakuum sind, so dass die Atome auch nicht runterfallen.) Wenn sie am Anfang in Ruhe sind, bleiben sie auch in Ruhe. (In der Sprache der Allgemeinen Relativitätstheorie würde man sagen: Sie sind im freien Fall, und wenn keine Schwerefelder wirken heißt das, sie bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit. In diesem Fall ist die Geschwindigkeit Null.) Würden sie sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, so würde sich diese Geschwindigkeit nicht ändern.
Jetzt werden sie von der Gravitationswelle getroffen (ich nehme mal wieder das Bild von Markus Pössel :
Stellt euch vorm vorne sind zwei der roten Punkte die beiden Atome. Die beiden bewegen sich aufeinander zu. Warum tun sie das? Weil sie eigentlich in Ruhe sind und frei fallen. “Frei fallen” bedeutet aber, wenn sich der Raum verzerrt, dass sie diese Bewegung des Raums mitmachen. Die beiden Atome bewegen sich also genau so wie die roten Punkte im Bild.
Jetzt stellt euch vor, die Atome sind doch miteinander verbunden, weil sie zum Beispiel zu einer Metallstange gehören. (In der Mitte des Bildes haben wir sieben rote Punkte, die könnt ihr euch als Atome der Metallstange vorstellen.) Am Anfang sind alle Atome in ihrem Gleichgewichtsabstand, dem Abstand, den sie eben in einem Metall haben. Da sind sie in Ruhe (wir ignorieren mal, dass sie bei endlichen Temperaturen immer ein wenig schwingen) und sind somit insgesamt kräftefrei.
Jetzt kommt die Welle an. Das Atom ganz rechts wird jetzt von der Welle nach innen beschleunigt, auf das Atom daneben zu. Diese Beschleunigung verringert den Abstand der Atome. Aber jetzt kommt natürlich ins Spiel, dass die Atome ja einen Gleichgewichtsabstand haben – sie wehren sich also dagegen, enger zusammen zu rücken. Physikalisch etwas sauberer formuliert: Es wirkt eine abstoßende Kraft auf das Atom, die der Beschleunigung nach Innen entgegenwirkt.
Auf das Atom wirkt jetzt also die Beschleunigung durch die Gravitationswelle und die Gegenkraft durch die Atombindung, die das Atom wieder in die Gleichgewichtslage zurückdrängen will. Das Atom bewegt sich also nach Innen (auf das Nachbaratom zu), wird aber in dieser Bewegung gebremst.
Nehmen wir erst mal an, die Verzerrung des Raums ist einigermaßen klein – sagen wir, sie beträgt 0,1% (Eine Strecke von 1 Meter wird also um 1 Millimeter gedehnt oder gestaucht.) Selbst wenn diese Verzerrung sich vollständig auf die Atome im Metall übertragen würde und sie dieser Verzerrung frei folgen würden, wäre die Dehnung im Material dann immer noch so klein, dass es sich rein elastisch verformt. (Plastische Verformung beginnt bei etwas größeren Dehnungen von 0,2% bis so etwa 1% bei hochfesten Federstählen oder Titanlegierungen).
Wir haben dann eine Metallstange, die von der Gravitationswelle zu Schwingungen angeregt wird. Die Atome werden sich mit der Gravitationswelle mitbewegen, also schwingt unsere Metallstange. (Wie stark sie genau schwingt, hängt von den Details des Materials, der Eigenschwingfrequenz der Stange und so weiter ab.) Weil die Gravitationswelle viele Schwingungen macht, schwingt unsere Stange irgendwann mit derselben Frequenz wie die Welle. Die Welle, die gerade gemessen wurde, hatte eine Frequenz zwischen 35 und 250 Hertz, man könnte das Schwingen der Metallstange also möglicherweise hören. (Anders als zum Beispiel eine Saite in einem Klavier schwingt die Stange aber in ihrer Längsrichtung, nicht quer.)
Zerstört würde unsere Metallstange durch diese Prozedur aber nicht, weil sie mit der Welle mitschwingen kann – elastische Schwingungen machen ein Material nicht kaputt.
Aber was, wenn wir die Amplitude der Welle noch größer machen, so dass die Dehnungen größer werden? Damit man hier sinnvolle Zahlen ausrechnen kann, muss man die Länge der Stange berücksichtigen. (Ich gebe zu, dass ich ne Weile gebraucht habe, um das zu merken…) Die Kräfte, die unsere Stange zerreißen sollen, sind Gezeitenkräfte, die also dadurch zu Stande kommen, dass die Raumkrümmung auf unterschiedliche Bereiche der Stange unterschiedlich wirkt. Je weiter die beiden Enden auseinander sind, desto größer ist der Unterschied in der Beschleunigung (das könnt ihr an den roten Punkten oben in der Wellenanimation gut sehen). Eine lange Stange wird also leichter zu zerreißen sein als eine kurze. Ich habe versucht, das grob abzuschätzen (die Rechnung findet ihr am Ende des Textes). Nach dieser Rechnung müsste man ziemlich dicht an die beiden Schwarzen Löcher heran (so auf etwa 10000 Kilometer Entfernung), bevor die Kräfte auf die Stange stark genug werden. (ACHTUNG: Ich habe die Rechnung so in keinem Buch gefunden und es ist denkbar, dass ich völlig falsche Annahmen gemacht habe. Ich warne ausdrücklich davor, diese Ergebnisse irgendwie weiterzuverwerten.)
Prinzipiell ist es aber natürlich möglich, dass eine Gravitationswelle den Raum so stark verzerrt, dass sie ein Objekt zerreißen kann. Wenn meine Abschätzung unten stimmt, dann müssen die Dehnungen dazu aber ziemlich groß sein – bevor die Gravitationswelle euch zerreißt, zerreißen euch wahrscheinlich die sonstigen Gezeitenkräfte der Schwarzen Löcher, weil sie an euren Füßen stärker ziehen als an eurem Kopf, wenn ihr mit den Füßen zu den Schwarzen Löchern zeigt, einfach, weil die Füße etwas dichter dran sind.
Natürlich kann man sich auch noch stärke Gravitationswellen vorstellen – theoretisch könnten ja auch zwei riesige Schwarze Löcher, wie man sie im Zentrum von Galaxien findet, kollidieren. (Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass so etwas tatsächlich passiert, ist aber unglaublich winzig.) Dann könnte man vermutlich tatsächlich Gravitationswellen erzeugen, die so stark sind, dass sie materielle Objekte zerreißen können. Auch hier ist es aber vermutlich so, dass andere Gravitationseffekte wesentlich stärker sind.
Fazit: Ja, Gravitationswellen können Objekte verformen. Man muss bei der Anschauung aber immer im Kopf haben, dass “der Raum wird gedehnt oder gestaucht” nicht bedeutet, dass auch jedes Objekt in gleicher Weise gedehnt oder gestaucht wird – die Bindungskräfte halten gegen die Beschleunigungen gegen. Um mit einer Gravitationswelle ein Objekt zu zerstören, bräuchte man Wellen von extremer Intensität und müsste sich sehr dicht am Ursprung der Wellen aufhalten. Ich mache mir aber keine Illusionen: Es wird nicht lange dauern, und wir werden den ersten Science-Fiction-Film sehen, wo jemand mit einer Gravitationswellen-Waffe um sich ballert um Menschen oder Planeten zu zerlegen. Soweit ich sehe ist das aber genau das: Science Fiction.
Auf der nächsten Seite die ganz grobe Schätzung. Ich übernehme keine Garantie, dass ich hier nicht völligen Quark ausgerechnet habe – falls jemand ne Quelle hat, wo das sauberer durchgerechnet wird, immer her damit.
Nehmen wir an, die beiden Enden der Stange sind zwei Meter auseinander, bevor die Gravitationswelle auftrifft. Ich mache jetzt mal eine ganz grobe Näherung, um die Zahlen abzuschätzen. Ich tue so, als bestünde die Stange aus zwei Teilen, die gegeneinander beschleunigt werden. Die jeweiligen Kräfte müssen dann in der Mitte der Stange übertragen werden, dabei darf die Stange nicht zerreißen.
Die Beschleunigung der beiden Teilmassen gegeneinander ist gegeben durch die Frequenz der GW und ihre Amplitude. Nennen wir die Dehnungsamplitude der Welle mal e. (Oben war also e=0,1%=0,001.) Wenn die beiden Massen-Punkte, mit denen ich die Stange grob beschreibe, eine Entfernung von 1 Meter haben, dann entfernen sie sich bei einer Dehnung von e um genau e Meter (also bei z.B. 1% um einen Zentimeter). Bei einer Stange der Länge L ist die Amplitude entsprechend L⋅e
Um die Beschleunigung der beiden Massen auszurechnen, muss ich auch noch die Frequenz der Welle kennen. Bei einer Welle mit Kreisfrequenz ω und Amplitude A ist die maximale Beschleunigung, wenn ich mich nicht vertue, a=A⋅ω². (Achtung, ich nehme hier bei dieser Abschätzung an, dass die Frequenz klein genug ist, dass die “Verformungsinformation” von einem Ende der Stange zum anderen kommt. Bei sehr hohen Frequenzen würden die beiden Enden der Stange beschleunigt werden, ohne dass auch nur ne Schallwelle bis in die Mitte kommt, dann wir die Sache komplizierter.)
Die Kraft, die auf jede Hälfte der Stange wirkt, ist dann nach dem zweiten Newtonschen Gesetz F=m⋅a=m⋅A⋅ω².
Um das mit der Materialfestigkeit in Beziehung zu setzen, brauche ich den Querschnitt der Stange. Nehmen wir an, der ist S (zahlenwert egal, der kürzt sich gleich eh raus), dann ist die Masse jeder Hälfte m=ρS L/2 (hier steht L/2, weil die ganze Stange ja zwei Meter lang war, jede Hälfte dann einen Meter.) Dabei ist das ρ die Dichte des Materials.
Die Spannung die durch unsere bewegten Massen hervorgerufen wird, ist gleich Kraft pro Fläche (ihr seht, das S kürzt sich wieder raus). Also ist die Spannung
ρ ⋅A⋅ω²L/2.
Ein Material zerreißt dann, wenn die Spannung zu groß wird. Die maximale Spannung, die ein Stück Eisen oder Stahl ertragen kann, ist (je nach genauer Art der Legierung) irgendwo zwischen 300 und 1500 Megapascal (ein Megapascal ist ein Newton pro Quadratmillimeter). Nennen wir diese Spannung σ. Dann haben wir insgesamt als Bedingung dafür, dass das Material durch die GW zerreißt:
σ < ρ ⋅A⋅ω² L/2
Die Amplitude A war ja wiederum e⋅L, insgesamt bekommen wir also
σ < ρ ⋅e⋅ω² L²/2
Setzen wir ein paar Zahlen ein. Die maximale Spannung sei 500MPa, die Dichte von Stahl ist etwa 8000kg/m³, und die Stange sei einen Meter lang. Dann bekommen wir als kritische Grenze e⋅ω² > 125000. Das Signal des binären Schwarzen Lochs hatte ne Frequenz von 250 Hertz, um unsere Stange zu zerreißen bräuchten wir also eine Dehnungsamplitude von 200%. Das ist dann schon so viel, dass die Rechnung hier nicht mehr passt, weil man so starke Gravitationsfelder nicht ohne weiteres mit ner einfachen Wellengleichung beschreiben kann.
Aber das ganze geht ja mit dem Quadrat der Länge. Wenn wir ne Stange nehmen, die einen Kilometer lang ist, dann genügt nach dieser Schätzung eine Amplitude von 2 mal 10^-6. Das ist ziemlich wenig – und auch nicht relevant, denn so kleine Dehnungen kann unser Material zum einen problemlos elastisch abfedern, zum anderen gilt bei einer so langen Stange die Bedingung nicht mehr, dass die Frequenz hinreichend klein sein muss, damit die beiden Seiten des Materials überhaupt von der gegenseitigen Beschleunigung etwas merken (die Schallgeschwindigkeit in Stahl ist etwa 5000m/s).
Hier noch eine etwas andere Rechnung, die zum selben Ergebnis kommt: Ich nehme An, dass mein Stab die Länge L hat, dann erstreckt er sich z.B. von -L/2 bis +L/2. Ich betrachte den Punkt in der Mitte des Stabs als in Ruhe befindlich. Die rechte Seite des Stabs erfährt eine Beschleunigung von a=e⋅ω² L/2 gegenüber dem Mittelpunkt. Ein Element des Stabs im Abstand x (zwischen 0 und L/2) hat eine Beschleunigung a(x) = 2 a x/L. (Sie ist linear mit dem Abstand und bei L/2 gleich a.)
Die Kraft auf dieses Stück ist F=ma(x)=ρ S dx 2 x a/L. (ρ S dx ist die Masse.)
Alle diese Kräfte werden auf das Stück in der Mitte übertragen, also ist die Kraft dort
F0= ∫0L/2 ρ S dx 2 x a/L = ρ S a L = ρ S e⋅ω² L²/2.
Für die Spannung kommt also exakt dasselbe raus wie oben.
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