Neulich habe ich ja kurz das Spiel “Quantum Moves” vorgestellt. Vielleicht habt ihr es ja auch schon ausprobiert und den einen oder anderen High-Score geknackt. In diesem Artikel schaue ich ein wenig auf die Physik des Spiels und welche Phänomene der Quantenmechanik man dabei erleben kann (die zu verstehen, kann im Spiel durchaus helfen).
Generell seht ihr (als magentafarbige, herumschwappende “Flüssigkeit”) eine Darstellung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons, die angibt, wo sich das Elektron aufhält. (Details findet ihr z.B. in meiner Serie zur Schrödingergleichung, klickt rechts bei den Artikelserien.) Ich bezeichne das auch gern – aus der Chemie entlehnt – als das “Orbital” des Elektrons. (Auch wenn man meist unter “Orbital” die Wellenfunktion des Elektrons versteht, ich finde es aber unglücklich, zwei Begriffe für dieselbe Sache zu haben und keinen prägnanten Begriff für die Wahrscheinlichkeitsverteilung.)
Außerdem seht ihr noch das Potential – die durchgezogene hellblaue Linie, die typischerweise am Anfang an einer Stelle ein Minimum hat und aussieht wie eine Parabel. Am Anfang des Spiels sitzt das Elektron in diesem Bereich fest und befindet sich dort (außer im letzten Level) im Zustand niedrigster Energie.
Die Energie eines Elektrons im Grundzustand eines Topfs hängt von zwei Dingen ab: von der Tiefe des Topfs (je tiefer, desto kleiner ist die potentielle Energie) und von der Breite (je breiter, desto kleiner ist die kinetische Energie). Das Elektron kann sich auch in angeregten Energiezuständen befinden (das ist der Fall im letzten Level, da ist das Elektron im ersten angeregten Niveau, was man daran sieht, dass das Orbital in der Mitte den Wert Null hat). Denn nach der QM ist nicht jeder Wert der Energie erlaubt – die Energie ist quantisiert, jedenfalls, solange euer Elektron an das Potential gebunden ist. Und da ihr das Elektron kontrolliert durch die Gegend transportieren sollt, solltet ihr versuchen, es energetisch nicht zu stark anzuregen, sonst “schwappt” es aus dem Potentialtopf heraus.
Sobald ihr das Potential verändert, merkt ihr, dass das Orbital anfängt, zu oszillieren. (Man kann das auch vermeiden, dazu später mehr.) Jetzt befindet sich das Elektron nicht mehr in einem bestimmten Energieniveau, sondern in einer Überlagerung mehrerer Zustände. In so einem Überlagerungszustand ist das Orbital nicht mehr stationär. Je stärker ihr am Potential herumwackelt, um so mehr Beiträge gibt es von Zuständen höherer Energie und um so wilder oszilliert das Orbital herum. Auch das gilt es typischerweise zu vermeiden, denn das Ziel ist es, das Elektron am Ende nicht nur in die Zielregion zu befördern, sondern auch und vor allem, es dabei im energetisch günstigsten Zustand zu haben. Die “fidelity”, die ihr oben als Zahl eingeblendet seht und die durch die Anzeige an dem Knopf, den ihr verschiebt, dargestellt wird, ist genau ein Maß dafür, wie groß der Anteil des energetischen Grundzustands am Gesamtzustand ist. Es nützt also nichts, das Elektron zwar in den Zielbereich zu transportieren, wenn es dabei zu hoch angeregt ist, dafür gibt es keinen High Score. (Am drastischsten ist das beim letzten Level, da gibt es keinen Zielbereich, die Aufgabe ist nur, das Elektron vom ersten angeregten in den Grundzustand zu bekommen. Ich bin da aber bisher nicht über etwa 45% hinausgekommen.)
Wenn ihr die Tiefe eines Potentialtopfs ändert, indem ihr ihn nach unten zieht, dann seht ihr, dass das Orbital anfängt, stärker zu oszillieren. Das liegt wie oben erklärt schlicht daran, dass das Elektron jetzt – beim tieferen Potentialtopf – weniger Energie braucht, um sich im Topf aufzuhalten. Es hat also zu viel Energie, so dass Zustände höherer Energie zum Gesamtzustand beitragen. Ihr könnt das Problem aber umgehen, indem ihr das Adiabatentheorem der QM ausnutzt. Das besagt, dass ein System, das sich im Grundzustand befindet, im Grundzustand bleibt, wenn sich das System nur langsam ändert. Wenn ihr den Potentialtopf also sehr langsam nach unten zieht, dann bleibt das Elektron im Grundzustand, es hat jetzt weniger Energie als vorher. Beim Spielen selbst könnt ihr das nur bedingt ausnutzen, weil die Zeitbegrenzung dem einen Riegel vorschiebt, aber ihr könnt es trotzdem einmal ausprobieren – und bei einigen Aufgaben kann man den Effekt in der Tat ganz gut ausnutzen, beispielsweise, wenn man zwei Potentiale zusammenführt.
Des öfteren müsst ihr ein Elektron vorsichtig aus seinem Potentialtopf herausholen und in einen zweiten Topf befördern. Das geht am einfachsten (aber auch langsam) mit dem Tunneleffekt: Das Elektron kann von einem Topf in den anderen hinübertunneln. Dabei gelten folgende Spielregeln: ist das Elektron anfangs vollständig im einen Topf lokalisiert, dann tunnelt es im Laufe der Zeit vollständig in den zweiten Topf hinüber, solange die Tunnelbarriere einigermaßen hoch ist. (Wenn ihr sie zu niedrig macht, dann breitet sich das Elektron über die beiden Töpfe aus.) Mathematisch ist das übrigens identisch zum Verhalten zweier schwach gekoppelter Pendel, die ihr vielleicht mal im Physikuntericht gesehen habt:
Das Elektron tunnelt also vom einen Topf in den anderen, dann wieder zurück und immer so weiter. Mit etwas Geschick könnt ihr so tatsächlich das gesamte Orbital vom einen Topf in den anderen ziehen (ich hatte bei einem der Level mal 99,5% erreicht). Wie schnell das Elektron tunnelt, hängt von der Höhe der Barriere zwischen den beiden Töpfen ab – ist sie niedriger, geht es schneller, aber dafür ist das Tunneln auch weniger “sauber” und ihr bekommt nicht das gesamte Orbital eingefangen.) Manchmal ist auch aus anderem Grund Vorsicht geboten – nicht immer haben die Potentiale exakt die gleiche Form. Wenn euer Potential ein bisschen enger ist, dann ist die Energie eines Elektrons im Grundzustand dadurch etwas größer – ihr könnt das kompensieren, indem ihr das Potential ein klein wenig tiefer zieht.
Ein Problem beim Spiel, insbesondere dann, wenn das Orbital anfängt zu oszillieren, ist auch, dass ihr in der Darstellung nur die Aufenthaltswahrscheinlichkeit seht – die genaue Zeitabhängigkeit eines oszillierenden Zustands wird aber durch die Wellenfunktion selbst bestimmt, und die ist eine komplexe Funktion (von der ihr nur das Quadrat seht). Eigentlich ist es soweit ich sehe gar nicht möglich, nur aus der Kenntnis des Orbitals (also der Aufenthaltswahrscheinlichkeit) zu einem Zeitpunkt die Zeitabhängigkeit vorherzusagen, aber da ihr seht, wie sich das Orbital selbst zeitlich verändert und da (zumindest, solange die Energie nicht zu groß ist) nicht all zu viele Zustände beitragen, kann man trotzdem ein ganz gutes Gespür bekommen, was das Elektron tun wird.
In dem begleitenden Nature-Artikel wird ja darüber nachgedacht, ob das bedeutet, dass Menschen eine Intuition für die QM entwickeln können (der Untertitel lautet “A computer game suggests that the human mind is adept at grasping the bizarre laws of quantum mechanics” – lustigerweise scheint der Text des online-Artikels sich geändert zu haben, da ist der Untertitel nicht mehr da, während das pdf den Untertitel noch enthält.). Ich halte das für problematisch. Was das Spiel zeigt ist, dass wir gut darin sind, eine Intuition für das Verhalten von Systemen zu entwickeln, die sich durch partielle Differentialgleichungen beschreiben lassen. Das ist allerdings nichts Neues:
Auch so ein Band gehorcht einen ziemlich komplizierten partiellen Differentialgleichung, wenn man es durch die Gegend wirbelt, trotzdem schaffen die Sportlerinnen ziemlich komplexe Kunststücke damit. Die Differentialgleichung, die hinter dem Orbital steckt, ist zwar etwas anders gelagert (weil eine komplexe Funktion dahinter steht), aber soweit ich sehe, steckt nichts prinzipiell anderes dahinter.
Das Besondere an der QM ist aber ja gerade nicht die Schrödingergleichung als partielle Differentialgleichung. Das Besondere ist, dass die Schrödingergleichung beim “Messprozess” plötzlich nicht mehr uneingeschränkt gilt und dass hier eine Zufallskomponente ins Spiel kommt. Die Merkwürdigkeiten der QM wie der berühmte Doppelspalt beruhen darauf, dass die Wellenfunktion “kollabiert” und sich der Zustand eines Elektrons sprunghaft ändert (oder zu ändern scheint). Dieser Prozess wird im Spiel nicht abgebildet – er darf auch in einem Quantencomputer beim Manipulieren der Zustände nicht stattfinden, denn man will ja gerade die Überlagerung mehrerer Zustände ausnutzen. Insofern zeigt das Spiel zwar, dass Menschen gut darin sind, eine Intuition auch für Systeme zu entwickeln, die sich nach sehr komplexen Regeln verhalten, aber eine echte Intuition für die “bizarren Gesetze der Quantenwelt” steckt nicht dahinter. (Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich der Titel und Untertitel des Artikels geändert haben.)
Spaß macht Quantum Moves aber auf jeden Fall, und falls ihr es noch nicht ausprobiert habt, solltet ihr das vielleicht tun.
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