Die aktuelle Debatte über Triggerwarnungen hat es mal wieder gezeigt: Kritisiert man das Verhalten von Menschen oder legt ihnen Gründe nahe, ihr Verhalten zu ändern, gibt es immer Leute, die vehement widersprechen. Selbst wenn der Text nur argumentiert, man möge Verständnis für solche Warnungen haben, ist das für einige schon zu viel. Ich vermute, dass zumindest ein Grund dafür, warum manche Menschen so heftig reagieren, das ist, was ich für mich oft als “Gut-Böse-Fehlschluss” bezeichne. Praktischerweise habe ich dazu schon vor längerer Zeit einen Text geschrieben, den ich jedoch (weil er nicht ganz fertig geworden ist) nie freigeschaltet habe. Ich nehme die aktuelle Debatte mal zum Anlass, den Text jetzt doch (mit einigen Ergänzungen) fertigzustellen und zu posten, auch wenn der Anlass, aus dem heraus ich ihn geschrieben habe, alles andere als aktuell ist.
Die Geschichte von Tim Hunt und ihren* sexistischen Bemerkungen (“Let me tell you about my trouble with girls. You fall in love with them, they fall in love with you, and when you criticize them, they cry!”) ist ja vermutlich den meisten noch in Erinnerung – falls nicht, hier eine kurze Zusammenfassung bei geograffitico. Über den Fall als solches will ich auch gar nicht weiter reden, da ist vermutlich alles gesagt, und dass die Bemerkungen sexistisch sind (und auch die Ausrede “es war nur ein Witz” daran nichts ändert), merkt man sofort, wenn man sie auf andere Gruppen mit entsprechenden Stereotypen überträgt und schaut, wie das wirkt, z.B.: “Lassen Sie mich etwas über meine Probleme mit Juden sagen – entweder überträgt man ihnen von selbst die Finanzen, oder sie reißen sie an sich; und wenn man sie kritisiert, fühlen sie sich gleich verfolgt” – ja das ist total witzig… Das ganze wird übrigens auch nicht besser, wenn man es im Zusammenhang liest – damit zu kokettieren, ein “chauvinistisches Monster” zu sein, ist auch nicht gerade lustig. (Die Details spielen aber für diesen Text keine Rolle – wer sich über die angebliche “Verfolgung” von Tim Hunt aufregen will, kann das gern anderswo tun.)
* Ja, auch heute wieder alles in grammatikalisch weiblicher Form, ich hoffe, es haben sich inzwischen alle dran gewöhnt…
Bei den Debatten zum Thema fällt für mich allerdings eins ins Auge: Insbesondere die Tim-Hunt-Verteidigerinnen argumentieren mit Beispielen aus Hunts professioneller Arbeit im Labor, um zu zeigen, dass Hunt keine Sexistin ist. Ein Beispiel dafür ist ein Text in Nature durch eine ehemalige (weibliche) Mitarbeiterin, die man hier frei zugänglich lesen kann. [Die ist allerdings schon insofern seltsam ist, als die Autorin als Beispiel zur Entlastung erzählt, wie Hunt bei einer Konferenz einen Witz über ihre Kleidung gemacht hat (“I was so embarrassed.”) – klar, an Witzen über die Kleidung von Frauen ist nichts sexistisch…] Nichtsdestotrotz schreibt die Autorin weiter “I know him well and can say that he is not sexist.” und “I know that he engaged with the problem of discrimination against women scientists and supports efforts to tackle it.”
In dieser (und anderen) Verteidigungen und Rechtfertigungen manifestiert sich für mich ein logischer Fehlschluss, weil dahinter ein binäres Denken steht – entweder jemand ist eine Sexistin, oder eben nicht. In meinem Augen ist das aber deutlich zu simpel gedacht.
Um das weiter zu illustrieren, nehme ich ein persönliches Beispiel: Ich habe kürzlich ein Buch gelesen, das zu Anfang in Afrika (etwa 150 Jahre in der Zukunft) spielte – die beiden Protagonistinnen hießen “Geoffrey” und “Sunday”. Es dauerte so etwa 20 Seiten, bis mir klar wurde, dass ich beide automatisch und ohne nachzudenken als Menschen mit weißer Hautfarbe visualisiert habe – ohne dass die Hautfarbe jemals erwähnt wurde und obwohl das Buch wie gesagt in Afrika spielte und nichts (außer vielleicht den englisch klingenden Namen) darauf hindeutete, dass die beiden nicht afrikanischer Abstammung waren und entsprechend eine dunkle Hautfarbe hatten. (Die Familiengeschichte wurde dann später thematisiert, und obwohl die Hautfarbe nie erwähnt wurde, spricht aus dem weiteren Verlauf des Buches alles dafür, dass beide in der Tat dunkle Haut hatten.) Ich habe also intuitiv angenommen, dass ein Mensch, dessen Hautfarbe nicht spezifiziert ist (und bei dem der Name keine klaren Rückschlüsse zulässt), deshalb weiß ist. Ein solcher Gedanke ist letztlich rassistisch.
Bin ich also eine Rassistin? Falle ich in die gleiche Kategorie wie die Leute, die sich aufregen, wenn eine Person, deren Hautfarbe in einem Buch nicht spezifiziert wird, durch eine Schwarze dargestellt wird (wie in diesem Fall hier)? Und in die gleiche Kategorie wie jemand, der Menschen mit dunkler Hautfarbe verachtet, sie nicht einstellen oder als Nachbarn haben wollen würde? Dürfte mir jemand zu Recht vorwerfen, Rassistin zu sein?
Meiner Ansicht nach ist das schlicht die falsche Fragestellung – bei mir genau so wie bei Tim Hunt.
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