Da wir es normalerweise eben nicht merken, wenn Kräfte auf uns wirken und da wir eine Bewegung im freien Fall (lokal) in keiner Weise von einer Situation unterscheiden können, in der wir irgendwo fernab jeder Schwerkraft oder sonstiger Einflüsse im Weltall schweben, sagte Einstein: O.k., wenn wir im freien Fall sind, dann wirken also keine Kräfte auf uns. Den Apfel, der gerade vom Baum fällt, beschreiben wir also korrekterweise nicht mit dem zweiten Newtonschen Gesetz (Kraft ist Masse mal Beschleunigung), sondern mit dem ersten Gesetz, denn er ist kräftefrei.
“Äh, ‘tschuldigung, Albert, aber ist dir schon mal aufgefallen, dass ein frei fallendes Objekt seine Geschwindigkeit ändert? Sowas nennt man doch wohl eine Beschleunigung, oder nicht?” Ja, dieser Einwand liegt nahe und ist berechtigt.
Aber wir können trotzdem an Einsteins Idee festhalten – dazu müssen wir “nur” neu definieren, was es bedeutet, sich gleichförmig zu bewegen. Unter anderem deshalb hat Einstein das Konzept der gekrümmten Raumzeit eingeführt (und wenn ihr rechts bei der Tag-Wolke klickt oder die Suchmaske bemüht, findet ihr einen Haufen Artikel zum Thema) – in der gekrümmten Raumzeit ist der “geradeste und gleichförmigste” Weg der, bei dem der Apfel zur Erde fällt. (Vornehm sagt man “Der Apfel folgt einer Geodäte”.)
Der frei fallende Apfel folgt der geradesten Bahn in der gekrümmten Raumzeit, die es für ihn gibt – und genau deswegen merkt der Apfel auch nichts von irgendwelcher “Schwerkraft”. (Relativ ausführlich habe ich gerade in einer kleinen Artikelserie erklärt, wieso aus der Einsteinschen Theorie dasselbe rauskommt wie bei Newton.) Für ihn gilt also jetzt das erste Newtonsche Gesetz.
Wenn der Apfel dagegen still und ortsfest am Baum hängt, dann folgt er eben nicht der geradesten und gleichförmigsten Bahn, die es für ihn gibt – dann müsste er nämlich runterfallen. Der Stängel und der Ast üben eine Kraft auf ihn aus, und jetzt wird er beschleunigt, nämlich von der Bahn weg, die er sonst eigentlich nehmen würde. Für uns sieht es so aus, als ob der Apfel ortsfest und ohne jede Beschleunigung am Ast hängt – aber das liegt nur daran, dass wir auch die ganze Zeit beschleunigt werden, weil der Boden unter unseren Füßen uns daran hindert, unserer geradest-möglichen Bahn zu folgen. Der ruhig hängende Apfel ist also der, der beschleunigt wird, für ihn gilt das zweite Newtonsche Gesetz, obwohl er ortsfest ist.
Auch die Beschreibung nach Einstein kann man in einem Diagramm einzeichnen – das sieht etwas ungewohnt aus, weil die Diagrammachsen gekrümmt sein müssen, um die gekrümmte Raumzeit zu symbolisieren:
Hier ist die grüne Linie, die den Weg des Apfels darstellt, am Anfang gekrümmt, um der gekrümmten Raumzeit zu folgen, sobald der Apfel fällt, ist die Linie gerade. Der Weg des Apfels ist aber bei Einstein und Newton (fast) genau derselbe – messbare Unterschiede gibt es zwischen beiden Theorien nur, wenn das Schwerefeld bzw. die Raumzeitkrümmung groß ist (wie in der Nähe der Sonne) oder wenn wir die zeitliche Änderung von Gravitationsfeldern betrachten (wie bei Gravitationswellen).
Ausgehend von dieser Grundidee hat Einstein schließlich die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelt – die enthält natürlich noch ein klein wenig mehr als nur diese veränderte Betrachtungsweise. Aber die Grundidee ist die, die ich hier skizziert habe und die Einstein als den “glücklichsten Gedanken meines Lebens” bezeichnete: Ein frei fallender Apfel bewegt sich nach dem ersten Newtonschen Gesetz, ein ruhig am Baum hängender Apfel nach dem zweiten, und nicht andersherum.
PS: Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das Vertauschen der Newtongesetze gilt natürlich nur für die Schwerkraft: Wenn ihr in eurem Auto beschleunigt, dann gilt auch nach Einstein das zweite Newton-Gesetz mit F=ma – diese Beschleunigung hat nichts mit der Krümmung der Raumzeit zu tun.
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