Im ersten Teil dieses Artikels habe ich euch erzählt, wie man mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie die Energie einer Ansammlung von Atomen berechnen kann. Nicht erklärt habe ich, warum diese Zahl irgendwie nützlich ist und was man damit anfangen kann. Das tue ich deshalb heute, und zwar an einem Beispiel aus meiner eigenen Forschung.
Als Anwendung schauen wir auf Nickelbasis-Legierungen (manchmal auch “Superlegierungen” genannt – es gibt ein Buch zum Thema, das mit den Worten “Superalloys are indeed super” beginnt…). Solche Legierungen nutzt man beispielsweise in Gasturbinen, weil sie eine hohe Temperaturbeständigkeit haben. Es gibt eine ziemliche Menge an solchen Legierungen. Man kann die grob in zwei Klassen einteilen (aber nur sehr grob): es gibt die absoluten super-duper-Legierungen, die auch bei Temperaturen von 1000 Grad Celsius noch ziemlich fest sind und die man beispielsweise für Turbinenschaufeln nimmt, Nachteil bei denen ist, dass die sich nicht umformen lassen – man gießt sie deshalb gleich in die Form, die man am Ende braucht (da gibt es ziemlich raffinierte Methoden, bei denen man beispielsweise die ganze Schaufel als einen einzigen riesigen Kristall züchtet, aber das ist heute nicht das Thema). Solche Legierungen (naheliegenderweise heißen die “Gusslegierungen”) eignen sich für kleine Bauteile, aber für die größeren Teile in einer Turbine ist Gießen nicht mehr sinnvoll möglich, solche Teile muss man schmieden.
Schmiedlegierungen sind nicht ganz so temperaturbeständig, aber die kommen auch nicht mit dem heißen Gas in der Turbine in Kontakt und bleiben deswegen bei so eher 700 Grad vergleichsweise “kühl”. Dafür kann man sie umformen, also schmieden. Schmieden tut man sie bei Temperaturen von knapp 1000 Grad (alles in Celsius), da sind diese Legierungen nämlich vergleichsweise “weich”. Der Grund dafür ist der, dass sich bei niedrigeren Temperaturen kleine Partikel in der Legierung ausscheiden, die die Legierung fest machen (wie das geht, habe ich zum Beispiel hier und hier mal erklärt). Diese Partikel bestehen aus einer Verbindung aus Nickel und anderen Legierungselementen, berühmt ist beispielsweise die sogenannte gamma-Strich-Phase aus Nickel und Aluminium. In dieser Phase sind Al und Ni ganz regelmäßig angeordnet, das ist energetisch günstig, hat aber den Nachteil, dass die Anordnung eine kleine Entropie besitzt. Bei hohen Temperaturen bestimmt die Entropie das Geschehen und die Teilchen lösen sich auf. (Auch das habe ich mal erklärt.) Die gamma-Strich-Teilchen sind gerade so temperaturstabil, dass sie bei Einsatztemperatur noch da sind, bei der Schmiedetemperatur aber nicht mehr, und nur deswegen ist das Material beim Schmieden überhaupt umformbar. (Die Gusslegierungen sind entsprechend anders, hier sind die härtenden Teilchen auch bei höherer Temperatur noch da, deswegen sind die Legierungen temperaturbeständiger, aber man kann sie genau deswegen auch nicht umformen.)
Also: zum Schmieden möchte man die Teilchen nicht haben, im Einsatz aber schon. Zusätzlich gibt es noch weitere Phasen, beispielsweise die delta-Phase (Nickel und Niob) und die eta-Phase (Nickel und Titan). Diese Phasen machen den Werkstoff nicht wesentlich fester, haben aber die Eigenschaft, dass sie verhindern, dass sich die Struktur des Werkstoffs bei hohen Temperaturen ändert. (Das erkläre ich jetzt nicht im Detail – sie verhindern eine Vergröberung der Körner, also der einzelnen kristallinen Bereiche in der Legierung.) Beim Schmieden möchte man also die gamma-Strich-Phase nicht haben, die delta- oder auch eta-Phase eigentlich aber schon. Diese Phasen müssen also stabiler sein als die gamma-Strich-Phase.
Wenn man Schmiedelegierungen jetzt noch temperaturbeständiger machen will (damit man die Turbine bei höheren Temperaturen betreiben kann), dann muss man die Zusammensetzung so ändern, dass die festigkeitssteigernde Phase auch bei etwas höheren Temperaturen noch stabil ist. (Expertinnenhinweis: In vielen Schmiedelegierungen spielt nicht nur die gamma-Strich, sondern auch die gamma-zwei-Strich-Phase eine wichtige Rolle zur Festigkeitssteigerung, und von anderen Phasen fange ich gar nicht erst an, die sind mir zu kompliziert. Mir geht es hier nur ums Prinzip, damit ihr versteht, was man mit der DFT-Methode machen kann, denn um die ging es eigentlich in diesem Artikel, falls ihr euch noch erinnert…) Das kann man durch Zufügen weiterer Elemente tun – es gibt Elemente, die die Energie der gamma-Strich-Phase weiter absenken (sie also energetisch noch günstiger machen) und die deshalb dazu führen, dass die sich weniger leicht auflöst; genau solche Elemente nutzt man auch in den Gusslegierungen.
Wir kippen also die passenden Elemente in unsere Legierung, aber dann laufen wir natürlich Gefahr, dass wir sie nicht mehr schmieden können, weil bei der Schmiedetemperatur noch zu viel von der härtenden Phase vorhanden ist. Also müssen wir bei höherer Temperatur schmieden. Können wir ja machen, aber dann wiederum bekommen wir ein Problem mit der delta-Phase (oder eta-Phase, je nachdem), denn jetzt könnte sich die ja auflösen, die hat ja auch nur ne begrenzte Temperaturbeständigkeit. Um eine bessere Schmiedelegierung zu bekommen, müssen wir also sowohl die Energie der gamma-Strich als auch die der delta-Phase absenken, damit die gamma-Strich-Phase bei Einsatztemperatur stabil ist, die delta-Phase aber auch bei Schmiedetemperatur. Wir brauchen also passende Legierungselemente, die die Energien der Phasen so beeinflussen, wie wir das wollen.
Man kann natürlich Experimente machen, um den Einfluss von Legierungselementen auf die Phasen zu untersuchen (und das macht man auch). Man kann aber auch einfach (naja, ganz so einfach ist das nicht…) simulieren, und zwar genau mit der DFT-Methode. Wir berechnen also die Energie der delta-Phase mit unterschiedlichen Legierungselementen und knobeln damit heraus, welches Element die delta-Phase stabilisieren kann (also ihre Energie absenkt) und welches das nicht kann. Weil man gerade so schön dabei ist, macht man das auch noch für die eta-Phase, dann hat man einen guten Überblick.
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