Auch dieses Wochenende ist es wieder soweit, wer den Blog regelmäßig liest, kennt das schon: Die Snooker-WM spielt ihr Finale am Sonntag und Montag, und in Deutschland öffnen die Billard-Vereine ihre Tore für alle, die mal gucken wollen, warum dieser Sport viel cooler ist als alle anderen. Generelle Infos findet ihr bei der Billard-Union, wenn ihr in Braunschweig seid, könnt ihr bei mir im Verein (BSB) vorbeischauen, allerdings haben wir diesmal nur am Sonntag geöffnet. (Ich werde auch da sein, macht eigentlich jedes Jahr Spaß.)
Ich habe den Anlass in den letzten Jahren ja immer genutzt, um ein wenig über Snooker zu erzählen, die Regeln zu erklären usw. Meine Artikel findet ihr leicht mit unserer Suchfunktion.
Heute ist es mal wieder Zeit für ein paar Zahlenspielereien. Dazu brauchen wir nochmal ein paar Grundregeln des Snooker, insbesondere zur Zählweise. Ihr müsst, wenn ihr dran seid, immer zuerst eine rote Kugel versenken (die zählt einen Punkt), dann eine “farbige” Kugel (gelb, grün, braun, blau, pink, schwarz, ja beim Snooker ist schwarz ne Farbe, rot nicht…), die zählen 2-7 Punkte, je nach Farbe. Da sich die roten Kugeln am Anfang in der Nähe von Schwarz und Pink befinden und da die auch am meisten Punkte bringen, ist es zumindest bei den Profis so, dass die meist mit rot eine dieser höherwertigen Farben lochen. Für zwei Kugeln am Stück gibt es dann also im Mittel etwa 7 Punkte (1 für rot, 6 für blau, pink oder schwarz, wenn die ungefähr gleich oft dran sind, das nehme ich der Einfachheit halber mal an).
Wenn man viele Punkte am Stück schafft, nennt man das ein break (ich schaffe besonders gut die 1-Punkt-breaks…). Bei den Profis kommen auch breaks mit sehr vielen Punkte relativ häufig vor, die magische Grenze liegt bei 100, das macht dann ein Century. Um 100 Punkte zu bekommen, müsst ihr also so etwa 100 durch 7 mal 2 Kugeln lochen, das sind etwas mehr als 28. (Das Minimum wäre, wenn ihr jedesmal rot und schwarz locht, dann braucht ihr 26 Kugeln und kommt auf 104 Punkte (13*8).) Wir können jetzt ausrechnen, wie gut unsere Trefferquote sein muss, um das zu erreichen.
In einem typischen Profi-Match, das über 9 oder 11 Frames (quasi die Sätze beim Snooker, bis der Tisch leer ist oder eine Spielerin den Frame aufgibt, weil der andere zu viele Punkte hat) gespielt wird, sieht man heutzutage meist ein century, öfter auch mal 2 oder mehr. Wir können also annehmen, dass bei den Profis die Chance, ein Century zu spielen, so etwa bei 10 oder 20% liegt. Wie gut muss man die Kugeln lochen, um das zu erreichen?
Wir müssen 28 Kugeln ohne Fehler lochen, die Wahrscheinlichkeit dafür ist gleich der Wahrscheinlichkeit, eine Kugel zu lochen, hoch 28. Wenn die Wahrscheinlichkeit für ein century 15%, also 0,15 sein soll, brauchen wir also die 28te Wurzel aus 0,15, das ist 0.93, also 93%. 93% heißt, dass ihr von 100 Bällen 7 versägt, im Mittel also etwa jeden 14ten. Ist die Gesamtwahrscheinlichkeit für ein century bei 10%, ist die Quote pro Ball etwa 92%, ihr verpatzt 8 von 100.
Gestern beim Viertelfinale wurde für die beiden Spielerinnen (ja, ich benutze grundsätzlich weibliche Formen) Higgins und Trump eine Loch-Quote von 92% eingeblendet, die Zahlenspiele passen also so etwa. Wer ganz genau ist, kann sagen, dass die beiden Zahlen nicht ganz identisch sind: Die Lochquote gibt an, wie viele Bälle, die ihr zu lochen versucht, ihr auch tatsächlich locht. Wenn ihr euch im break aber irgendwo festspielt, dann versucht ihr danach nicht mehr, noch eine Kugel zu lochen, sondern spielt lieber einen Sicherheitsball. Die Zahl von 93 oder 92%, die ich oben ausgerechnet habe, ist also eigentlich die Wahrscheinlichkeit, eine Kugel zu lochen und danach auch eine Fortsetzung auf die nächste Kugel zu haben. Bei diesen sehr hohen Lochquoten macht das aber nicht mehr all zu viel Unterschied. Es zeigt aber, dass es unterschiedliche Stile geben kann, selbst wenn die Centuryquote am Ende gleich gut ist: Trump zum Beispiel locht auch extrem schwere Bälle ziemlich sicher, dafür gelingt es ihm oft nicht so gut, die Weiße Kugel für die nächste Kugel perfekt zu positionieren (was dann bedeutet, dass die auch wieder schwer zu lochen ist). Higgins ist vielleicht etwas schlechter im Lochen ganz schwerer Bälle, dafür positioniert er die Weiße Kugel meist sehr präzise genau an die richtige Stelle, das gleicht sich dann am Ende wieder aus.
Bisher habe ich angenommen, dass die Lochquote eine feste Zahl ist. Wer selbst irgendeinen Sport betreibt, weiß, dass sich das zumindest anders anfühlt: es gibt Tage, da gelingt scheinbar alles, und andere, wo man an der einfachsten Aufgabe scheitert. Gerade beim Snooker, wo es ja sehr auf die Konzentration ankommt, merkt man selbst schnell, dass man sich leicht selbst runterziehen kann: Wenn ein paar einfache Bälle nicht gelingen, wird man unsicher, ärgert sich, und dann geht erst recht nix. Andersrum gibt es Tage, da gelingt einem so ziemlich alles und selbst ich loche ein paar Kugeln hintereinander. Beim Basketball (nicht meine Sportart, aber statistisch gut untersucht) nennt man so was einen “hot streak” oder eine “hot hand”. Frühere statistische Untersuchungen haben diesen Effekt nicht nachweisen können – danach hatte jede Spielerin ihre persönliche Quote, und manchmal ist eben einfach eine Glückssträhne dabei, so wie man beim Würfeln auch mal mehrere 6en (oder 20en für Rollenspielerinnen) hintereinander würfeln kann. Neuere Untersuchungen zeigen beim Basketball allerdings anscheinend doch einen kleinen Effekt.
Snooker wäre für Untersuchungen dieser Art eigentlich super geeignet, weil man da leicht sehr genau Buch über jeden Ball führen und sehen kann, welche Erfolgsquote es jeweils gibt. (Die werden im Match auch gern eingeblendet, so wie der oben zitierte Locherfolg.) Ich vermute, dass man dan tatsächlich einen Effekt sehen würde – denn ich kann mich an mehrere fantastische Serien erinnern, wo eine Spielerin extrem viele Punkte hintereinander erreicht hat. Habe dazu gerade diese Seite hier gefunden. Danach gab es schon mehrfach in der Geschichte Spielerinnen, die 5 century breaks hintereinander gespielt haben. (Allerdings nicht direkt in einem match.) Die Wahrscheinlichkeit dafür wäre nicht 1:10000 – das ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass 5 centuries hintereinander gespielt werden, aber nicht alle von derselben Spielerin, die tatsächliche Wahrscheinlichkeit ist also noch kleiner, so etwa ein Faktor 16 (jedes der nachfolgenden centuries hat ne 50%-Wahrscheinlichkeit, von derselben Spielerin gemacht zu werden.) Higgins hat mal 4 centuries in Folge gespielt.
Es gibt also schon einige sehr extreme Leistungen – allerdings auch über die letzten 20-30 Jahre verteilt. Ob sich da wirklich ein statistischer Effekt nachweisen lässt, weiß ich nicht, das herauszurechnen würde erfordern, sich Gedanken darüber zu machen, wie viele Snookerframes pro Jahr von wie vielen unterschiedlichen Spielerinnen gespielt werden und und und.
Auf jeden Fall ist aber klar, dass es für einen selbst und die Zuschauerinnen so aussieht, als hätte man gerade einen “Lauf” oder “hot streak”. Und das bringt mich schließlich zu Homer.
Dass ich die Ilias sehr mag, habe ich ja schon mal anderweitig deutlich gemacht. In der Ilias gibt es das Konzept der “Aristie” (aristos= der beste)- exemplarisch im 5. Gesang, wo Diomedes von Athene quasi gesegnet wird und dann plötzlich im Kampf wahre Wunder verbringt, am Ende bekommt sogar Ares gründlich eins auf die Mütze, wobei der Speer von Athene gelenkt wird. (Eine modernere Variante gibt es im Herrn der Ringe, als Theoden vor Minas Tirith kämpft.) Dramaturgisch dient das laut Wikipedia dazu, auch Nebenfiguren hervorzuheben, die danach nicht mehr so prominent auftreten. Ich halte es aber zumindest für plausibel (ist natürlich reine und unwissenschaftliche Spekulation) dass dahinter eine ähnliche Beobachtung steht, wie wir sie deutlich entspannter und weniger blutig beim Sport sehen: Auch im Kampf mag es vorkommen, dass eine Kriegerin einen “hot streak” hat und plötzlich ungewöhnlich gut zu kämpfen scheint. (Und auch da wird es nicht einfach sein zu sehen, ob das statistisch wirklich haltbar ist.) Und wer das von Außen beobachtet hat, hat eben vermutlich nicht über Statistiken nachgedacht (das Konzept der Wahrscheinlichkeit war der handelsüblichen Kriegerin damals vermutlich eher fremd), sondern hat es als etwas besonderes gesehen, eben als einen göttlichen Einfluss.
So oder so: Auch ohne göttlichen Einfluss wird am Wochenende Snooker gespielt – wer weiß, vielleicht bekomme ich ja auch mal ne Aristie…
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