The Good
Entscheidend ist also anscheinend nicht die Beschleunigung, sondern etwas anderes. Das wird beispielsweise in dieser Grafik deutlich:
Von Wolfgangbeyer, CC BY-SA 3.0, Link
Hier seht ihr den Weg von Serena (B) bis in 3 Lichtjahre Entfernung mit einer Geschwindigkeit von 60% der Lichtgeschwindigkeit (die Zahlen sind also etwas anders als oben, weil ich zu faul war, das Bild neu zu zeichnen), eingetragen in einem Raumzeit-Diagramm. Auf der horizontalen Achse ist also der Ort (gemessen von Teresa aus) aufgetragen, auf der vertikalen Achse die Zeit, die für Teresa vergeht. Die Punkte liegen (auf der jeweiligen Achse) im Abstand von einem Jahr. Die roten und blauen Linien zeigen, welche Ereignisse für Serena jeweils zur selben Zeit stattfinden. (Sie sind also die Raumachse, die Serena verwendet.) Wenn Sie von Teresa (A) wegfliegt, dann sieht sie Teresa verlangsamt, die rote Linie, die bei Serenas zweitem Punkt (also nach zwei Jahren) liegt, trifft die senkrechte Achse, die Teresa beschreibt, an einem Punkt, wo für Teresa weniger als zwei Jahre vergangen sind. Umgekehrt zeigt eine horizontale Linie, die ihr euch bei Teresa zur Zeit nach zwei Jahren denkt, dass hier für Serena weniger als 2 Jahre vergangen sind, die Situation ist also symmetrisch. Auf dem Rückflug ist es ähnlich, auch hier könnt ihr euch leicht überzeugen, dass jede die anderen verzögert sieht (am einfachsten fangt ihr dazu oben an und guckt sozusagen in die Vergangenheit, dann ist das Bild ja genau symmetrisch).
Entscheidend ist aber – und das macht dieses Diagramm sehr schön deutlich -, dass es einen weiten Bereich von Ereignissen bei Teresa gibt, die für Serena mit gar nichts gleichzeitig sind. Und das hat nichts mit irgendwelchen Beschleunigungen zu tun, sondern nur damit, dass Serena ihr Bezugssystem wechselt. So ein Wechsel des Bezugssystems kann in der Physik oft zu scheinbaren Unstimmigkeiten in der Beschreibung führen, ein Beispiel dafür habe ich vor einiger Zeit hier erklärt. (Und hier ist die Auflösung.)
Das Zwillingsparadoxon kommt also durch einen Wechsel des Bezugssystems zustande – und da ist es egal, ob der durch Beschleunigung, Bewusstseinstransfer oder durch drei Brüder stattfindet. (Wikipedia zeigt übrigens auch noch eine Grafik, die den Fall einer kontinuierlichen Beschleunigung veranschaulicht – auch da sieht man nochmal, dass die SRT wirklich und tatsächlich kein Problem hat, mit Beschleunigungen zu hantieren.) Physikalisch ist das sicherlich eine sehr saubere und sinnvolle Erklärung, die kein bisschen in die Irre führt.
Allerdings ist “Wechsel des Bezugssystems” auf der anderen Seite auch nicht wirklich unmittelbar anschaulich. Deswegen folgt jetzt als Bonus (damit quasi besser als Clint Eastwood)
The Best
In meinem letzten Blogtext habe ich ja ein bisschen spielerisch die Idee der Raumzeit eingeführt. Wenn man diese Idee ernst nimmt, dann ist die Auflösung des Zwillingsparadoxons (zumindest für mich, andere Leute sehen das wohl anders, huhu Alderamin…) ein Kinderspiel.
Die Raumzeit können wir uns wie in dem Raumzeitdiagramm oben veranschaulichen – wir fassen sie als ein geometrisches Gebilde auf, in dem allerdings etwas seltsame Regeln für Abstände gelten. Ein Punkt in der Raumzeit (beispielsweise der Punkt A3 oben im Diagramm) kennzeichnet einen Ort und eine Zeit – sowas nennt man auch ein “Ereignis” – weil ich diesen Punkt dadurch spezifizieren kann, was genau an diesem Ort zu dieser Zeit passiert: “Um 20:19:38 berührt mein Finger die Taste ‘X’ meiner Tastatur”. Teresa folgt einer Linie in der Raumzeit, die zwei Ereignisse direkt auf geradem Weg verbindet. Serena dagegen geht nicht auf geradem Weg, sondern macht einen Umweg.
Dass ein gerader Weg eine andere Länge hat als einer der aus mehreren Stücken zusammengesetzt ist, ist uns im Raum vollkommen selbstverständlich – der gerade Weg ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. In der Raumzeit ist es ähnlich, nur dass hier der gerade Weg der ist, auf dem die maximale Zeit vergeht – wer einen Umweg geht, für den schlägt die Zeitdilatation (verbunden mit dem Koordinatenwechsel) zu, so dass weniger Zeit vergeht. In der Raumzeit ist der direkte Weg der, auf dem die meiste Zeit vergeht, während im Raum der direkte Weg der mit der kürzesten Strecke ist. Genau das hatte ich ja im letzten Blogartikel mit Anna Meise und Teresa Mite erklärt.
Der ominöse “Wechsel des Bezugssystems” bedeutet also schlicht, dass man zwei Abschnitte zur Messung verwendet, die entlang unterschiedlicher Richtungen liegen, und dann die gemessenen Längen einfach addiert. Wenn ich einen Kilometer nach Norden gehe, dann einen nach Osten, dann habe ich zwei Kilometer zurückgelegt, aber die Entfernung zwischen Start- und Zielpunkt beträgt eben nicht zwei Kilometer. Um Längen zu messen, muss man in einem Bezugssystem bleiben – es ist egal, wie ich mein Koordinatensystem wähle, wenn ich Achsen in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung habe, dann muss ich die beiden Stücke entlang der Achsen nehmen und den Abstand zwischen Start und Ziel korrekt berechnen (so wie Anna Meise in meinem letzten Blogtext), oder ich wähle meine Achse gleich in Nord-Ost-Richtung, dann sehe ich sofort, dass die Entfernung zwischen Start und Ziel 1,4142…Kilometer beträgt. Was ich aber nicht tun darf ist, mein Koordinatensystem nach Lust und Laune mal hierhin und mal dorthin zeigen zu lassen und dann anzunehmen, ich könnte die so gemessenen Längen einfach addieren.
Genauso wie ich auf meinem Weg erst nach Norden und dann nach Osten tatsächlich zwei Kilometer zurückgelegt habe, genauso sind für Serena auf dem Weg nach Alpha Centauri 6,4 Jahre vergangen (bei 80% Lichtgeschwindigkeit). Aber so wie ich nicht annehmen darf, dass diese zwei Kilometer die tatsächliche Entfernung der beiden Punkte sind (weil ich ja zwischendurch die Richtung gewechselt habe), genauso darf Serena nicht annehmen, dass für Teresa auch nur diese 6,4 Jahre vergangen sind. Wer den direkten Weg im Raum geht, sieht sofort, dass ich einen Umweg gehe. Wer – wie Teresa – den direkten Weg in der Raumzeit geht, sieht ebenso leicht, dass Serena einen Umweg in der Raumzeit geht.
Das Zwillingsparadoxon ist also letztlich nur die Aussage “Ein Umweg hat eine andere Länge als direkte Weg” – und daran ist nichts paradox, sondern es ist vollkommen selbstverständlich, egal ob im Raum oder in der Raumzeit.
Kommentare (1.039)