Ich verstehe auch nicht, was an der Verwendung von statistischen Methoden in der Psychologie und den Politikwissenschaften (im Eintrag in diesem Zusammenhang genannte Fächer), handelt es sich doch um ein sehr nützliches Instrument. Wird damit in diesen Disziplinen Schindluderei betrieben? Ja. Gibt es viele, die die Methoden benutzen ohne sie wirklich zu verstehen? Sicherlich. Doch das selbe gilt zum Beispiel oft auch in der medizinischen Forschung. Soll sie deshalb auf statistische Methoden verzichten? Niemand ausser vielleicht Homöopathen würden dies ernsthaft verlangen, da es trotz aller Unzulänglichkeiten, das beste ist, was uns zur Verfügunge steht. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, dass die Art und Weise wie die Autorin diesbezüglich den Begriff proof (Beweis) verwendet, nahelegt, dass sie diejenige ist, die diese Instrumente nicht ganz verstanden hat. Ich finde in diesem Kontext von “Beweis” zu schreiben eher befremdlich.
Zum Schluss noch die dritte Kritikebene: Die meines Erachtens falsche Dichotomie zwischen “harten” und “weichen” Wissenschaften. Ich stelle nicht in Frage, dass sich Untersuchungsobjekte wie Sozialverhalten oder literarische Texte sich klar von solchen wie Naturgesetzen oder chemischen Prozesse unterscheiden. Nur ist es nicht ein entweder oder. Die Mathematik kann diesbezüglich vielleicht auf die Physik runterschauen, welche wiederum die Geologie belächelt, die sich über der Biologie sieht, welche “härter” als die Archäologie ist, die sich wissenschaftlicher als die Ökonomie gibt, etc. In dieser Nahrungskette gibt es keine klaren Trennlinien, Ränder überlappen und die Methoden müssen der spezifischen Fragestellung angepasst und die Schlussfolgerungen entsprechend vorsichtig formuliert werden. In all diesen Fächern gibt es schlechte Forschung und überinterpretierte Resultate. Diese können aber nicht allgemein an der Kombination von Disziplin und verwendeter Methode festgemacht werden. Dies scheint die Blogautorin jedoch zu versuchen.
Die wissenschaftliche Methode schliesst in meinen Augen quantitative Ansätze ebenso mit ein wie qualitative. Wichtig ist die Transparenz, die Resultate nachvollzieh- und kritisierbar macht. Die Methode ist eine gemeinsame Sprache (und für viele ist das Abstrahieren bis auf das Niveau von Formeln und Zahlen eine solche). Eine derartige Kritik offeriert uns die Autorin des Blogposts aber nicht. Ihr reicht die Verknüpfung einer Methode mit einer ganzen Gruppe von Disziplinen. Doch ist nicht oft die gegenseitige Befruchtung an den Rändern verschiedener Disziplinen was zu den interessantesten und originellsten Forschungsansätze führt? Der Autorin scheint mehr einer Art methodischer Getthoisierung der Disziplinen vorzuschweben.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich teile die Kritik, dass nicht zuletzt in meinem Fach viel mit Statistiken zu blenden versucht wird und dass der Druck in Richtung quantitativen Methoden oft nicht zu besseren Resultaten führt, sondern eher das Gegenteil der Fall ist. Diese Kritik muss aber auf die spezifische Forschung bezogen werden. Oder eine disziplinbezogen Diskussion über methodische Prioritäten und Nutzen soll geführt werden (etwas was seit Jahren zum Beispiel in den Politikwissenschaften stattfindet). Was sicher nicht konstruktiv ist, ist ein Rundumschlag, der gleich einem ganzen Satz an Disziplinen der Nutzen quantitativer Forschung absprechen möchte. Das ist dann eher “Methode Broder”: Hauptsache provoziert, ob viel Ahnung des kritisierten Objektes oder nicht. Was Aufmerksamkeit schafft und sein applaudierendes Publikum findet muss seine Berechtigung haben. Eine wirkliche Diskussion bleibt hingegen leider auf der Strecke.
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