Gestern hat der britische Premier seine lang erwartete Europarede gehalten. Er kündetet an, EU erträge neu auszuhandeln und nach einer allfälligen Wiederwahl der Stimmbevölkerung als “drinnen bleiben” oder “raus” Fragein einem Referednum vorlegen. Ein guter Schachzug meinen einige. Ein kaum berechenbares Pokerspiel andere. Grund genug, den Vorstoss hier zu diskutieren. Es folgt ein kleiner Überblick als Starthilfe:

 

The Good

Ein Referendum über neu auszuhandelnde Verträge, wird Cameron liefern was er braucht: Erstens sind Referenda in der Regel populär. Wer will schon nicht direkt mitreden. Da es nach den Wahlen sattfinden soll, hofft er so natürlich auch gleich das Wahlkampfthema zu setzen und ein gutes Argument für sich zu liefern. Zweitens hat seine Partei eine lange, eine sehr lange Tradition in Euroskepsis. Mit diesem Vorschlag stellt er einige Hinterbänkler der Konservativen Partei ruhig. Drittens zwingt er so die anderen EU Mitglieder fast in eine Neuverhandlung. Sie müssen wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machen, da Ignorieren oder gar direkte Ablehnung eher schwierig sind. Viertens gibt er sich mit dem Referendum auch gleich ein wichtiges Argument für die Verhandlungen in die Hand. Nun kann er immer in Anspruch nehmen, dass die Britische Regierung natürlich gerne Flexibiliät und mehr Kompromissbereitschaft zeigen würde, dies aber in Anbetracht des zu kommenden Referendums halt einfach nicht möglich sei, weil ein solches Zugeständnis der Bevölkerung nicht schmackhaft gemacht werden könne. In der Schweiz gehört dieses Argument zum Standardrepertoire in Verhandlungen. Es ist das Äquivalent zu sich mit Handschellen an Schienen zu ketten und den Schlüssel wegzuwerfen. Selbst wenn man weggehen will, kann man nicht.

The Bad

Cameron ist nur bedingt innovativ als böser britisher EU Bube. Diese Form von Druckausübung und der Wunsch auf einen Sonderstatus in der Europäischen Union durch Grossbritannien kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die dann auch immer wieder von Pragmatismus aufgeweicht wurde.  Als nach dem zweiten Weltkrieg sich die EG Gründerstaaten zusammen fanden, stand das Vereinigte Königreich abseits. Man kreierte im Handelsbereich mit dem Europäischen Freihandelsabkommen (EFTA) sogar ein Gegenprojekt. Die Briten traten dann nach drei Beitrittsanträgen und Französischen Blockierungen 1970 doch bei. 1984 hat die damalige Premierministerin Thatcher eine Sonderbehandlung in Form eines Rabatts für die Briten durchgesetzt, was die Landwirtschaftsunterstützungsgelder betrifft. Grossbritannien ist nicht Mitglied des Schengener Abkommens und zeigt keine Absichten, das Pfund durch den Euro zu ersetzen (was übrigens die Französischen Reaktionen auf die Rede, es dürfe keine “EU à la carte” geben, etwas hohl erscheinen lässt). Um eine britische Sonderbehandlung geht es am Ende auch und nicht um ein europäisches Reformprojekt. Zumindest trifft dies sicher auf die Hinterbänkler zu, denen Cameron mit seinem Vorstoss entgegen kommen möchte.

The Ugly

Hier geht es um das Element des Pokerspiels in Camerons Vorschlag. Aussenpolitik per Referenda ist eine gefährliche Angelegenheit. Auch davon kann die Scheiz ein Lied singen. Volksentscheide sind immer auch unberechenbar, können langfristige Planung und die besten Strategien über den Haufen werfen. Gerade die EU ist ein sehr emotionales Thema und darum wird vermutlich eher über vermeintliche Bananenkrümmungsregulierungen und Haggisverbote abgestimmt als über tatsächliche Probleme, grundlegende Fragen zur europäischen Einigung und neuausgehandelte Verträge. Cameron hat eine Dynamik in Gang gesetzt, die er nun nicht mehr kontrolliert. Die Stärke (siehe “viertens” unter “The good”) kann ebenso zur Schwäche werden. Auch die Reaktion der Verhandlungspartner ist schwer vorauszusehen. Diese Verhandlungen werden vieles überschatten und andere wichtige Fragen in den Hintergrund treten lassen in den kommenden Jahren. Viel Energie wird dafür aufgewendet werden müssen, die nun leicht angesäuerten EU Kolleginnen und Kollegen wieder freundlich zu stimmen. Dazu kommte, dass man meinen könnten, dass die britischen Konservativen zu registrieren verpasst haben, dass die EU von 2013 nicht mehr die EU von 1980 ist. Sie ist grösser, integrierter und vielfältiger. Vielleicht braucht das Vereinigte Königreich die EU inzwischen mehr, als die EU das Vereinigte Königreich noch braucht. Gerade die britische Wirtschaft würde vermutlich nach einem Freihandelsabkommen schreien, sollten die Briten wirklich austreten. So etwas kann aber eine Weile dauern. Besonders wenn einem die selben Leute am Verhandlungstisch gegenübersitzen, die man in eine Ecke gedrängt hat, um ihnen Konzessionen abzuringen, nur um sich dann doch zu verabschieden.

Kommentare (16)

  1. #1 Mike Macke
    Januar 24, 2013

    Also ich finde die Idee mit dem Referendum “drinnen oder draußen” prinzipiell nicht schlecht. Allerdings sollte Cameron in der Beziehung erst vor der eigenen Türe kehren: Sowohl z.B. Sean Connery und Konsorten (Schottland) als auch ein Großteil der Nordiren würde sicherlich entsprechende Referenden bzgl. GB begrüßen; diese könnten ganz unabhängig von der EU auch in den entsprechenden Regionen von der britischen Regierung durchgeführt werden, der schließlich viel am Selbstbestimmungsrecht liegt.
    Ob dann z.B. Schottland nach Austritt aus GB als souveräner Staat in die EU will, oder ob Nordirland nach einem Austritt vielleicht zur Ruhe kommt, wird vermutlich ein anderes Thema sein…

  2. #2 DH
    Januar 24, 2013

    “Cameron ist nur bedingt innovativ als böser britisher EU Bube”

    So ist es , das Spielchen ist alles Andere als neu.

    Vermutlich möchte Cameron auch seinem katastrophalen Ruf als elitär und abgehoben entgegenwirken , da passt ein Referendum schon ganz gut dazu .
    Es ist aber unverantwortlich , ein solches Instrument ins Spiel zu bringen , um persönliche Ziele zu erreichen .

    Die britische Regierung versucht im Moment , eine Einschränkung der Sozialleistungen durchzusetzen , ein Schelm , wer daran denkt , daß es da einen Zusammenhang geben könnte…

  3. #3 Markus Selter
    Januar 25, 2013

    Zitat: “Es ist aber unverantwortlich , …”
    Zitat: “Volksentscheide sind immer auch unberechenbar …”

    Nennt man Demokratie. Ist in Kontinentaleuropa ein Auslaufmodell und wird schleichend durch eine Brüsseler Quasidiktatur ersetzt.

  4. #4 ali
    Januar 25, 2013

    @Markus Selter

    Dass Volksabstimmungen mit einfachen Mehrheiten das einzige Mass für Demokratie sind, ist ein populistisches Missverständnis. Diese Form von Demokratie hat in der Geschichte des modernen Staates nie existiert. Alle Demokratien haben repräsentative Elemente.

    Wenn in einer Diskussion Zweifel an der Angemessenheit eines Referendums damit begegnet werden, dies sei “undemokratisch”, dann ist dies ein blanko Argument mit einer faktischen Basis, die nur im Kopf dieser Leute existiert. Das “Argument” in dieser Form ist keines.

    Man kann natürlich durchaus argumentieren, dass ein Referendum eine demokratische Notwendigkeit sei. Eine Abstimmung für sich alleine ist aber nicht gleichzusetzen mit Demokratie.

    Aber da auch das Wort “Diktatur” in Zusammenhang mit der EU fällt, war das Ziel wahrscheinlich nie, eine wirkliche Diskussion über Legitimität und demokratische Notwendigkeiten zu führen. Die Sorge um “Demokratie” ist oft nur geheuchelt. Es geht darum die (oft durch Nationalismus motivierte) Abneigung gegenüber der EU zu bekräftigen. Ohne Argumente.

    Man mag ja von der EU halten was man will, aber eine “Diktatur” ist sie sicher nicht.

  5. […] von zoon politikon Am Mittwoch hat der britische Premier seine lang erwartete Europarede gehalten. Er […]

  6. #7 Struppi
    Januar 25, 2013

    Naja, genau das ist ja das Problem: Gerade die EU ist ein sehr emotionales Thema und darum wird vermutlich eher über vermeintliche Bananenkrümmungsregulierungen und Haggisverbote abgestimmt als über tatsächliche Probleme,

    Und die berechtigte Kritik der Briten an der EU, dass dort viele Entscheidungen gefällt werden, die durch keinerlei demkratisch legitimiertes Gremium beeinflusst werden können, geht dabei unter.

    Das mittlerweile viele Entscheidungen durch Lobbyvertreter auf EU Ebene getroffen wurden und im nationale Gesetze fliessen, ist für Bürger demokratischer Staaten eigentlich nur erklärbar.

    Natürlich wollen die Menschen keine Grenzen und freien Handel, auch eine gemeinsame Währung ist gut. Wenn aber damit die Demokratie geopfert werden soll, werden sich das die Menschen nicht auf Dauer gefallen lassen.

    Das es darüber hinaus auch konkrete Probleme gibt, wie z.b. die viel zu teure Verwaltung – die Bezahlung in Brüssel ist teilweise Astronomisch, im Vergleich zu lokalen Mandatsträger und Beamten – die sinnlosen und viel zu hohen Agrarsubventionen, die fehlenden sozialen Komponenten, Arbeitgeberrechte usw. macht eine “unemotionale” Abstimmung schwierig. Auch wenn ich die Idee des gemeinsamen Europas gut finde, ich würde bei so einer Abstimmung gegen Europa stimmen. Aber vor allem eben weil ich keine oder kaum eine Wahl habe

  7. #8 DH
    Januar 25, 2013

    @ Markus Selter

    Ich bin kein pauschaler Gegner von Volksentscheiden , finde aber , daß sie unabhängig von aktuellen politischen Wetterlagen eingeführt werden sollten , in diesem Fall aber ist “die Sorge um Demokratie nur geheuchelt” (Kommentar ali).

    Man sollte sich von diesem Instrument auch nicht zuviel erwarten , da wird es auch Tiefschläge aus der Bevölkerung heraus geben.

  8. #9 AmbiValent
    Januar 25, 2013

    @ Struppi

    Was ist denn ein “demokratisch legitimiertes Gremium”? Ist die “degressive Proportionalität” im Europaparlament ausreichend, damit es nicht mehr demokratisch legitimiert ist?

    Es gibt ja seitens der kleineren Mitgliedsstaaten den Wunsch, dass sie durch die großen nicht so leicht überstimmt werden sollten, und dass jeder Staat mindestens 6 Abgeordnete bekommen sollte. Ich persönlich wäre dafür, das Parlament in 2 Kammern aufzuteilen: eine, in der jeder Staat 5 Abgeordnete erhält, und eine, in der alle Stimmen europaweit gleichviel zählen; und Gesetze müssten beide Kammern passieren. Dadurch, dass man für ein Gesetz immer mindestens so viele Abgeordnete in der letzteren Kammer braucht, dass sie die Mehrheit vertreten, sollte das Parlament dann eigentlich demokratisch legitimiert sein. (Würde das nicht ausreichen, würden dann nicht die deutschen Institutionen ebensfalls nicht ausreichen? Nur der Bundestag wird schließlich direkt vom Volk gewählt, der Bundesrat besteht nur aus Regierungsvertretern – wie der EU-Rat…)

  9. #10 michael
    Januar 26, 2013

    Noergel-mode on

    > Dazu kommte, dass man meinen könnten, dass …..bandwurm-satz…

    >die Scheiz ein Lied

    Noergel-mode off.

  10. #11 Andreas
    Berlin
    Januar 26, 2013

    Ich glaube ich muss mir stattdessen lieber mal wieder den Film mit Clint angucken 😉

  11. #12 rolak
    Januar 26, 2013

    moin Andreas, es gäbe auch noch eine Möglichkeit: Thematisch mehr in Richtung ‘Horror’ geht jener clip von letztem Jahr.

  12. #13 Oeconomicus
    Karlsruhe
    Januar 27, 2013

    kleines Dossier zu Cameron’s Grundsatzrede

    Darin enthalten

    -die Rede im O-Ton mit einer Kurzversion von PHOENIX
    -Stellungnahme von Nigel Farage
    -Diskussionsrunde mit dem ehemaligen UK-Botschafter in USA

    -bemerkenswerte Kommentare aus alternativen Quellen

    -Stellungnahmen politischer Schwerge-Wichte

    -Statements aus den ‘Anstalten’ zwangsweiser ‘Demokratie-Abgaben’

    -Tabelle zu den Umfrage-Ergebnissen (EU in or out) von YouGov

    https://oconomicus.wordpress.com/2013/01/24/quo-vadis-eu/

  13. #14 Spoing
    Januar 27, 2013

    Oha, der Beitrag wäre fast an mir vorbeigegangen, da er nur kurz in der Scienceblogs Übersicht war (Die riesige Überschrift oben auf der Seite zählt nicht, so etwas sieht man eh nie 🙂 )
    Dabei interessiert mich alles rund um die EU und leider ist es schwer dazu vernünftige Beiträge zu finden.
    Was mich noch interessieren würde: Wie kann Cameron das eigentlich Clegg verkaufen, der wird doch bestimmt “not amused” sein.

  14. #15 DH
    Januar 27, 2013

    Cleggs Reaktion kann man erahnen…..siehe Studiengebühren.

  15. #16 HE
    München
    Januar 29, 2013

    Robert Putnam hat vor einigen Jahren das Modell der “2-Ebenen-Spiele” in die Internationalen Beziehungen eingeführt. In der empirischen Überprüfung hat er besonders festgestellt, daß kleine innenpolitische Handlungsspielräume nicht geeignet sind, auf der internationalen Ebene mehr “auspressen” zu können.
    Im Gegenteil: wer sich innerstaatlich die Hände binden lässt, verliert in der Regel Kompromissmöglichkeiten, was wesentlich häufiger zu Verhandlungsabbruch als zu Entgegenkommen führt. Da scheint mir Cameron ein Bilderbuchfall zu sein – wo soll man ihm entgegenkommen? Und welche Konsequenz hat sein “Hände gebunden”-Argument für die anderen Staaten? Im Grunde keines, und so wird der Schwarze Peter bei ihm bleiben. Entweder GB geht Kompromisse ein und sein innenpolitischer Spielraum vergrößert sich, oder sein Standpunkt in Europa ist der des verlorenen Postens.