Es passiert relativ selten, dass in diesem Blog mein eigentliches Kernthema zur Sprache kommt. Manchmal blitzt aber etwas auf dem Radarschirm einer breiteren Öffentlichkeit auf, das einfach verbloggt werden muss. Wenn die Welthandelsorganisation (WTO) illegale Downloads “legalisiert,” ein kleiner Inselstaat wie Antigua und Barbuda mit nicht einmal 70’000 Einwohnern dem Handelsgiganten USA kräftig ans Schienbein tritt und mit französischem Käse in Verbindung gebracht werden kann, dann ist es mir unmöglich zu widerstehen.
Die Schwierigkeiten über Handelsabkommen und Schlichtungsverfahren zu bloggen liegt nicht darin, dass es so schrecklich kompliziert wäre, sondern dass es oft staubtrocken daher kommt. Es ist schwierig Leserinnen und Leser für Schlichtungsfälle in der WTO zu begeistern. Blockbuster Fälle wie zum Beispiel die heiss umkämpften “Einschränkungen vom Import von Unterwäsche aus Baumwolle und Kunstfasern” (auch bekannt als der “US-Unterwäsche” Fall) oder der ewige Gassenhauer der Schlichtungsverfahren: “Schrimp-Schildkröte”. Normale Menschen interessieren sich z.B. nur sehr beschränkt, ob eine Handelsmassnahme nun den Prozess oder das Produkt betrifft. Beim Fall den Antigua und Barbuda gegen die USA angestrengt haben liegt die Interessenlage aber anders.
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Die USA wurden von Antigua und Barbuda vor der WTO eingeklagt, weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern das online Glücksspiel auf den Inseln heimischen Seiten untersagten. Der Mikrostaat bekam recht. In der WTO bedeutete dies, dass die siegende Partei das WTO Abkommen ebenfalls verletzen und im gleichen Wert eine Gegenmassnahme ergreifen darf, sollte die für illegal befundene Praxis nicht gestoppt werden.
Das Problem für einen winzigen Staat wie Antigua und Barbuda sollte dabei offensichtlich sein: Was für eine mögliche Sanktion könnten sie ergreifen, die zumindest einen Nadelstich für die USA bedeutet (das Bruttoinlandprodukt der USA ist rund das 15’000-fache!). Am besten zielt man auf eine politische Einflussreiche Gruppe ab. Die Logik die auf französischen Roquefort-Käse zutrifft, funktioniert nämlich auch beim Glückspiel (die Schimmelkäse Geschichte habe ich hier verbloggt). Doch selbst dafür ist der Markt, den Antigua und Barbuda in die Wagschale werfen können, zu klein. Nun hatte dort aber anscheinend jemand einen grandiosen Einfall: Der Inselstaat will eine Webseite online stellen wo Copyright-geschützte US Inhalte der ganzen Welt zur Verfügung stehen, ohne dafür eine entsprechende Entschädigung für die Rechte zu zahlen.
Die WTO hat nun letzte Woche bestätigt, dass dies eine legitime Massnahme ist. Dies ist bemerkenswert, weil es ist meines Wissens das erste Mal, dass eine Ausserkraftsetzung einer Vereinbarung das sogenannte TRIPS-Abkommen betrifft (Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights oder auf Deutsch Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum). Dieser Vertrag regelt Fragen rund um geistiges Eigentum und entsprach vor allem einem Anliegen reicherer Länder. Er wurde nicht zuletzt deswegen auch oft kritisiert. Es stellt sich nun heraus, dass es in diesem Fall ein Bumerang war.
Nun kann man sich fragen warum haben die USA überhaupt einer Liberalisierung von Glücksspiel zustimmten, wenn sie dies doch offensichtlich nicht wollten. Dies bringt uns zu einem weiteren Vertrag, der oft als ökonomisches Brecheisen des Nordens gesehen wurde: Der GATS Vertrag (General Agreerment on Trade in Services oder Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen). In diesem Vertrag finden sich unendlich lange Anhänge, sogenannte Schedules (eine Art Liberalisierungs-Fahrpläne für den Dienstleistungssektor zu denen sich die Unterzeichenenden verpflichten). Das interessante daran ist, dass es sich um Negativlisten handelt. Das heisst, man zählt nicht auf was man liberalisiert, sondern es werden nur die Vorbehalte und Einschränkungen aufgelistet. Für alles andere verpflichtet man sich zur Marktöffnung. Die USA haben online Glücksspiele in ihrem Schedule nicht erwähnt und diese bedeutet dann halt eine Verpflichtung zur Liberalisierung. Die USA behaupten nun diesen Sektor schlicht “vergessen” zu haben. Damit entpuppt sich der geworfene vermeintliche Knüppel ebenfalls als Bumerang.
Wie diese legale, Copyright-verletzende Webseite aussehen soll, weiss niemand so genau. Es ist vermutlich auch nur ein Mittel um nun Druck auf die USA auszuüben. Antigua und Barbuda wollen natürlich viel lieber US-Spielerinnen und Spieler in ihren virtuellen Casinos, als eine Seite im Netz wo die ganze Welt fast umsonst US Musik oder Filme runterladen kann. Am Ende geht es schliesslich darum Geld zu verdienen. Wenn man sieht wie rot die Köpfe im US Handelsdepartement deswegen sind, scheinen Antigua und Barbuda durchaus Chancen zu haben. Mit der Content-Industrie Lobby im Rücken haben sie sogar eine Chance, dass der US Kongress umgestimmt wird.
Diese Episode illustriert zwei Dinge gut, die meines Erachtens beim Analysieren von Internationalen Beziehungen oft übersehen werden: Erstens, Verträge werden unterschrieben, aber deren Auswirkungen sind kaum voraussehbar. Wir haben die Tendenz alles im Nachhinein als rationales Design zu interpretieren, aber was die Staaten zu unterschreiben meinen und was dann ein paar Jahre später passiert, sind sehr verschiedenen Dinge. Dies schon alleine deswegen, weil nie alle Eventualitäten vorausgesehen werden können und die Umstände sich oft schnell ändern (was die WTO nicht zum Internet zu sagen hat, ist ein eigener Blogeintrag wert). Zweitens zeigt die Geschichte gut, wie auch die kleinen eine Chance gegen die grossen haben. Die Machtlinse ist zwar für die Analyse verlockend und beschreibt die Welt der Beziehungen zwischen Staaten oft gut, doch zählen internationale Verträge und Regeln auch etwas. Es ist eben nicht nur eine Welt des Stärkeren: Reputation, Gewohnheiten, eigene moralische Ansprüche, Gesichtswahrung, Innenpolitik, etc. sind alles Faktoren die ebenso eine Rolle spielen und sehr viel Komplexität (und damit Handlungsspielraum) schaffen. Das vergisst man zu oft.
Ein paar weitere Artikel zu diesem Fall (alle Englisch):
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