Wieder einmal geht es um Religion und wieder einmal fliegen die Fetzen. Der neuste Sturm im Internetwasserglas findet in Form eines Schlagabtausches zwischen Glenn Greenwald und Sam Harris statt. Ersterer unterstellte dem anderen Islamophobie. Harris sieht in dem Begriff einen Totschläger um berechtigte Kritik zum Verstummen zu bringen. PZ Myers sagt beide haben Recht und Unrecht. Ich glaube aber auch er haut mit seinem Post daneben.
Der Grund warum mir das Thema am Herzen liegt, versteht man vielleicht etwas besser, wenn man im Archiv dieses Blogs nachlesen geht. Des öfteren versuchte ich mit dem Finger auf gegen den Islam gerichtete Heuchelei zu zeigen, nicht weil ich das Gefühl hätte, dass diese Religion als solche verteidigt werden müsste, sondern weil ich überzeugt bin, dass mit ungleichen Ellen gemessen wird. Zu oft geht es im Grunde nicht um berechtigte Religionskritik, sondern um das Bedienen von Vorurteilen, um das Ausgrenzen von Minderheiten, um das Schaffen eines Feindbildes und einer “Outgroup”.
Da ich Posts zu diesem Thema geschrieben haben, weiss ich auch, dass es vielen eben um mehr als nur “Islamkritik” geht. Viele gehen alleine wegen meines Namens davon aus, dass ich natürlich selber Muslim sei (manchmal sogar völlig Zusammenhangslos wie vor kurzem hier), dass ich zumindest befangen sei (also liebe Deutsche, von nun an bitte keine Kommentare mehr zur deutschen Politik, dass kann ich als Schweizer viel objektiver beurteilen), dass ich doch dorthin zurückgehen soll wo ich herkomme (normalerweise ist da kaum die Schweiz gemeint) und dass ich doch sowieso nur als Minoritätenquotenblogger hier geduldet werde (ich wurde damals übrigens als Pseudonym angheuert). Dies sind alles Symptome des Problems, für das ich auch schon den Begriff “Islamophobie” verwendet habe.
In der aktuellen Diskussion scheint mir das Problem zu sein, dass beide Seiten Strohmänner errichten und mit Lust abfackeln. Es fehlt ein klar definierter Begriff also wird der verwendete mit dem Inhalt gefüllt, der am besten ins Konzept passt. Viel der Angst vor Muslimen ist nichts anderes als eine Form von Rassismus der plötzlich eine respektable Form erhält. Weisst man darauf hin, wird einem erklärt, dass es sich bei Muslimen weder um eine “Rasse” handle noch dass es sich um eine “biologische” Kategorie handeln würde. Das ist natürlich korrekt, ändert aber natürlich nichts an der allfälligen Motivation. Wenn zum Beispiel Sam Harris meint islamistischer Terror könne durch racial profiling verhindert werden, verwischt er genau diese Grenzen.
Anderseits stimmt es natürlich ebenfalls, dass Kritik am Islam möglich sein muss und nicht jede Kritik in einem Bedürfnis ein Feindbild zu schaffen, gründet. Eine Parallele dazu ist, dass nicht jeder Kritiker der Politik Israels zwangsläufig ein Antisemit ist, sich aber zweifelsohne viele Antisemiten hinter “blosser” Israelkritik verstecken (dieser Fall ist natürlich noch etwas delikater weil eine wichtige historische Dimension nicht ignoriert werden kann). Hier muss man die Spreu vom Weizen trennen können, sonst wird tatsächlich legitime Kritik abgeklemmt. Greenwalds Breitseite gegen die sogenannten neuen Atheisten und die provozierten Abwehrreflexe illustrieren das Problem gut.
Gerade weil ein differenzierteres “Wir” einem fremderen “Anderen” gegenübersteht, müssen wir doppelt vorsichtig sein um nicht in eine Vorurteilsfalle zu tappen. Interessanterweise tut PZ Myers genau dies (obwohl ich glaube, dass er im Grunde das richtige meint). Er schreibt, dass der Islam “fieser und barbarischer” (“nastier and more barbaric”) sei als zum Beispiel der Anglikanismus. Als Beleg führt er an, dass es dort zum Beispiel keine “Doktrin” gäbe Satiriker zu steinigen.
Er begeht in dieser Aussage die typischen Verallgemeinerungen, die eben auch latenten Rassisten plötzlich Legitimität verleihen können. Zuerst einmal ist “der” Islam kein Block. Es gibt unzählige Sekten, Untergruppen und Abspaltungen, alle mit ihrem eigenen Spektrum an Fundamentalisten und Moderaten, Pragmatikern, Frömmelern und Zurechtbiegern. Der ganze Islam wird mit Ansichten spezifischer Gruppen assoziiert, während für die Christen eine sehr spezifische Gruppe herangezogen wird. Würde man die Lord’s Resistance Army als “Christentum” bezeichnen und mit den Sufi vergleichen, würde man zu umgekehrten Schlussfolgerungen gelangen (der Vergleich ist natürlich ebenso verkehrt).
Das wirkliche Problem ist eines der Theologie und der Praxis. Was geschrieben steht ist eine Sache, was die Leute leben eine andere. Der Islam unterliegt da genau so dem Zeitgeist wie das Christentum. Wenn man eine historische Perspektive annimmt gibt es keinerlei Hinweise, dass der Islam inhärent gewalttätiger oder friedlicher, wissenschaftsfreundlicher oder -feindlicher wäre als das Christentum. Beide Religionen wurden in alle diese Richtungen interpretiert. Das Problem ist meines Erachtens, dass eine offenbarte Wahrheit sich per Definition dazu anbietet alles mögliche zu Rechtfertigen ohne sich all zu vielen Fragen zu stellen.
Darum werde ich weiterhin den Begriff “Islamophob” verwenden. Rassismus darf nicht durch diese Hintertür Respektabilität gewinnen. Deswegen werde ich aber auch weiterhin Religionen kritisieren. Auch den Islam. Denn er mag nicht schlechter sein als andere Religionen, er ist aber auch sicher nicht besser.
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