Man könnte meinen, beim Economist liest man dieses Blog und meine Tweets. Passend zum letzten Eintrag findet man einen Post bei Democracy in America, der schön an den Ideen dort anknüpft.Nach meinem letzten Eintrag Kriegsspiele wurde in der Diskussion auf Twitter folgende Frage gestellt:
@zoonpolitikon Which board game would you use to analyze Russia/Ukraine?
— fabian fellmann (@fabian_fellmann) March 17, 2014
Heute findet sich nun per Zufall auf einem Blog des Economists ein Artikel, der diese Frage mit “Schach oder Monopoly” zu beantworten versucht. Diesen Ball nehme ich gerne auf und liefere meine eigene Antwort. Dazu möchte ich zuerst etwas ausholen.
Der Auslöser für die Spekulationen für Democracy in America war ein Artikel in der New York Times in dem der Wirtschaftsprofessor Tyler Cowen der George Mason Universtität darüber sinniert, was uns Spieltheorie über den Konflikt um die Krim verrät. Er zählt vier spieltheoretische Aspekte auf:
- Nukleare Abschreckung
- Tipping Points
- Marktbedingte Abschreckung
- Glaubwürdigkeit und Konsequenzen
Wenn Interesse besteht, können wir diese Punkte separat diskutieren. Hier soll es zuerst darum gehen, was der Economist daraus macht. Die Bloggerin/der Blogger ergänzt nämlich die Diskussion unter anderem mit der Argumentation, dass das gespielte Spiel nicht symmetrisch sei. Das heisst, die Präferenzen und Prioritäten von Russland und jene der NATO Staaten respektive der Ukraine nicht einfach “gespiegelt” seien. Um dies mit “echten” Spielen zu verdeutlichen, fragt der Blogpost, welchem Spiel diese Situation zuzuordnen ist. Es handle sich um ein Spiel wo eine Seite Monopoly und die andere Schach spielen würde. Dieser Vergleich ist meines Erachtens etwas verwirrend. Ich würde die Situation eher mit einem Schachspiel vergleichen, bei dem eine Seite versucht als Ziel den König Matt zu setzen und die andere die Dame. Dies ist für die Spieltheorie an und für sich kein grosses Problem. Auch ein Schachspiel kann so gespielt werden.
Eine wichtige Frage für die Dynamik eines solchen Alternativ-Schaches ist, ob die Spielenden sich der unterschiedlichen Zielsetzung der anderen Farbe bewusst sind. Wie im Artikel richtig bemerkt, ist Schach vom Konzept her simpel: Wenn eine Seite gewinnt, verliert die andere (ein Nullsummensipiel also). In unserem Alternativschach können wir uns jedoch Situationen vorstellen, wo beide Seiten ihr Ziel erreichen, d.h. wo mit dem letzten Zug der König einer Farbe und die Dame der anderen simultan ins Matt gesetzt werden. Ein Gleichgewicht wäre erreicht, wo beide Parteien ihr Ziel erreicht haben und das Spiel als gewonnen betrachten.
Im verlinkten Blogpost wird wie erwähnt der Vergleich gezogen, dass eine Seite Monopoly spielt (ich vermute vor allem in Hinblick auf was ich als “marktbedingte Abschreckung” übersetzte) und die andere Seite (d.h. Putin) Schach. Die Metapher ist ansprechend, verteilt sie doch schön die Rollen: Russland zieht mit Kriegstrommeln vom Mars ein, während Europa und für einmal auch die USA konfliktscheu von der Venus herkommen. Doch befürchte ich in einem spieltheoretischen Kontext macht dies im Gegensatz zu unserem Alternativschach wenig Sinn. In diesem Bild spielen die beiden Seiten nämlich nicht nur mit unterschiedlichen Zielen, sondern auch mit unterschiedlichen Regeln. Wenn sich beide dessen nicht bewusst sind, ist eine strategische Interaktion unmöglich oder zumindest sinnlos. Sind sich aber beide Seiten dessen bewusst, werden sie versuchen, jeweils auch das Spiel des anderen zu Spielen um die eigenen Ziele zu erreichen. Die Spielregeln wären also konsolidiert. Dies scheint mir aber nicht die im Artikel vorgebrachte These zu sein. Falls doch ist es schwierig, sich ein solches Spiel überhaupt sinnvoll vorzustellen und die Metapher fällt wohl in sich zusammen.
Welches existierende Spiel spielen beschreibt also die Situation besser? Ich würde den Vergleich mit Go machen: Das Ziel im Go ist es möglichst grossen Territorialgewinn zu machen. Im politischen Zusammenhang fasse ich “Territorium” teilweise breiter als nur im engen Sinne von “Boden” (z.B. strategische Vorteile, wirtschaftlicher Gewinn, etc.). Go erscheint mir aus mehreren Gründen als eine bessere Metapher für das gespielte Spiel.
Go ist statischer als Schach. Steine werden auf das Brett gelegt und dann nicht mehr bewegt (ausser wenn sie geschlagen werden). Gesichertes Territorium kann im Spiel nicht mehr wechseln. Die Rivalität findet dort statt wo weiss auf Schwarz trifft. Territorien an den Rändern sind einfacher zu sichern als zentralere auf dem Brett. Man kann sich Territorium besetzen, man spielt aber auch oft zuerst nur auf Einfluss. Man steckt sozusagen ein Gebiet ab und versucht Schritt für Schritt und durch langsame Annäherung dort so Fuss zu fassen, dass die andere Farbe nicht mehr oder nur mit Mühe dort Gebiete sichern kann. Man muss entscheiden welche Gebiete man der anderen Seite überlässt und wo sich aufreibende Kämpfe lohnen. Man kann so mit einer Leben-und-Leben-Lassen-Einstellung spielen, aber auch aggressiv vorgehen. Dies kann gar auf unterschiedlichen Schauplätzen simultan geschehen. Man kann lokale Remis-Situationen dadurch zu lösen versuchen, dass man andernorts die gegnerische Seite unter Zugzwang setzt (eine direkte Zugwiederholung ist nicht erlaubt). Auch interessant ist, dass mit Handicap gespielt werden kann. Im vorliegenden Fall würde die Ukraine wohl mit einem ziemlich grossen solchen ins Spiel starten.
Go beschreibt darum in meinen Augen die Situation viel besser als “Monopoly gegen Schach”. Dies war auch meine spontane Antwort auf die im eingangs erwähnten Tweet gestellte Frage. Vielleicht haben Leserinnen und Leser andere und bessere Vorschläge?
P.S.: Ich bin ein miserabler Go Spieler und entschuldige mich daher schon präventiv für allfällige Fehlrepräsentationen oder Verzerrungen die ich hier diesem wunderbaren Spiel angetan habe.
Kommentare (15)