Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
————————————————————————————————————————Tatort-Folge Nummer 653 spielt in Bremen. Es geht um Daten, Bilder und deren Speicherung. Es geht um die Vergangenheit und die verschiedenen Wege, sie aufzubewahren. Und es geht um Popmusik und ganz böse Nazis.
In Bremen soll ein Rockkonzert gegen Nazis stattfinden. Mit dabei ist auch die aus Bremen stammende Sängerin Dana, die seltsam verärgert darüber ist, dass ihr Gitarrist die Teilnahmen beim Konzert gegen Rechts ohne ihr Wissen zugesagt hat. Die Nazis sind natürlich auch verärgert. Ihre Wut lassen sie an Ahmed Aksu aus, der in der Stadt Plakate für das Konzert aufhängt. Aksu landet im Koma und im Krankenhaus; Dana besucht ihre Familie in einem Vorort in Bremen und die Kommissare Lürsen und Stedefreund versuchen in der Zwischenzeit die prügelnden Nazis zu finden. Gar nicht so einfach, denn wie üblich hat niemand etwas gesehen und niemand erinnert sich an etwas.
Das mit der Erinnerung ist ja auch so eine Sache. Ohne äußere Hilfsmittel bleibt uns nur unser Gehirn und unser Gedächtnis, um uns an die Vergangenheit zu erinnern. Und dieses rein biologische Speichermedium ist notorisch unzuverlässig und hinterhältig noch dazu! Denn es erinnert sich nicht nur an viele Dinge einfach nicht, sondern oft auch noch falsch an die, an die es sich erinnert! Wenn wir irgendeine Szene betrachten oder eine Situation erleben, dann wird in unserem Gehirn nicht einfach ein exaktes Abbild der Szene gespeichert. Es liegt zwar nahe, das Auge mit einer Kamera zu vergleichen und das Gehirn mit der Festplatte eines Computers, auf der die Bilder dann abgelegt und jederzeit wieder aufgerufen werden können. Aber diese Analogie ist falsch. Unser Gehirn nimmt das wahr, was wir wahrnehmen wollen. Es nimmt das wahr, was wir bewusst oder unbewusst als interessant oder relevant einschätzen. Wenn sich im Vorfeld des Bremer Anti-Nazi-Konzerts die Polizisten mit Skinheads und Punkers prügeln, dann wird kaum einer der Beteiligten ein objektives Bild der Geschehnisse speichern. Die linken Punks werden sich daran erinnern, wie Punks von den Polizisten verdroschen worden sind; die Nazis werden sich vor allem merken, wie die Polizisten die Nazis verprügelt haben. Dieses Phänomen nennt man selektive Wahrnehmung und jeder Mensch ist davon betroffen. Wir sehen nicht das, was wirklich da ist, sondern das, was wir sehen wollen. Vermutlich geht es gar nicht anders, weil das Gehirn und die Sinnesorgane nicht alles wahrnehmen können, was wahrzunehmen ist und irgendwie auswählen müssen. Die Welt bietet einfach viel zu viele Sinneseindrücke an…
Das trifft übrigens ganz besonders auf diese Tatortfolge zu. Andauernd sitzen, stehen oder laufen da irgendwelche Musiker rum und natürlich machen sie alle dauernd Musik. Immer. Sie sitzen in der Hotelbar und spielen Klavier; sie stehen in irgendwelchen Gängen herum und spielen Gitarre oder haben völlig unmotiviert im Flur einer leeren Veranstaltungshalle die komplette Band samt Bandtechnik aufgebaut und geben ein Konzert für leere Hallen und Gänge. Und – mein persönlicher Höhepunkt der Absurdität! – als die Kommissare den versammelten Musikern der verschiedenen Bands im Restaurant des Hotels erklären, dass sie die Prügel-Nazis bis jetzt noch verhaften konnten, beginnen die Musiker “spontan”, perfekt choreographiert und bedrohliche Blicke auf die Kommissare werfend mit Tellern, Gläsern und Besteck “They don’t care about us” von Michael Jackson zu spielen und zu singen; solange bis Lürsen und Stedefreund die Flucht ergreifen. Tja. Liegt vermutlich wieder mal an der selektiven Wahrnehmung, dass ich das nicht verstehe. Wahrscheinlich gehören alle diese Musiker zu ganz bekannte Bands und spielten deswegen mit, damit sich auch Jugendliche diese Tatort-Folge über Nazis ansehen. Aber ich hab mit diesen Bands und Musikern nichts am Hut, interessiere mich nicht dafür und wenn die da ständig überall an den unmöglichsten Orten auftauchen, dann nehme ich die nur als etwas komische Statisten wahr.
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