Am 14. Juni wurde im “Biotic Institute” im niederösterreichischen Schwarzenau über Tachyonen diskutiert. Es ging um das “energetische Kontinuum” und “Tachyonen-Felder”, die mit ihrer “anti-entropischen Wirkung” gestörte Systeme ordnen können. Das klingt alles hochwissenschaftlich; nach Teilchenphysik, Technik und seriöser Forschung. Aber die wissenschaftlichen Fachbegriffe sind nur Fassade. In Wahrheit geht es bei dem Seminar wohl nur Esoterik. Die “Werkzeuge” mit denen dort gearbeitet wird, sind “Lebenskristalle” mit denen “Blockaden der Lebenskraft” im Körper aufgehoben werden sollen. Tachyonisierte Produkte aller Art sollen so gut wie jedes Problem lösen können. Bei den einschlägigen Händlern findet man neben den Tachyonen-Kristallen auch tachyonisierten Schmuck, tachyonisiertes Massageöl, tachyonisierte Energieanstecker, tachyonisierte Knieschoner und sogar für Haustiere werden tachyonisierte Produkte angeboten.
Tachyonen können in der Welt der Esoterik Wunder wirken, Krankheiten heilen, ungesunde Lebensmittel gesund machen, Stress reduzieren und Harmonie erzeugen. Fragt man nach, was denn diese ominösen Tachyonen eigentlich sind und wie sie es schaffen all das zu tun, was sie angeblich können, dann bekommt man ziemlich schnell von “feinstofflichen Feldern”, von “freier Energie” und selbstverständlich von “Schwingungen” zu hören. Tachyonen sind Teilchen, die sich überall im Universum finden und die Tachyonen-Felder durchziehen den ganzen Kosmos. Und wenn man die richtigen Produkte und Tachyonen-Werkzeuge kauft und sich auf Tachyonen-Seminaren ausbilden lässt, dann kann man auf diese Energie zugreifen und damit jede Menge Esoterik-Wunder wirken.
Dabei müsste man sich die Mühe gar nicht machen. Es reicht schon ein Blick in ein Physik-Lexikon um zu erfahren, was Tachyonen wirklich sind. Denn dieser Begriff stammt ursprünglich tatsächlich aus der Wissenschaft und wird dort immer noch verwendet. Man bezeichnet damit hypothetische Teilchen, die sich schneller als das Licht bewegen können. Das ist eigentlich unmöglich, denn Einsteins spezielle Relativitätstheorie sagt recht deutlich, dass die Lichtgeschwindigkeit die absolute Obergrenze im Universum ist. Die Gleichungen von Einstein beschreiben aber nicht nur unser reales Universum, sondern auch ein seltsames “Spiegeluniversum” in dem es Teilchen gibt, die sich immer schneller als das Licht bewegen MÜSSEN. Das sind die Tachyonen und je schneller sie werden, desto mehr Energie verlieren sie und wollte man sie auf Lichtgeschwindigkeit abbremsen, müsste man unendlich viel Energie aufwenden (ganz analog zur realen Welt bei der man unendlich viel Energie aufwenden müsste um ein Teilchen auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen).
Nur weil man die Gleichungen von Einstein auch auf diese seltsame Art lösen kann, folgt daraus aber noch nicht, dass es die überlichtschnelle Welt auch tatsächlich geben muss. Die reine mathematische Existenz macht eine Lösung noch nicht real. Und tatsächlich zeigen die Gleichungen, dass die Tachyonen eine Masse haben müssten, die sich nur durch eine imaginäre Zahl beschreiben lässt. Multipliziert man die Masse eines Tachyons mit sich selbst, dann erhält man eine negative Zahl – etwas, das mit den normalen Zahlen niemals funktionieren würde. Hier kann das Quadrat einer Zahl immer nur positiv sein. Die imaginären Zahlen wurden erst im 16. Jahrhundert in die Mathematik eingeführt um bestimmte Gleichungen lösen zu können. Heute werden die Zahlen überall in der Mathematik und Technik verwendet; sie haben aber trotzdem immer noch keinerlei physikalische Entsprechung. Mit imaginären Zahlen kann man wunderbar rechnen, ein reales Objekt dessen Masse durch eine imaginäre Zahl beschrieben werden kann hat aber trotz allem noch niemand entdeckt und niemand weiß, wie man sich so etwas auch nur vorstellen soll.
Wenn es in unserem Universum trotz allem überlichtschnelle Teilchen geben sollte, dann würden wir das aber auch leicht bemerken. Immer wenn die Bewegungsgeschwindigkeit eines Teilchens schneller ist als die lokale Lichtgeschwindigkeit eines Mediums, dann entsteht dabei sogenannte Tscherenkow-Strahlung. Licht erreicht ja nur im reinen Vakuum seine absolute Höchstgeschwindigkeit von 299792,458 Kilometer pro Sekunde. Bewegt es sich durch Luft, Wasser oder andere Medien, ist es langsamer und kann unter Umständen von anderen Teilchen überholt werden. So etwas passiert zum Beispiel in den Abklingbecken von Kernkraftwerken, wo Elektronen als Teil der radioaktiven Strahlung schneller unterwegs sind als das Licht im umgebenden Wasser und dabei ein bläuliches Leuchten von sich geben: die Tscherenkow-Strahlung.
Würden überlichtschnelle Teilchen sich durch unser Universum bewegen, dann müssten wir auch überall die entsprechende Tscherenkow-Strahlung beobachten können. Davon ist aber nirgendwo etwas zu sehen. Aber genau dieses unsichtbare Mysterium scheint die Esoteriker besonders anzuziehen. Da die Tachyonen nur noch in den extremeren Hypothesen der theoretischen Physiker auftauchen, weiß man nicht wirklich viel über sie. Sie eignen sich also ideal als Projektionsfläche für die Fantasie der Esoteriker, die den nicht-existenten Teilchen mit dem beeindruckend wissenschaftlich klingenden Namen nun alle die Eigenschaften geben können, die aus simplen Steinen, Wässerchen und Ketten “energetisierte” Wunderprodukte machen, die sich ebenso wunderbar verkaufen lassen.
Vielleicht gibt es die Tachyonen tatsächlich. Wir wissen noch zu wenig über die fundamentalen Eigenschaften des Universums um die Existenz überlichtschneller Teilchen rigoros ausschließen zu können. Aber eines weiß man heute schon mit Sicherheit: Sollten Tachyonen existieren, dann lassen sie sich weder in Kristallen einfangen, noch in Massageöl und auch nicht in all den anderen Produkten die man in den Esoterikgeschäften für teures Geld angeboten bekommt. Um unbekannte Elementarteilchen zu entdecken braucht es ein bisschen mehr als nur ein Wochenendseminar in Niederösterreich…
Diesen Text habe ich ursprünglich für einen anderen Zweck geschrieben, bei dem er dann aber doch nicht eingesetzt worden ist. Deswegen bezieht er sich auch auf ein Ereignis, das schon im Juni stattgefunden hat.
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