Die Gerüchte über den ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen werden immer intensiver. Eigentlich bringt es nicht viel, über Gerüchte zu berichten. Aber in diesem Fall sind sie mittlerweile sehr konkret und haben es auch schon auf die Homepage von “Science” geschafft. Es lohnt sich daher, ein wenig genauer hinzuschauen. Vor allem aber kann man zumindest ein wenig darüber lernen, worum es bei all der Aufregung eigentlich geht.
(Nachtrag: Am 11. Februar 2016 wurde offiziell bestätigt: Der direkte Nachweis von Gravitationswellen ist gelungen. Und warum das wirklich eine enorm große Sache ist, habe ich hier erklärt)
Was sind Gravitationswellen?
Gravitationswellen sind eine Vorhersage aus Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und eines der wenigen Phänomene, das noch nicht direkt nachgewiesen worden ist. Laut Einstein krümmen Massen die Raumzeit und diese Krümmung beeinflusst die Bewegung von Himmelskörper. Wir nehmen diese Beeinflussung als Gravitationskraft wahr. So weit, so klar und diese Aussage wurde schon vor fast 100 Jahren und seitdem immer wieder im Experiment nachgewiesen.
Ein wichtiger Punkt bei Einsteins Theorie ist die Geschwindigkeit, mit der sich Veränderungen der Krümmung ausbreiten. Oder anders gesagt: Die Geschwindigkeit der Gravitation. In der alten Theorie von Newton wurde dazu ja nichts festgelegt; laut Newton war Gravitation unendlich schnell – was aber weder begründet noch logisch sinnvoll war. Einstein konnte zeigen, dass sich auch die Gravitation nur so schnell wie das Licht ausbreiten kann. Würde also zum Beispiel plötzlich die Sonne verschwinden, würde sich die Veränderung in der Raumzeitkrümmung von dort aus in alle Richtungen ausbreiten und die Erde 8 Minuten später erreichen – so lange dauert es, um die 150 Millionen Kilometer Abstand mit Lichtgeschwindigkeit zurück zu legen.
Solche Gravitationswellen werden aber nicht nur erzeugt, wenn ein Stern verschwindet. Immer wenn sich Massen beschleunigt bewegen, erzeugen sie Gravitationswellen. Sie sind um so stärker, je massereicher und dichter die beteiligten Objekte sind. Wenn zum Beispiel zwei Neutronensterne oder zwei schwarze Löcher einander umkreisen, dann erzeugen vergleichsweise starke Gravitationswellen.
Das sagt zumindest die Theorie. Direkt beobachtet hat man solche Gravitationswellen bis jetzt noch nicht. Indirekt dafür aber schon: Im Jahr 1974 haben die beiden Astronomen Russell Hulse und Joseph Taylor zwei einander umkreisende Neutronensterne entdeckt und konnten beobachten, dass sie einander immer näher kommen. Sie müssen also irgendwie Bewegungsenergie verlieren – und die Menge und Rate mit der sie das tun entspricht genau dem, was man erwartet, wenn sie diese Energie durch die Abstrahlung von Gravitationswellen verlieren würden. Für diesen ersten indirekten Nachweis haben die beiden immerhin 1993 den Nobelpreis für Physik bekommen. Aber noch besser wäre es natürlich, wenn man die Gravitationswellen auch direkt beobachten könnte.
Wie beobachtet man Gravitationswellen?
Das Problem beim direkten Nachweis von Gravitationswellen ist die Stärke des Effekts. Die Raumzeit stellt man sich ja gerne als “Gummituch” vor; in Wahrheit ist sie aber extrem schwer verformbar. Das Maß, das in der Physik angibt wie gut sich ein Material verformen lässt, heißt “Elastizitätsmodul”. Bei Gummi sind das zum Beispiel 0,1 Gigapascal. Holz ist 100 Mal schwerer zu verformen und hat einen Elastizitätsmodul von 10 Gigapascal. Stahl ist 2000 Mal stärker als Gummi – die Raumzeit aber ist viel, viel steifer. Hier beträgt der Elastizitätsmodul 1024 Gigapascal; sie ist also 10 Quadrillionen mal schwerer zu verformen als Gummi.
Jetzt wird auch klar, wieso man bei diesem Thema immer wieder auf schwarze Löcher oder Neutronensterne trifft. Nur solche extrem dichten und massereichen Objekte können die Raumzeit so sehr verformen, dass wir überhaupt eine Chance haben, davon etwas mitzubekommen. Um Gravitationswellen zu messen, braucht man einen Detektor. Kommt dann von außen aus dem Weltraum eine solche Welle auf uns zu und läuft durch die Erde und damit den Detektor hindurch, dann wird der gesamte Raum rhythmisch komprimiert und gestreckt. Vereinfacht gesagt: Der Detektor wird abwechselnd ein wenig länger und kürzer. Mit ihm aber auch der gesamte Rest der Raumzeit, weswegen es ein wenig knifflig ist, diesen Effekt nachzuweisen.
Momentan benutzt man bei den Experimenten sogenannte Interferometrische Detektoren. Das empfindlichste Gerät ist derzeit LIGO (Laser-Interferometer-Gravitationsobservatorium) in den USA. Die Anlage besteht aus zwei vier Kilometer langen Röhren, die im rechten Winkel zueinander angeordnet und am Ende miteinander verbunden sind. Im Kreuzungspunkt steht ein Laser, der einen Strahl gleichzeitig in beide Röhren schickt. An deren Enden sind Spiegel montiert, die den Laserstrahl zurückwerfen. Das Licht wird mehrmals hin und her reflektiert, so dass es insgesamt eine deutlich größere Strecke als nur die vier Kilometer zurück legt. Die Anlage ist so gebaut, dass die Strecken in den beiden Armen exakt gleich lang ist. Am Ende sollte also das Licht auch aus beiden Armen wieder exakt gleichzeitig am Ausgangspunkt eintreffen. Modifiziert man die Position der Spiegel, kann man das System aber auch so einstellen, dass ein Strahl ein winzig bisschen früher/später ankommt als der andere. Treffen beide im Detektor zusammen, trifft ein Wellenberg der einen Lichtwelle auf ein Wellental der anderen und beide löschen sich aus. Dank dieser Interferenz misst der Detektor im Idealfall also gar kein Licht mehr.
Wenn jetzt nun aber eine Gravitationswelle die Anlage durchläuft, dann wird sie komprimiert bzw. gestreckt. Die Strecke, die das Licht durchlaufen muss, ändert sich. Und da die beiden Röhren im rechten Winkel zueinander stehen, werden sie von der Gravitationswelle unterschiedlich stark gestaucht bzw. gestreckt und das Licht legt unterschiedliche Strecken zurück. Die Feinabstimmung passt nun also nicht mehr; die Laserstrahlen löschen sich bei der Ankunft nicht mehr aus. Es gibt ein Signal und Nobelpreise für alle.
So einfach ist die Sache aber leider nicht. Wie gesagt: Der Effekt ist sehr gering und man muss mit extremer Genauigkeit arbeiten. Was man auch tut; bei LIGO schafft man es, Längenunterschiede in den beiden Armen zu messen, die 1000 Mal kleiner sind als der Durchmesser eines Protons! Aber das reicht gerade mal, um die stärksten Gravitationswellen zu detektieren und birgt natürlich auch jede Menge Möglichkeiten, andere Dinge zu messen. Zur Sicherheit hat LIGO daher auch noch eine zweite Anlage in 3000 Kilometer Entfernung eingerichtet. Eine Gravitationswelle, die sich ja nur mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, kommt dort ein klein wenig später an. Messen beide Observatorien die gleiche Längenänderung und passt auch noch der Abstand zwischen den Signalen, dann kann man sich ziemlich sicher sein, tatsächlich etwas beobachtet zu haben.
Hat man etwas beobachtet?
Und hat man nun etwas beobachtet? Seit Wochen machen entsprechende Gerüchte im Internet die Runde. Es ist auf jeden Fall nicht unwahrscheinlich. LIGO sollte zumindest prinzipiell in der Lage sein, Gravitationswellen zu beobachten. Wenn die Vorhersagen der Relativitätstheorie stimmen, dann müsste der Detektor ausreichend sensibel sein, um zumindest die stärksten Ereignisse zu messen, die zum Beispiel bei der Kollision zweier schwarzer Löcher entstehen. Außerdem hat man erst letztes Jahr im Herbst die Genauigkeit des Observatoriums noch einmal erhöht. Es spricht also nichts dagegen, dass man dort erfolgreich ist und die Wissenschaftler rechnen natürlich auch damit.
Ebenfalls letztes Jahr im Herbst hat der Physiker Lawrence Krauss in einem Tweet behauptet, es gäbe Hinweise auf eine erste Beobachtung. Im Januar 2016 twitterte er erneut und gab bekannt, dass er eine Bestätigung der Hinweise erhalten hatte. Aber Gerüchte sind eben Gerüchte und von offizieller Seite gab es keine Aussage.
Vor ein paar Tagen wurde dann schließlich die Email von Clifford Burgess, eines anderen Physikers veröffentlicht. Darin erklärt er ein wenig detaillierter, was man bei LIGO beobachtet haben will und weist darauf hin, dass die Entdeckung am 11. Februar 2016 offiziell bekannt gegeben werden soll.
In der Email von Burgess steht:
Hi all, the LIGO rumour seems real, and will apparently come out in Nature Feb 11 (no doubt with press release), so keep your eyes out for it. Spies who have seen the paper say they have seen gravitational waves from a binary black hole merger. they claim that the two detectors detected it consistent with it moving at speed c given the distance between them, and quote an equivalent 5.1 sigma detection. the bh masses were 36 and 29 solar masses initially and 62 at the end. Apparently the signal is spectacular and they even see the ring-down to kerr at the end.
Woohoo! (I hope)
Wie gesagt. Es gibt immer noch keine offizielle Bestätigung, aber am 11. Februar wissen wir hoffentlich mehr. Bis dahin ist es aber ganz interessant sich anzusehen, was da im Detail behauptet wird und wie eine echte Detektion von Gravitationswellen aussehen könnte.
Was kann man beobachten?
In der Email geht es um einen sogenannten “binary black hole merger”, also eine Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern. Dass zwei schwarze Löcher einander umkreisen wäre eigentlich nichts ungewöhnliches. Wir wissen, dass die Mehrheit der Sterne Teil von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen ist. Ob ein Stern am Ende seines Lebens zu einem roten Riesen, einem Neutronenstern oder einem schwarzen Loch wird, hängt nur von dessen Masse ab. Unsere Sonne wird ein roter Riese werden; schwerere Sterne können schwarze Löcher werden. Wenn nun zwei schwere Sterne Teil eines Doppelsternsystems sind, können sie irgendwann als einander umkreisende schwarze Löcher enden. Wir haben schon einige Mehrfachsysteme entdeckt, in denen einander Sterne, schwarze Löcher und Neutronensterne umkreisen; eines mit zwei schwarzen Löchern war allerdings noch nicht dabei. Aber geben müsste es sie eigentlich und wenn es sie gibt, dann sind sie ideale Kandidaten für den Nachweis von Gravitationswellen.
So wie beim Doppelpulsar von Hulse und Taylor würden auch die schwarzen Löcher Gravitationswellen abstrahlen und dabei Energie verlieren. Sie würden einander immer näher kommen, miteinander kollidieren und schließlich zu einem einzigen schwarzen Loch verschmelzen. Wie das genau abläuft, kann man zumindest theoretisch berechnen und/oder am Computer simulieren und auch die Art der Gravitationswellen die dabei ausgestrahlt werden, lässt sich vorhersagen.
Entsprechende Facharbeiten gibt es genug, zum Beispiel eine, die Anfang Januar 2016 publiziert worden ist (“Music from the heavens – Gravitational waves from supermassive black hole mergers in the EAGLE simulations”). Darin findet man auch eine schöne Grafik, die demonstriert, was laut Gerücht angeblich bei LIGO beobachtet worden sein soll:
Vereinfacht gesagt erkennt man hier die Stärke und Rate, mit der die Raumzeit schwingt. Zuerst umkreisen die schwarzen Löcher einander noch außerhalb des “Last Stable Circular Orbit (LSCO)”, also der letzten stabilen Bahn. Je näher sie aber einander kommen, desto stärker werden die Gravitationswellen und desto schneller folgen sie aufeinander; das ist die “Merger”-Phase, in der sie verschmelzen. Danach entsteht ein neues schwarzes Loch, das sich aber erst noch “einrichten” muss. Kurz nach der Verschmelzung hat es noch nicht die optimale Form. Es befindet sich noch nicht im Gleichgewicht und während es dieses Gleichgewicht findet, gibt es weitere Gravitationswellen ab. Das ist die Phase, die im Diagramm als “Ringdown” bezeichnet wird. Je näher das schwarze Loch an der energetisch günstigen Form ist, desto schwächer werden die Wellen, bis sie schließlich ganz verschwinden.
So weit die Theorie. Laut der Email von Burgess will man bei LIGO genau so ein Ereignis beobachtet haben. Die beiden schwarzen Löcher, die miteinander verschmolzen sein sollen, hätten die 36fache bis 29fache Masse der Sonne. Am Ende wäre daraus ein schwarzes Loch mit der 62fachen Sonnenmasse entstanden. Die LIGO-Daten sollen genau den Vorhersagen für so ein Ereignis entsprechen und man hätte sogar die “Ringdown”-Phase am Ende der Verschmelzung detektiert. Außerdem hätten beide LIGO-Observatorien die Verschmelzung registriert und zwar genau in dem zeitlichen Abstand der erwartet wird, wenn die Gravitationswellen sich mit Lichtgeschwindigkeit von einem zu anderen bewegen.
Interessant auch der Unterschied in den Massen. 36 plus 29 ergibt ja 65 und nicht 62. Das bedeutet, dass bei der Verschmelzung der beiden schwarzen Löcher ganze drei Sonnenmassen verschwunden sein müssen. Aber die sind natürlich nicht verschwunden: Das ist genau die Energie, die in den Gravitationswellen steckt. Das macht vielleicht noch einmal besonders deutlich, was für ein enorm hochenergetisches Ereignis so eine Verschmelzung schwarzer Löcher ist…
Zusammengefasst: Die angebliche Beobachtung von LIGO entspricht genau dem, was LIGO zu beobachten in der Lage sein sollte und was man sich beim LIGO-Experiment erwartet hat. Das bedeutet natürlich noch nicht, dass es auch wirklich beobachtet wurde. Vielleicht handelt es sich wirklich nur um ein Gerücht, das außer Kontrolle geraten ist. Vielleicht handelt es sich um einen internen Test der Detektoren mit einem künstlichen Signal der von Außenstehenden falsch verstanden wurde. Vielleicht um etwas ganz anderes.
Wenn es sich tatsächlich um den ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen handelt, werden wir es bald erfahren. Und wenn nicht? Dann wird es vermutlich trotzdem nicht mehr allzu lange dauern. Es wäre extrem seltsam, wenn gerade diese Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie nicht stimmen würde. Es wäre seltsam, wenn nach dem indirekten Nachweis der direkte Nachweis nicht gelingen sollte. Es wäre seltsam, wenn die Gravitationswellen ausbleiben obwohl alles was wir bisher nachweislich über das Universum wissen einstimmig vorhersagt, dass es sie geben muss. Und auch wenn das Universum manchmal seltsam ist: In diesem Fall traue ich mich zu behaupten, dass es sich früher oder später an die Vorhersagen halten wird.
Der direkte Nachweis von Gravitationswellen wird früher oder später (wahrscheinlich früher) kommen. Wenn nicht in dieser Woche, dann in naher Zukunft. Und wenn es soweit ist, wisst ihr immerhin schon darüber Bescheid, wie LIGO funktioniert und was man sich unter einem “Merger” und einem “Ringdown” vorstellen kann 😉
Weitere Informationen
Ich habe früher schon über Gravitationswellen geschrieben und wer noch mehr wissen will, wird hier hoffentlich fündig:
- Gravitationswellenastronomie: In Folge 102 meines Sternengeschichten-Podcasts erkläre ich u.a. wieso die Gravitationswellen uns einen völlig neuen Blick auf das Universum bieten können.
- Ein ganzer Stern als Messgerät: In diesem Artikel geht es um eine andere Methode des Nachweises von Gravitationswellen.
- Wo sind die Gravitationswellen? Im Jahr 2013 habe ich eine Konferenz besucht in der ebenfalls über den Nachweis von Gravitationswellen diskutiert wurde.
- Nachweis schon geglückt? Es gibt immer wieder Gerüchte, dass der Nachweis schon 1958 gelungen sein soll.
- Die perfekte Theorie: Rezension eines Buches über die Allgemeine Relativitätstheorie in der auch die Gravitationswellen besprochen werden.
- BICEP2 und die primordialen Gravitationswellen: 2014 machte schon mal ein angeblicher Nachweis von Gravitationswellen Schlagzeilen.
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