Die ganze Coronakrise ist aus wissenschaftlicher Sicht zwiespältig. Einerseits wird in den Medien und der Öffentlichkeit so viel über Wissenschaft geredet wie lange nicht mehr. Andererseits natürlich aus eher unerfreulichen Gründen. Einerseits sind wir jetzt alle Experten was exponentielles Wachstum, Epidemiologie und Hygiene (oder halten uns dafür). Andererseits ist der Rest der Wissenschaftsberichterstattung quasi komplett aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden. Natürlich wird auch außerhalb der Virologie weitergeforscht und es gibt jede Menge faszinierende neue Ergebnisse die nix mit Coronaviren zu tun haben. In meinem Blog werde ich auch weiterhin davon erzählen was wir Neues über die Welt gelernt haben; genau so wie in meinen Podcast und auch wieder auf meinem Instagram-Account. Von der Krise betroffen ist die Wissenschaft aber so wie der ganze Rest der Welt auch.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, wie so viele andere, ebenfalls ins Home Office verbannt. Da kann man zwar viele Dinge erledigen. Viele Dinge aber auch nicht. Ich habe ja schon darüber berichtet, dass die Pandemie neue Bilder von schwarzen Löcher verhindert hat, weil die entsprechenden Observatorien nicht besetzt werden können. Was das “Event Horizon Telescope” betrifft, betrifft aber auch viele andere große Projekt, natürlich auch die Raumfahrt. Die Europäische Weltraumagentur ESA hat bis auf weiteres die Starts der Ariane-Raketen eingestellt. Viele Missionen müssen verschoben werden: Im Sommer 2020 hätte zum Beispiel der Rover “Rosalind Franklin” im Rahmen der Exomars-Mission zu unserem Nachbarplaneten fliegen sollen. Verzögerungen im Zeitplan gab es aus technischen Gründen hier schon vorher; die Coronakrise hat die Pläne jetzt endgültig zunichte gemacht und alles wurde auf 2022 verschoben. Die NASA hat alle Tests für das Artemis-Programm verschoben mit dem in naher Zukunft wieder Menschen auf den Mond fliegen sollten. Ebenfalls verschoben (schon wieder!) ist vermutlich der Start des James-Webb-Space-Telescope. Der Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops hätte ja eigentlich schon 2014 ins All fliegen soll, aber technische und organisatorische Probleme haben die Mission immer wieder verzögert. Aktuell ist der Start für 2021 geplant; ob das auch tatsächlich passieren wird ist aber nun fraglich.
Die ESA hatte auch kurzfristig vier ihrer Mission in einen Stand-by-Modus versetzt: Die kürzlich gestartete Raumsonde Solar Orbiter, die Mars-Sonde Mars Express, den ExoMars Trace Gas Orbiter, der die Atmosphäre des Mars erforscht und die vier Cluster-Satelliten zur Erforschung des irdischen Magnetfeldes. Diese Missionen sind zwar schon eine Zeit lang unterwegs; darum kümmern muss man sich aber trotzdem. Da einer der Mitarbeiter des Satellitenkontrollzentrums in Darmstadt sich aber mit dem Coronavirus infiziert hatte, wurde der Betrieb dieser Mission weitestgehend reduziert und die Sonden in eine “Standby”-Konfiguration versetzt. Zum Glück fliegen sie ja auch von selbst durchs All; nur Daten kriegt man halt nicht so einfach wenn man sich nicht darum kümmert. Daten sind aber genau das, was wir haben wollen und deswegen ist es gut zu hören, dass sich außer dieser einen Person niemand sonst im Kontrollzentrum angestecktzu haben scheint und deswegen der Betrieb nun wieder hochgefahren wird.
Ebenfalls ohne Einschränkungen wird am 10. April 2020 der Vorbeiflug der Raumsonde Bepi-Columbo stattfinden. Die ist seit 2018 unterwegs und auf dem Weg zum Merkur. Um dort anzukommen muss sie aber ein paar nahe an der Erde und der Venus vorbeifliegen um die Bahn entsprechend ändern zu können. Das geht nicht von selbst; da muss jemand aufpassen und schauen dass das Manöver korrekt ausgeführt wird (außerdem will man beim Vorbeiflug auch die Instrumente testen). Damit das auch klappt hat man bei der ESA entsprechende Vorkehrungen getroffen.
Über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wissenschaft gäbe es noch viel mehr zu schreiben. Die nach Renovierungsmaßnahmen eigentlich für Mai 2021 geplante Inbetriebnahme des großen Teilchenbeschleunigers LHC wird sich auf unbestimmte Zeit verschieben. Das Gravitationswellenobservatorium LIGO stellt den Betrieb ein. Beobachtungen an den großen Sternwarten der Welt können nur noch im “Service-Modus”, d.h. ohne persönliche Anwesenheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfolgen und manche haben den Betrieb komplett eingestellt – unter anderem die großen Teleskope der Europäischen Südsternwarte. Die Wissenschaft ist überall getroffen und manchmal auf eine sehr unerwartete Weise.
Aufgrund der vielen Einschränkungen sind derzeit sehr wenige Flugzeuge unterwegs. Was einerseits (leider nur sehr kurzfristig) gut für das Klima ist. Andererseits aber schlecht für die Meteorologie. Dort braucht man ja so viele Daten wie möglich um ausreichend gute Wettervorhersagen zu machen. Und eine große Anzahl dieser Daten stammt von Instrumenten die an Verkehrsflugzeugen montiert sind. Diese Messungen fehlen; ebenso wie Personal an den normalen meteorologischen Stationen. Die Qualität der Wettervorhersagen könnte also während der Coronakrise leiden.
The #covid19UK lockdown as seen by a seismometer. This week has seen a reduction in average daytime background seismic noise level (purple line). Data is from @BGSseismology station SWN1 located close to the M4 motorway, so this probably reflects less traffic out on the roads. pic.twitter.com/uNhtKmeCdf
— Stephen Hicks 🇪🇺 (@seismo_steve) March 26, 2020
Was die Meteorologie stört freut dagegen die Seismologie. Es fahren weniger Autos durch die Gegend, weniger Züge und weniger LKWs. Es passiert überhaupt generell viel weniger und das sorgt dafür, dass das seismische Grundrauschen geringer wird. All die Aktivität bringt die Erde ein klein wenig zum Wackeln, was wir im Alltag zwar selten direkt merken, die sensiblen Messgeräte der Seismologie aber durchaus. Der belgische Seismologe Thomas Lecoq beschreibt, dass man nun mit den Instrumenten an der Oberfläche eine Messgenauigkeit erreicht die sonst nur in einem 100 Meter tiefen Bohrloch zu erreichen ist. Jetzt lassen sich die vielen winzigen, natürlichen Erschütterungen der Erdkruste besser bestimmen als zuvor, was der Seismologie durchaus weiter helfen wird.
Es ist schon erstaunlich WIE SEHR so ein winziges Ding von einem Virus die ganze Welt durcheinander bringen kann. Erschreckend. Aber auch faszinierend…
P.S. Mein Überblick über die Auswirkungen der Pandemie auf die Wissenschaft war natürlich nur sehr oberflächlich. Wer weitere Konsequenzen auf die Wissenschaft kennt die ich hier nicht aufgelistet hat: Sagt bitte Bescheid. Gleiches gilt für coole neue Forschungsergebnisse die derzeit leicht übersehen werden könnten aber nicht übersehen werden sollten.
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