Macht als Umformarbeit: Fließspannung mal Umformgrad mal Volumen. (Achtung, das ist wirklich nur eine grobe Näherung – bitte solche groben Rechnungen nicht machen, wenn ihr ernsthaft Bauteile konstruieren wollt, don’t try this at home…) Also in Zahlen (diesmal in SI-Einheiten) 2e8 Pa * 0.5 * 0.03, das sind 3 Millionen Joule pro Scheibe, die wir schneiden, also insgesamt 60 Millionen Joule. Ein Faktor 3 mehr als bei der Rechnung oben – also stimmt die Größenordnung schon ganz gut.
Ach ja, wir müssen uns auch noch Gedanken über die Verankerung der Drähte machen. Im Buch werden die mit ein paar Lagen flächigen Nanomaterials umwickelt, damit sie nicht die Stahlträger zerschneiden, um die sie gewickelt werden. Das sollte dann auch funktionieren – wir machen die Träger hinreichend dick (deutlich dicker als die 30 Zentimeter, die wir in jeder Scheibe durchschneiden) und umwickeln sie mit dem Nanodraht, den wir mit den flächigen Lagen vor allem da isolieren, wo die Kraft am größten ist (also am besten keinen Träger mit eckigem Querschnitt nehmen, sonst gibt es an den Ecken vielleicht Probleme).
Vollkommen abwegig ist es also nicht, ein Schiff mit Nanodrähten zu zerschneiden – wobei es eher Mikrodrähte sind, denn sie sind doch schon ganz schön dick, und ganz so leicht und fast kräftefrei, wie es im Buch geschildert wird, ist die Schneiderei auch nicht. Wo die Schilderung des Romans allerdings hakt, ist bei der Beschreibung der Folgen des Schnitts. Im Buch sieht man von der Schneiderei zunächst nichts – das Schiff fährt ganz normal weiter und fällt dann in Scheiben auseinander, die sich übereinanderschieben. Am Ende liegen dann diverse “Schiffsscheiben wie ein verschobener Kartenstapel nebeneinander am Ufer.
Das ist aus zwei Gründen nicht realistisch. Zum einen hält eine “Scheibe Schiff” ja nicht viel zusammen – wir haben letztlich einen großen Blech-Ring, der von der Schiffswandung übrig ist, vielleicht stellenweise durch Streben (von den zerschnittenen Wänden) verbunden. Das dürfte wohl kaum ausreichen, damit so eine Struktur zusammenhält – die “Schiffs-Scheibe” wird sich sofort verformen, verbiegen und verknicken.
Auch dass das Schneiden erst mal unmerklich vor sich geht, halte ich für unwahrscheinlich. Immerhin wirken auf jede Schiffsscheibe 5000 Newton. Zwei weitere Effekte kommen noch hinzu: Zum einen die leichte Abbremsung, zum anderen die Tatsache, dass in so einer Schiffswand ja auch Spannungen herrschen. Die sind zum einen herstellbedingt (beim Schweißen entstehen beispielsweise Eigenspannungen, wenn man also an einer Schweißnaht mit dem Draht zerschneidet), zum anderen steht das Schiff ja durch Lasten, Wasserdruck usw. auch unter Spannung. Diese Kräfte dürften schon ausreichen, um die Bleche zum Beispiel der Schiffswand ein wenig gegeneinander zu verschieben – und sobald die Verschiebung beginnt, rutscht das Blech von dem darunter liegenden Stück ab und fällt herunter oder verkippt sich in irgendeiner Weise. Zusätzlich dürfte das ganze auch etwas ruckeln – das Schiff ist ja nicht homogen, mal muss der Draht mehr Material durchschneiden, mal weniger. Dass man von der Schneiderei also nichts merkt, ist eher unwahrscheinlich. (In dem idealen Modell mit der niedrigen Schnittarbeit, wo wir nur Atombindungen kappen, würde das gehen, aber die Drähte, die man dafür bräuchte, sind physikalisch ja nicht möglich, wie wir gesehen haben.)
Ach ja, noch einen Effekt haben wir nicht betrachtet – die Reibung. Wenn wir den Draht durch den Stahl ziehen, geht ein Teil der Energie drauf, um die Reibung zu überwinden, den der Stahl drückt auf den Draht. Das erhöht zum einen die Umformarbeit noch ein bisschen, zum anderen sorgt es für einen weiteren Effekt: Lärm. Geräuschlos geht es sicher nicht zu, wenn der Draht das Schiff zerschneidet, ich denke sogar, das ganze dürfte ziemlich hässlich klingen.
Fazit: Ja, man kann ein Schiff wohl mit Drähten zerschneiden, wenn diese extreme (aber noch realistische) Festigkeiten haben. Ganz sauber und störungsfrei dürfte das aber nicht ablaufen. Für einen SF-Roman ist es als Szene sicher o.k. (ich nörgle zwar manchmal, aber sooo pingelig bin ich dann nicht…), aber falls ihr vorhabt, nen Tanker zu stoppen, denkt ihr euch lieber etwas anderes aus.
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