Gestern war ein historischer Tag: Die Entdeckung von Gravitationswellen. Vermutlich habt ihr ja in den Nachrichten, hier auf den Scienceblogs oder auch bei der Pressekonferenz etwas darüber gehört. Aber was wird wirklich in der Wissenschaft kommuniziert? Was steht in der oft erwähnten “Veröffentlichung bei Physical Review Letters”? Wie sieht so eine Veröffentlichung aus und wie liest man sie?
Genau darum kümmern wir uns jetzt. Am besten besorgt ihr euch erst mal eine Kopie der Arbeit, die findet ihr zum Beispiel netterweise drüben bei Was Geht. Falls ihr noch nie so eine wissenschaftliche Arbeit gelesen habt – macht nichts, wir schauen ganz in Ruhe durch und ich versuche, das, was ich verstehe, zu erklären. (Was sicher nicht alles sein wird…)
Und jetzt schauen wir mal, was das so drin steht. Fangen wir ganz oben an.
Der Titel ist schon mal schön schlagkräftig:
Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger
Beobachtung von Gravitationswellen von einer Verschmelzung binärer Schwarzer Löcher
Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Wir haben Gravitationswellen beobachtet (Cooool), die durch schwarze Löcher erzeugt wurden (ein neuer Nachweis schwarzer Löcher, auch nicht schlecht), die miteinander verschmolzen sind (was man bisher nur als theoretische Möglichkeit kannte, aber nie nachweisen konnte, weil bei einer solchen Verschmelzung wenig elektromagnetische Strahlung frei wird, und bis gestern konnten Astronominnen sich ja fast ausschließlich auf elektromagnetische Strahlung verlassen (mal abgesehen von der Neutrino-Astronomie)). Das sind also gleich drei faszinierende Ergebnisse auf einmal, mehr geht nun wirklich nicht, nicht mal im Ü-Ei.
Dann sehen wir bei der Autorinnenliste nur einen Namen, dahinter steht et al (Kürzel für, und andere, was man immer dann nutzt, wenn man nicht alle Autoren zitieren will). Die Fußnote verweist auf die Liste aller Autorinnen am Ende, immerhin weit über Hundert (von denen drei vor der Veröffentlichung verstorben sind, das ist schon etwas traurig).
Dann kommt – wie sich das bei wissenschaftlichen Arbeiten gehört, die kernig-knackige Zusammenfassung, Abstract genannt. Die liest man, um zu wissen, ob man den rest eines solchen papers überhaupt angucken will. In einem guten Abstract sollte alles wichtige drin stehen (das wird leider oft nicht gemacht, gern wird dann nur geschrieben “wir zeigen Ergebnisse für XX” ohne zu sagen, was die Ergebnisse sind).
Hier wurde aber alles richtig gemacht. Wir nehmen den Abstract auch ganz in Ruhe auseinander:
On September 14, 2015 at 09:50:45 UTC the two detectors of the Laser Interferometer Gravitational-Wave
Observatory simultaneously observed a transient gravitational-wave signal.Am 14. September 2015 um 09:50:45 UTC haben die beiden Detektoren des LIGO gleichzeitig ein transientes Gravitationswellensignal gemessen.
O.k., das ist erstmal das Fakt für sich. Beachtet das Wort “transient” – es war also ein Signal, das nur vorübergehend auftrat, kein dauerhaftes Signal. (Was man z.B. erwarten könnte, wenn zwei Neutronensterne sich umkreisen und dabei ständig Gravitationswellen aussenden.) Hmm – ich glaube, ich bin zu faul, immer “Gravitationswelle” zu tippen, das heißt ab jetzt GW.
Weiter im Abstract:
The signal sweeps upwards in frequency from 35 to 250 Hz with a peak gravitational-wave strain of 1.0 × 10−21.
Das Signal erhöht seine Frequenz von 35 auf 250Hz mit einer maximalen GW-Dehnung von 1.0 × 10−21.
So eine Gravitationswelle ist ja eine Welle, die die Raumzeit verformt (Details dazu habe ich vor einiger zeit in diesem Artikel erklärt). Ich klaue mal ein Bild von Markus Pössel – wenn ihr was über Einsteins Relativitätstheorie wissen wollt, dann ist Einstein online ne gute Adresse. (Hier auf dem Blog findet ihr natürlich auch einiges.) Also: Hier seht ihr, wie eine Gravitationswelle den Raum verformt:
Die Welle breitet sich also aus und streckt oder staucht den Raum dabei. Eine Strecke wird also periodisch länger oder kürzer. So eine Welle hat eine Frequenz, die euch sagt, wie oft pro Sekunde eine Strecke gedehnt oder gestaucht wird. Diese Frequenz beträgt 35-250 Hertz, also 35-250 mal pro Sekunde. Allerdings sind die Stauchungen und Dehnungen nicht so groß wie im Bild. Die Dehnung beträgt 1.0 × 10−21.. Eine Strecke von 1 Meter wird also um 1.0 × 10−21 Meter gedehnt oder gestaucht (das heißt also 0,000000000000000000001 Meter, mit 21 Nullen). Zum Vergleich: Ein Atomkern hat einen Durchmesser von 1.0 × 10−15 Meter, ist also eine Million mal größer. (Ein Atom ist dann noch etwa 100000 mal größer als das). Die Dehnungen sind also wirklich unglaublich winzig.
Weiter im Abstract:
It matches the waveform predicted by general relativity for the inspiral and merger of a pair of black holes and the ringdown of the resulting single black hole.
Es [das Signal] passt zu der Wellenform, die die Allgemeine Relativitätstheorie für das spiralförmige Aufeinander-Zubewegen und verschmelzen eines Paares von Schwarzen Löchern und das nachfolgende Abklingen des Signals vorhersagt.
Stellt euch zwei Schwarze Löcher (ab jetzt SL abgekürzt) vor, die sich umkreisen. Wenn sie das tun, senden sie GW aus (so wie kreisende elektrische Ladungen Strahlung aussenden). Die Energie dafür muss irgendwo herkommen, also verlieren die beiden SL Energie – deswegen bewegen sie sich aufeinander zu. Dadurch kreisen sie schneller umeinander. Deswegen erhöht sich die Frequenz. Wenn die beiden SL dann verschmelzen, bilden sie ein größeres SL. Dieses SL kann jetzt aber keine Gravitationswellen mehr aussenden, weil SL ja keine Signale entkommen lassen. Also muss das GW-Signal entsprechend schnell abklingen. Die Beobachtungen passen also zu diesem Szenario.
O.k. jetzt wird es im Abstract statistisch, und ich verstehe nicht mehr jedes Detail:
The signal was observed with a matched-filter signal-to-noise ratio of 24 and a false alarm rate estimated to be less than 1 event per 203000 years, equivalent to a significance greater than 5.1σ.
Das signal wurde mit einem angepassten Signal-rauschverhältnis von 24 und einer falschen Alarmrate detektiert, die kleiner als ein Ereignis in 203000 Jahren war, äquivalent zu einer Signifikanz von 5.1σ.
Es wurde also abgeschätzt, wie wahrscheinlich ein solches Signal durch rauschen oder ähnliches erscheinen sollte. Diese Zahl ist mit einem Ereignis in 203000 Jahren sehr klein. Die Signifikanz sigma (σ) ist eine statistische Größe, die das als Zahlenwert nochmal beschreibt. (Der in der Physik gern verwendete Wert 5σ sagt, dass man so ein Ergebnis einmal in 3,5 Millionen Messungen per Zufall erwarten würde.)
So, jetzt kommt wieder coole Physik:
The source lies at a luminosity distance of 410+160/-180 Mpc corresponding to a redshift z = 0.09+0.03/-0.04 .
Die Quelle liegt bei einer Luminositätsdistanz von 410+160/-180 Megaparsec, das entspricht einer Rotverschiebung von z = 0.09+0.03/-0.04 .
Hier geht es um den Abstand. Der liegt bei 410 Megaparsec, aber wie sich das in der Physik gehört, ist die Zahl nicht genau und es werden Fehlergrenzen angegeben. (Am Ende des Abstracts erfahren wir, dass alle Fehlergrenzen 90%-Margen angeben, mit 90%iger sicherheit liegen die Werte für den Abstand also zwischen 230 und 590 Megaparsec.) Ein Megaparsec sind eine Million Parsec oder 3,26 Millionen Lichtjahre. Die Quelle liegt also etwa 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernt. (Zum Vergleich: Der Abstand zur Andromeda-Galaxis beträgt etwa 2,5Millionen Lichtjahre, der nächste Stern ist etwa 4 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Ereignis war also wirklich weit weit weg.)
Der Abstand ist als “Luminositätsabstand” deklariert – das bezieht sich normalerweise auf die Leuchtkraft bei Sternen. Ich vermute mal, der Abstand wurde ermittelt, indem man aus der gemessenen Signalstärke zurückgerechnet hat. Da sich das Universum ausdehnt, rechnet man Abstände auch gern auf die entsprechende Rotverschiebung um. (Die erklärt euch z.B. Florian in seinem Blog.)
Und jetzt geht’s um die Schwarzen Löcher selbst:
In the source frame, the initial black hole masses are 36+5-4 M⊙ and 29+4/-4 M ⊙ , and the final black hole mass is 62+4/-4 M⊙ , with 3.0+0,5/-0.5 M ⊙ c2 radiated in gravitational waves.
Im Quellenbezugssystem waren die anfänglichen Massen der Schwarzen löcher 36+5-4 M⊙ und 29+4/-4 M ⊙ , und das schließlich entshende Schwarze Loch hatte eine Masse von 62+4/-4 M⊙ ,wobei 3.0+0,5/-0.5 M ⊙ c² als Gravitationswellen abgestrahlt wurden.
Das schöne Symbol M⊙ steht für “Sonnenmasse”. Eins der anfänglichen SL hatte also 36 Sonnenmassen, das andere 29. Am Ende kam ein SL mit 62 Sonnenmassen raus. Nun ist 36+29=65, irgendwo sind also 3 Sonnenmassen verschwunden. Die wurden als GW abgestrahlt. Das kleine c² hinter der Zahl soll klar machen, dass hier die Energie nach E=mc² berechnet werden kann. Es wurde also die Energie von 3 Sonnenmassen in GW umgesetzt, und zwar innerhalb von weniger als einer Sekunde. Die Sonne selbst verliert pro Sekunde 4 Millionen Tonnen Masse als Strahlungsenergie, aber sie kann 10 Milliarden jahre lang scheinen und hat am Ende nur etwa 1 Prozent ihrer Masse verloren, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe. 3 Sonnenmassen in weniger als einer Sekunde ist also unglaublich viel (tatsächlich ist die Strahlungsleistung damit 50 mal höher als die aller Sterne im Universum zusammen).
Der rest des Abstracts ist vergleichsweise simpel
All uncertainties define 90% credible intervals.These observations demonstrate the existence of binary stellar-mass black hole systems. This is the first direct detection of gravitational waves and the first observation of a binary black hole merger.
Alle Unsiverheiten definieren 90% Konfidenzintervalle. Diese Beobachtungen belegen die Existenz binärer Systeme von stellaren Schwarzen Löchern. Dies ist die erste direkte Beobachtung von Gravitationswellen und die erste Beobachtung der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher.
Den ersten Satz habe ich oben schon erklärt. Die letzten beiden sind eigentlich eine Wiederholung dessen, was darüber schon stand, da muss ich hoffentlich nicht viel erklären.
So, und das war nur der Abstract. Aber da habe ich viele grundlagen erklärt, ich denke mal, der rest geht etwas schneller (und ich werde auch nicht jeden Satz auseinandernehmen, zumal ich bestimmt nicht jeden Satz verstehe, besonders, wenn es um Signalrauschen und so angewandtes Zeug geht…)
Als nächstes kommt noch die doi-Nummer. Falls ihr das nicht kennt, hier die kurze Erklärung: Das ist der “digital object identifier”, damit kann man Veröffentlichungen eindeutig identifizieren und zuordnen. Ist in Internetzeiten ne praktische Sache (und Programme zur Verwaltung von Literatur auf eurem rechner brauchen nur ne doi und können dann eine Veröffentlichung finden).
So, jetzt kommt das paper selbst. Es beginnt mit einer Einleitung. Hier gibt es einen kurzen Abriss über die Geschichte der Idee der GW und der Schwarzen Löcher. Dann wird die Entdeckung des binären Pulsars PSR B1913+16 beschrieben. Da umkreisen sich zwei Neutronensterne und verlieren dabei Energie. Diese Energie musste als GW abgestahlt worden sein. Damit hatte man in den 90er jahren schon einen deutlichen Hinweis auf GW, aber man hatte die Wellen halt nicht direkt nachgewiesen. Abschließend wird auf frühere Experimente zu GW eingegangen. Insgesamt eine rundum gelungene Einleitung, die die wichtigsten Stationen Revue passieren lässt. (Ich erzähle jetzt aber nicht zu all diesen Stationen Details, sonst schreibe ich noch nächste Woche an diesem Artikel…)
Dann kommt Abschnitt 2 Observation (Beobachtung). Hier das 840000-Euro-Bild (soviel gibt’s für den Nobelpreis – allerdings wohl nicht dieses Jahr, wenn dieser Artikel stimmt) – zum Vergrößern anklicken, falls ihr die Veröffentlichung nicht eh aufgeklappt habt:
Quelle: LIGO, s.u.
Wie sich das für Bilder in Veröffentlichungen gehört, ist hier ne Menge Information zu sehen. Die linke Spalte bezieht sich dabei auf den Detektor in Hanford, die Rechte auf den in Livingston.
In der oberen Spalte links (rote Kurve) sehr ihr das Signal in Hanford. Aufgetragen ist die Dehnung (hatte ich ja oben erklärt) gegen die zeit. (Zeitskala ist unten im Bild, der Nullpunkt der Zeitskala liegt bei 9:50:45Uhr am 14.9.2015). Ihr seht, wie die rote Linie erst mal so ein wenig vor sich hinzackelt, aber dann wird ein deutliches Wellensignal sichtbar. Die Wellen werden immer kürzer, dann klingt das Signal ziemlich schlagartig ab.
Rechts daneben seht ihr das Signal in Livingston (blau), dabei ist das Signal aus hanford (rot) überlagert. Das hanford-Signal wurde etwas zeitverzögert, weil die Signale insgesamt um knapp 7 Millisekungen auseinanderlagen (GW laufen ja mit Lichtgeschwindigkeit, aus der Verzögerung zwischen den Signalen kann man dann rückschließen, unter welchem Winkel das Signal relativ zu den Detektoren kam). Das hanford-Signal wurde dabei auf den Kopf gestellt, weil die Detektoren räumlich andersherum angeordnet sind.
In der Zeile darunter seht ihr das Ergebnis einer numerischen Simulation, die zu den Messergebnissen passt, wobei die beiden grauen Bänder unterschiedliche Annahmen machen, wie genau die Wellen mathematisch beschrieben werden. (Dazu gibt es anscheinend zwei Extra-Veröffentlichungen, da schaue ich jetzt aber erstmal nicht rein.) Nachtrag: sax hat in den Kommentaren erklärt, wie die Kurven genau zu verstehen sind, ich hatte das nicht ganz korrekt gelesen. Es wurde auf zwei unterschiedliche Weisen (mit unterschiedlichen mathematischen Ansätzen) versucht, das gemessene Signal als Welle darzustellen. Die grauen kurven geben die Streubänder an, die rote in der Mitte die beste Rekonstruktion aus den Simulationen (ich hoffe, das habe ich jetzt richtig verstanden). Darunter seht ihr, was von den ursprünglichen Kurven übrig bleibt, wenn man die rote Kurve Messergebnis abzieht. Im wesentlichen einfach Rauschen, was dafür spricht, dass das abgezogene Signal gut zur Beobachtung passt. Es wird also versucht, das gemessene Signal mathematisch sauber zu beschreiben.
Ganz unten sieht man, wie sich die Frequenz ändert. Die Frequenz ist auf der senkrechte Achse aufgetragen, die Farbe sagt, die stark der Anteil der Frequenz ist. Ihr seht z.B. links, dass das Maximum (hellgrün) erst so bei etwa 50 HZ liegt und dann schlagartig ansteigt.
Im Text dazu wird das Bild nicht weiter erläutert. (Eigentlich sollte man das nicht tun – normalerweise gehören Bilder immer auch im Text erklärt, aber vermutlich wollte man das paper nicht zu lang werden lassen.) Stattdessen wird erzählt, dass leider andere Detektoren gerade nicht in Betrieb waren, so dass man nur diese beiden hat und deshalb wenig über den Ursprung des Signals sagen kann.
Anschließend werden die Zahlen auseinandergenommen. Es gibt eine theoretische Formel für das ineinanderstürzen von SL. Die sieht so aus (nicht erschrecken):
Was sagt uns das? Links stehen die Massen der beiden Schwarzen Löcher (m1 und m2), die verschmelzen sollen. Auf der rechten Seite steht c – die Lichtgeschwindigkeit, und G, die Gravitationskonstante, sowie ein paar Zahlen (wie etwa π=3.1415926…) Dan gibt es noch f und das f mit dem Punkt drüber. f ist die Frequenz, das f mit dem Punkt drüber ist die Änderung der Frequenz. Was uns die Gleichugn sagt ist, dass wir, wenn wir die Frequenz und ihre Änderung kennen, etwas über die Massen der SL aussagen können. Wir haben nur eine Gleichung, also können wir nicht beide Massen bestimmen, aber wenn wir eine kennen, können wir die andere berechnen.
Aber immerhin – wir können den Wert ganz rechts ausrechnen, der ist etwa 30 Sonnenmassen.
Dann kann man (ist in dem paper nicht gemacht, aber ich mache es mal) die Funktion der beiden Massen plotten, die sieht so aus:
Hier nochmal eine Darstellung mit Konturlinien von oben raufgeschaut (quasi wie Höhenlinien beim Bergsteigen):
Hier kann man jetzt in Höhe der Linie bei 30 schauen, welche Massen überhaupt möglich sind. Die Gesamtmasse der beiden Objekte muss so etwa 70 Sonnenmassen betragen (gerechnet im Bezugssystem des Detektors, rückgerechnet auf das System der SL selbst wird die Masse etwas kleiner). Außerdem müssen sie sich sehr eng umkreisen, damit es die hohe Frequenz geben kann. Das schließt aus, dass es sich z.B. um Neutronensterne handeln könnte – die können so schwer nicht werden (sie haben Massen von maximal etwa 3 Sonnenmassen). Ein Paar aus einem Neutronenstern mit kleiner und einem SL mit großer Masse passt auch nicht, dann müsste das SL extrem schwer sein und der Neutronenstern würde zu langsam hineinstürzen. (Wenn ihr im Bild eine Masse groß macht, wird die andere ja klein, damit ihr auf Höhe 30 bleiben könnt.) Also muss es sich um zwei Schwarze Löcher handeln.
Für die zwei Sl spricht auch, dass das Signal sehr schnell abklingt (hatte ich ja oben schon erklärt).
Hier das Ergebnis der besten Simulation für die beobachteten Parameter (die Kurve ist ja schon in das Bild oben eingeflossen, die grauen Streubänder geben die Messergebnisse wieder, die roten Kurven das aus dem Modell berechnete Signal ) :
Quelle: LIGO, s.u.
Oben seht ihr (neben einer Zeichnung, wie die SL sich umkreisen) die berechnete Dehnung (kennen wir schon), darunter ist die Geschwindigkeit der SL (in Einheiten der Lichtgeschwindigkeit) sowie ihr Abstand (in Schwarzschildradien, also dem Durchmesser des entstehenden SL) angegeben. (Der Radius beträgt so etwa 210 Kilometer.) Ihr seht, dass die beiden SLs am Ende rasend schnell umeinanderkreisen und dann verschmelzen.
So, jetzt muss aber auch mal was zum LIGO-Detektor gesagt werden. Das passiert in Abschnitt 3 – Detectors.
Eigentlich ne ziemlich ungewöhnliche Reihenfolge, normalerweise erklärt man erst, welche Messgeräte und Theorien man verwendet hat und dann, was rausgekommen ist, nicht umgekehrt. Wurde wohl extra so gemacht, damit das Entscheidende am Anfang kommt.
Detektoren haben was mit Experimentalphysik zu tun – igitt, das ist nicht so meine Welt. Aber schauen wir mal, was da so steht. Erstmal wird der Aufbau erklärt: Jeder Detektor hat zwei Arme von 4 Kilometern Länge. Lichtwellen werden jeweils an den Enden gespiegelt und dann überlagert. Sobald sich die Länge eines der Arme verändert, verändert sich das Lichtsignal. Es wird ein bisschen erklärt, wie die LIGO-Detektoren experimentell gegenüber handelsüblichen Interferometern (so heißen die Dingern, weil sie die Interferenz von Licht nutzen, also eben das Überlagern von Lichtwellen) aufgemotzt wurden. (Aber von so Dingen wie “partially transmissive power-recycling mirror” und “homodyne readout” verstehe ich nicht so viel, Optik kam bei mir im Studium nur sehr wenig dran….)
Trotzdem hier ein Bild des prinzipiellen Aufbaus:
Quelle: LIGO, s.u.
In groß seht ihr die beiden Arme des Detektors, wo das Laserlicht hin- und herläuft. Links oben seht ihr, wo die Detektoren in den USA stehen – sie sind 10ms Lichtlaufzeit auseinander, also ziemlich genau 3000 Kilometer. Und rechts oben seht ihr das gemessene Rauschen – die Signale, die kurz vor dem Ereignis am 15.9. gemessen wurden, aufgeschlüsselt nach Frequenzen. Deutlich zu sehen ist ein Peak bei 60Hz – das ist die Frequenz, bei der man in den USA Wechselstrom betreibt, irgendwo gibt es also dadurch ein Störsignal.
Die jeweils zwei Testmassen, die durch die GW gegeneinander bewegt werden sollen, sind so aufghängt, dass sie vollkommen frei schwingen können. Sie sind an einem Vierfach-Pendelsystem angebracht (ja, da hängt ein Pendel an einem Pendel an einem Pendel an einem Pendel, ein Bild dazu findet ihr z.B. hier (unten den link aufs pdf klicken)). Das Ganze ist das noch seismisch isoliert, und zwar aktiv. Das heißt wohl, dass jede Bodenerschütterung gemessen und dann durch eine passende Gegenbewegung ausgeglichen wird. Auch ganz schön trickreich…
Und naklar, alles findet im Vakuum statt, weil Luft die Lichtsignale stören würde (und wohl auch damit keine Luftmoleküle gegen die 40kg-Massen bollern, aber der andere Grund ist der, der im paper steht, danke Alderamin.).
Anschließend kommt dann ein kurzer Abschnitt, wie die Detektoren getestet wurden (zum Beispiel wurden diverse Störsignale auf die Detektoren geschickt, um zu sehen, ob sie dagegen empfindlich sind). Um die eigentliche Messapparatur gibt es dann jede Menge weiterer Detektoren, die Erschütterungen und andere Störungen messen sollen. (Für Details wird auf gesonderte Veröffentlichungen verwiesen.)
Und dann kommen die Messungen an die Reihe. Es wurde 16 Tage lang gemessen, zwischen dem 12.9. und 16.10. Das Ereignis (DAS Ereignis!) fand also ziemlich am Anfang der Messkampagne statt.
Es wurde gezielt zum einen nach Signalen gesucht, wie man sie hier auch gefunden hat, zum anderen aber auch nach generellen zeitabhängigen Signalen (die eben kein Rauschen sind). Dann wird erklärt, wie das Rauschen in den Detektoren im einzelnen abgeschätzt wird. Normalerweise achtet man ja auf Signale, die bei beiden Detektoren fast gleichzeitig auftreten. Um das Rauschen abzuschätzen, nimmt man einfach das Signal des einen Detektors und vergleicht es mit dem Signal des anderen zu einer deutlich anderen Zeit. Alles, was dann als Signal übrig bleibt, kann nur auf rauschen zurückzuführen sein, also kann man so abschätzen, wie groß das Rauschen ist.
Dann kommen die Ergebnisse der beiden Analysen (also einmal die Suche nach allgemein auffälligen Signalen, dann die nach Kollisionsereignissen). Auch das wird einigermaßen im Detail erklärt, aber entscheidend ist, dass es zwar – wen ich es richtig verstehe und das Bild richtig lese – einige Kandidaten-Ereignisse gab, aber keins davon wich deutlich genug vom Hintergrund ab, mit Ausnahme von GW150914 (so die Abkürzung für DAS Ereignis – einfach GW wie Gravitational Wave und dann das Datum).
Anschließend wurde in den Messdaten gezielt nach Ereignissen mit zunehmender Frequenz gesucht. Auch hier wurden wieder diverse Tricks angewandt, um abzuschätzen, wie wahrscheinlich falsch-positive Signale sind. Aus den Daten kann man ableiten, dass das gemessene Ereignis alle 203000 Jahre einmal durch Zufall stattfinden würde, bei 16 Tagen Messzeit ist die Wahrscheinlichkeit also entsprechend winzig.
Das nächste Kapitel heißt “Source Discussion” – Diskussion der Quelle. Gemeint ist na klar die Quelle des Signals.
Hier wird relativ knapp erklärt, dass verschiedene Rechenmodelle verwendet wurden, um die Signale zurückzurechnen. Die Zahlen, die sich aus den Modellen ergaben, standen schon im Abstract und da habe ich sie ja schon erklärt. Für die Details zu den Modellen muss man wieder mal gesonderte paper lesen.
Schön ist noch die Zahl für die größte Strahlungsleistung, die betrug (direkt vor dem Verschmelzen) 200 Sonnenmassen pro Sekunde.
Dann wird noch einmal erklärt, dass das Abklingen des Signals konsistent mit der Annahme ist, dass ein rotierendes Schwarzes Loch entstanden ist (laut den Modellrechungen rotiert es auch ziemlich schnell, mit etwa 70% des maximal möglichen Drehimpulses eines SLs. Und aus den Signalen lässt sich auch keinerlei Abweichung zur Allgemeinen Relativitätstheorie herauslesen, die ist also gut bestätigt.
Laut ART bewegen sich Gravitationswellen ja mit Lichtgeschwindigkeit. In einer Quantentheorie der Gravitation kann man die Wellen aber auch durch Teilchen beschreiben, und diese Teilchen (Gravitonen) könnten eine Masse haben. Dass diese Masse sehr sehr klein sein muss, wusste man schon vorher, aber aus den Daten kann man die Obergrenze für die Masse von “unglaublich winzig” auf “noch um nen Faktor von ein paar Tausend kleiner als unglaublich winzig” absenken – ansonsten wäre das Signal auf seinem Weg zur Erde zerlaufen und hier nicht so deutlich angekommen. (Aber, um es nochmal klar zu sagen: Die detektierten GW sind kein Beleg für die Existenz von Gravitonen, sie folgen direkt aus der rein klassischen ART.)
Es wird nochmal darauf hingewiesen, dass die binären SLs bisher nur theoretisch vorhergesagt wurden. Aus ihrer Existenz kann man etwas über das Vorhandensein schwerer Elemente (“Metallizität”) schließen – aber auch da wird für Details auf weitere Veröffentlichungen verwiesen.
Nachtrag: Zum Glück gibt’s ja Alderamin, der erklärt das in einem Kommentar, den ich hier mal einbaue:
Das ist ein Hinweis darauf, dass die Ursprungssterne metallärmer (als Metall gelten alle Elemente schwerer als Helium) als die Sonne waren. Metalle im Gas sorgen dafür, dass dieses mehr Wärme aufnimmt und heißer wird, als reines Wasserstoff-Helium-Gemisch. Bei einem alternden Stern, der sich aufbläht, geht entsprechend mehr Sternatmosphäre als Sternwind verloren (Stichwort: Wolf-Rayet-Stern, wo quasi der nackte Heliumkern verbleibt) und es bleibt weniger für das spätere Schwarze Loch übrig. Das ist im Paper mit den “weak stellar winds” gemeint. Die Entdeckung dieses Paares schwarzer Löcher belegt, dass es aus Sternen mit geringem Anteil an schweren Elementen entstanden ist, mit höchstens 1/2 der Metallizität der Sonne (die ist mit 2% ziemlich hoch; die Hälfte davon wäre auch noch Population I wie die Sonne, erst bei 0,2% fängt die metallarme, ältere Population II an). Aber das ist ja auch nur eine Obergrenze, vielleicht hat man es ja sogar mit Resten von den bisher nicht beobachteten Riesensternen der Population III zu tun, die hunderte Sonnenmassen haben konnten (heute ist die Masse auf ca. 150 Sonnenmassen begrenzt, weil die Metalle im Gas auch bei der Entstehung des Sterns dafür sorgen, dass das Gas mehr Wärme aufnimmt und vom jungen Stern irgendwann fortgeblasen wird, so dass er nicht mehr weiter wächst).
In 16 Tagen wurde ein Ereignis gemessen. Daraus kann man abschätzen, wie wahrscheinlich das Verschmelzen Schwarzer Löcher ist. In einem Volumen von einer Milliarde Parsek sollte so etwas pro Jahr zwischen zweimal und 400 mal vorkommen – keine sehr genaue Abschätzung, aber deutlich besser als das, was wir vorher wussten (nämlich nichts).
Anschließend gibt es noch das Kapitel Outlook (hat nix mit Microsoft zu tun, sondern ist nur ein Ausblick auf die Zukunft). Das ist aber recht knapp gehalten. Es wird darauf verwiesen, wo man Details finden kann und dass Anstrengungen im Gange sind, bessere Detektoren zu bauen. Und dann gibt es die Conclusions, aber da steht jetzt nichts neues mehr drin.
Abschließend wird allen Institutionen und Leuten gedankt, die beigetragen haben, ohne auf der Autorinnenliste zu stehen, und dann folgen die Referenzen (also die verweise auf andere wissenschaftliche Veröffentlichungen).
So, und das war’s. Falls ihr bis hierher durchgehalten habt: Wow! Falls es das erste mal war, dass ihr in ein Physik-paper reingeschaut habt: Mega-Wow, einfach ist es ja nicht. Aber es hat sich gelohnt. Ihr könnt später noch euren Kindern und Kindeskindern erzählen “Ich war dabei, als das dritte Zeitalter der Astronomie begann, 100 Jahre nach der Entdeckung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Das LIGO-Projekt, ein alter Traum, war Wirklichkeit geworden. …”
PS: So, aber jetzt brauche ich auch ne Pause – das waren drei Stunden non-stop-Blogging mit paper-Lesen. Das Korrigieren von Tippfehlern spare ich mir deshalb – wer einen findet, darf ihn behalten.
PPS: Falls ihr neu hier seid: Ja, ich verwende durchweg weibliche Formen. Hat ne lange geschichte, aber diskutiert das bitte nicht hier in den Kommentaren zu diesem Artikel.
Quelle: LIGO, PRL 116, 061102 (2016)
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