Gestern bin ich zufällig auf einen Artikel in der Basler Zeitung gestoßen: “Die 13 größten ungelösten Rätsel des Universums“. Das klang zuerst einmal recht vielversprechend (auch Jörg von Diax’s Rake hat vor einiger Zeit einen interessanten Beitrag über offene Probleme der Physik geschrieben). Eine genauere Lektüre des Artikels hat mich dann aber ziemlich schnell ernüchtert.
Das beginnt gleich mit dem ersten der 13. großen Rätsel:
1. Das verschwundene Universum
Die Wissenschaftler
können nur schmale vier Prozent des Universums definieren und deren
Existenz beweisen. Von 96 Prozent haben sie schlicht keine Ahnung, wie
sie beschaffen sind – und nennen sie deswegen mysteriös «dunkle
Materie» und «dunkle Energie».
Es ist wohl richtig, dass dunkle Materie und Energie zu den großen offenen Fragen der Physik gehören. Aber zu schreiben, die Physiker hätten “schlicht keine Ahnung” und würden sich auf “mysteriöse” Bezeichungen zurückziehen, ist völlig irreführend. Solche “Anschuldigungen” hört man normalerweise nur aus der Ecke der Esoteriker und Pseudowissenschaftler.
Die Liste geht weiter mit ähnlich dramatisch-unwissenschaftlichen Formulierungen zu Themen wie der kalten Fusion, der Suche nach außerirdischen Leben oder der Entstehung von Leben. Zum Beispiel Problem Nummer 9:
9. Der unausweichliche Tod
Kein Wissenschaftler weiss, wieso der Mensch eigentlich sterben muss.
Gemäss einer Theorie soll der Tod von Menschen die Überbevölkerung der
Erde verhindern. Er sei also ein Trick der Evolution.
Äh – ja… Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. Das ist völliger Unsinn.
Und die Liste endet mit dem großen ungelösten Rätsel Nummer 13:
13. Die unerklärliche homöopathische Wirkung
Homöopathie
verdünnt bestimmte heilende Substanzen so lange, bis von den
ursprünglichen Molekülen nichts mehr in der Lösung übrig ist. Trotzdem
soll das so entstandene Heilmittel wirken – viele Menschen schwören
darauf. Die wissenschaftlichen Beweise sind dünn, aber sie sind
vorhanden. Und unerklärlich.
So einen unwissenschaftlichen Unfung wie diesen Artikel in der Basler Zeitung habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Wie kommen die auf solche Sachen?
Anscheinend haben sie das neue Buch von Michael Brooks gelesen. Der Journalist und Schriftsteller Brooks hat unter anderem für New Scientist, The Guardin, The Independent und den Discovery Channel geschrieben. Außerdem hat er einen Doktortitel in (Quanten)Physik. Das klingt eigenlich nicht nach jemanden, der so ein Buch schreiben würde, wie es die Basler Zeitung beworben hat.
Und sieht man sich die Homepage zum Buch “13 Things that don’t make sense” an, dann ergibt sich auch ein völlig anderes Bild. Die Beschreibungen der 13 Themen lesen sich dort wesentlich seriöser.
Zum Beispiel klingt die Beschreibung von Punkt Nummer 9 (“Der unausweichliche Tod”) hier so:
Evolution’s problem with self-destruction
Why do living things die? Obviously, things kill each other – that’s part
of the natural order. But what causes “natural” death? It is a question
that splits biologists. It has become like a game of ping pong – over
the years, theories have been batted back and forth as new evidence
comes to light.One answer is that death is simply necessary – to
avoid overcrowding, for instance. But evolution doesn’t – can’t –
select for a “death switch” because evolution is supposed to be all
about the individual. And yet there does seem to be a death switch –
researchers have managed to locate genetic switches that massively
extend the lifespan of some nematode worms.
Das klingt doch schon wesentlich vernünftiger als der unwissenschaftliche Unsinn aus der Basler Zeitung.
Das Rätsel Nummer 13 ist in der Basler Zeitung “Die unerklärliche homöopathische Wirkung”. Michael Brooks selbst nennt es “Homeopathy: It’s patently absurd, so why won’t it go away?”. Und das ist eine völlig andere Fragestellung. Auch die Erläuterung dazu liest sich ganz anders:
Sir John Forbes, the physician to Queen Victoria’s household, called it “an
outrage to human reason.” Homeopathy’s claim is that you can take a
substance of dubious properties, dilute it to the point where there are
no molecules of the original substance left in the sample you have, and
your sample will nevertheless have retained healing properties related
to the original compound. There is no justification in all of science
for this idea — and yet there remains some slim evidence that
homeopathy works.The key word here is slim. But even the
slimmest of evidence makes this scientifically tantalising. Are we
missing something about the properties of water? Could there be ways to
heal that involve ultra-dilution – possibly avoiding the nasty
side-effects of certain drugs?After months of investigation, my
conclusion is a sour and muttered “probably not”. But even after a long
journey into the heart of homeopathy, where I saw, among other things,
a pharmacy whose shelves contained homeopathic remedies made from
flapjack and musical harmonies, I still cannot be 100 per cent sure
homeopathy is all bunkum. Part of the reason for that came as I sat in
the botany library of the Natural History Museum reading a rigorous
scientific analysis of the roots and efficacy of homeopathy, an
analysis that might even be able to rescue homeopathy from the clutches
of the cranks who currently run the show.
Und so geht es mit allen 13 Rätseln. Keine Ahnung, wer da in der Schweiz diesen Artikel geschrieben hat – aber mit dem Buch von Michael Brooks hat es nicht viel zu tun.
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