Die Entropie hat Ludwig Boltzmann in die Physik eingeführt und heute gehört der zweite Hauptsatz der Thermodynamik zu den wichtigsten Grundpfeilern der Physik: physikalische Systeme entwickeln sich in der Regel immer von Zuständen niedriger Entropie zu Zuständen höherer Energie. Das das so ist, ist leicht einzusehen – denn ein System hat immer mehr Möglichkeiten, einen Zustand hoher Entropie einzunehmen als einen niedriger Entropie.
Aber ist das nicht genau das, was wir suchen? Ein physikalisches Prinzip, dass erklärt warum die Dinge so passieren und nicht anders? Es gibt viele verschiedene Arten, wie ein Ei zerbrechen kann – aber nur eine einzige, wie es wieder “entbrechen” könnte. Ein intaktes Ei ist in einem Zustand niedriger Entropie – und der Übergang zu einem Zustand hoher Entropie (zerbrochenes Ei) ist laut dem zweiten Hauptsatz sehr viel wahrscheinlicher als der umgekehrte Weg.
Die Entropie macht alles nur noch schlimmer…
Klingt gut. Aber leider ist das noch nicht die ganze Geschichte. Die wird jetzt erst so richtig verwirrend. Denn der zweite Hauptsatz ist ja eigentlich nur eine Folge der Newtonschen Bewegungsgesetze. Greene sagt dazu:
“Da Newtons Gesetze keine intrinsische zeitliche Orientierung aufweisen, lassen sich alle Argumente, mit denen wir beweisen wollen, dass Systeme sich in Zukunft von niedriger zu höherer Entropie entwickeln, ebenso gut auf die Vergangenheit anwenden.”
Das ist ein wichtiger Punkt der oft übersehen wird. Die physikalischen Gesetze geben uns keine Möglichkeit, zwischen Zukunft und Vergangenheit zu unterscheiden. Wenn wir von einem System also zu einem bestimmten Augenblick feststellen, dass es sich in einem Zustand niedriger Entropie befindet, dann müssen wir nicht nur folgern, dass es sich in Zukunft zu einem Zustand höherer Entropie entwickelt – sondern wir müssen auch schließen, dass es sich in der Vergangenheit in einem Zustand höherer Entropie befand!
Greene erklärt das mit dem Beispiel eines Eiswürfels. Angenommen wir sitzen in einer Bar und schauen den Eiswürfeln in unserem Drink beim Schmelzen zu (keine Witze jetzt über Physiker und langweilige Parties, ok? 😉 ). Um zehn Uhr Abends hat uns der Barkeeper ein paar schöne, frische Eiswürfel ins Glas geworfen. Und jetzt, eine halbe Stunde später, sind sie schon ziemlich dahingeschmolzen. Wenn wir dem zweiten Hauptsatz folgen, dann können wir davon ausgehen, dass sie in der nächsten halben Stunde noch weiter schmelzen und einen Zustand noch höherer Entropie einnehmen. Aber, wie wir oben gerade überlegt haben, macht die Physik keinen Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit. Wir müssen also auch davon ausgehen, dass die Eiswürfel vor einer halben Stunde einen Zustand höherer Entropie eingenommen haben. Es müssten sich also aus dem Wasser in unserem Drink spontan halbgeschmolzene Eiswürfel gebildet haben, die nun wieder zerfallen. Das ist ziemlich absurd – denn außerdem müssten sich auch noch die Neuronen unseres Hirns parallel dazu so angeordnet haben, dass wir den Eindruck haben, es wären da frische Eiswürfel gewesen, die dann halb geschmolzen sind, denn das ist es ja, an das wir uns erinnern!
Eiswürfel entstehen nicht aus dem Nichts – oder? (Bild: Darren Hester, CC-BY-SA 2.5)
Absurde Geschichte! Es gibt jetzt erstmal zwei Möglichkeiten, sie aufzulösen. In der ersten Variante stimmt das, was wir beobachtet haben: da waren frische Eiswürfel in der Vergangenheit, sind sind jetzt halb geschmolzen und werden in Zukunft weiter geschmolzen sein. Dann müssen wir aber von einem Zustand sehr niedriger Entropie in der Vergangenheit ausgehen und das ist, wenn man sich die Überlegungen zur Zeitsymmetrie der physikalischen Gesetze ins Gedächtnis ruft, unwahrscheinlich. In der zweiten Variante stimmt unsere Erinnerung nicht. Der Zustand in der Vergangenheit war – so wie vom zweiten Hauptsatz beschrieben – von höherer Entropie (ein Glas Wasser ohne Eiswürfel). Dann hat sich spontan die Welt so umorganisiert, dass wir ein Glas mit halgeschmolzenen Eiswürfeln (plus die passenden Erinnerungen daran) vor uns haben.
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