Das widerspricht natürlich unserer Erfahrung. Für ein Photon das vor Milliarden Jahren ausgesandt wurde kann es nicht wirklich einen Unterschied machen, ob wir heute einen Schalter an einem Meßgerät umlegen oder nicht. Greene schreibt:
“Die Quantenmechanik stellt nicht in Abrede, dass die Vergangenheit geschehen ist, und zwar unwiderruflich. Der Konflikt erwächst einfach daraus, dass der Begriff der Vergangenheit in der Quantenmechanik eine andere Bedeutung hat als in der klassischen Vorstellung. In der klassischen Vorstellung aufgewachsen, sind wir versucht zu sagen, ein Photon habe dieses oder jenes getan. In der Quantenwelt, unserer Welt, verleiht diese Auffassung dem Photon jedoch eine zu eingeschränkte Wirklichkeit.”
Und er sagt weiter:
“Obwohl also die Quantenentwicklung von der Vergangenheit bis jetzt durch nichts beeinflusst wird, was wir jetzt tun, kann die Geschichte die wir über die Vergangenheit erzählen, insofern doch die Spur heutiger Handlungen in sich tragen.”
Greene beschreibt noch zwei weitere Experimente: den Quantenradierer und den Delayed-Choice Quantenradierer. Beide sind äußerst spannend – aber wenn ich sie hier auch noch ausführlich vorstellen würde, dann würde der Artikel hier viel zu lang werden. Besorgt euch das Buch und lest es selbst nach – es lohnt sich!
Delayed-Choice-Quantenradierer: Komplizierter als es aussieht… (Bild: Patrick Edwin Moran, GFDL 1.2)
Hier ist, was Greene zu diesen Experimenten sagte:
“Als ich zum ersten Mal von diesen Experimenten hörte, befand ich mich eine Tage lang in einer Art entrückter Hochstimmung. Mir war, als hätte man mir einen Blick auf eine verschleierte Seite der Wirklichkeit gewährt. Die Alltagserfahrung – profane, gewöhnlich, normale Verrichtungen – wirkte auf mich plötzlich wie Teil einer klassischen Scharade, welche die wahre Natur unserer Quantenwelt verbarg.”
Aber eigentlich ging es uns ja um den Zeitpfeil. Wir wollen wissen, warum die Dinge nur auf eine bestimmte Weise ablaufen, aber nie auf eine andere. Warum zerbrechen Eier und warum entbrechen sie nie? Die quantenmechanische Experimente haben gezeigt, dass hier unsere alltäglichen Vorstellungen von “Vergangenheit” und “Zukunft” nicht mehr gültig sind. In einer Hinsicht ist die Quantenmechanik aber nicht anders als die klassische Physik: auch ihre Gesetze sind zeitsymmetrisch und unterscheiden nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Quantenmechanik und Zeitpfeil
Die Schrödingergleichung, eine der zentralen Formeln der Quantenmechanik mit der die Ausbreitung der Wahrscheinlichkeitswellen beschrieben wird, hat keinen eingebauten Zeitpfeil. Zukunft und Vergangenheit werden absolut gleich behandelt. Das mag widersprüchlich erscheinen, wo ich doch weiter oben vom Kollaps der Wahrscheinlichkeitswelle geschrieben habe, der eintritt, wenn man eine konkrete Messung durchführt. So ein Kollaps stellt doch einen eindeutigen Einschnitt dar und würde man einen Film einer kollabierenden Wahrscheinlichkeitswelle sehen, könnte man doch sofort feststellen, ob er vorwärts oder rückwärts läuft? Das ist richtig – aber laut Schrödingergleichung würde eine Wahrscheinlichkeitswelle nicht kollabieren! Dieser Kollaps ist, wie Greene schreibt, “eine nachträgliche Zugabe” und dieses “Meßproblem der Quantenmechanik” beschäftigt die Physiker schon von Anfang an:
“Wie bringt die Messung eines Experimentators eine Wellenfunktion zum Kollaps? Beziehungsweise: findet der Kollaps der Wellenfunktion überhaupt wirklich statt, und wenn, was geht dann tatsächlich auf der mikroskopischen Ebene vor? Bewirkt jede einzelne Messung einen Kollaps? Wann tritt der Kollaps ein und wie viel Zeit ist dazu nötig?”
fragt Greene. Im Laufe der Zeit gab es dazu einige Lösungsvorschläge, die ich hier aber nicht detailliert vorstellen kann (lest das Buch!). Eine mögliche Lösung ist zum Beispiel die berühmte Viele-Welten-Interpretation. Sie besagt, dass die Wellenfunktion tatsächlich NICHT kollabiert sondern das jedes potentielle Ereignis, das von einer Wellenfunktion beschrieben wird, auch wirklich stattfindet – nur eben jedes in einem eigenen Universum (wer ein wenig unnützes Partywissen braucht: der Sohn von Hugh Everett, dem Begründer der Viele-Welten-Interpretation ist der Sänger der Band Eels). Eine andere Lösung hat David Bohm vorgeschlagen. Laut ihm existiert das Teilchen zusätzlich zur Wellenfunktion und sie sagt dem Teilchen quasi, wie es sich verhalten soll. Ghirardi, Rimini und Weber haben eine modifizierte Version der Schrödingergleichung vorgeschlagen, laut der die Wellenfunktionen auch ohne äußeren Einfluß spontan kollabieren können (bis jetzt konnte aber noch kein Hinweis gefunden werden, dass diese Gleichung tatsächlich richtig ist). Am populärsten ist die Theorie der Dekohärenz, die besagt das die Wellenfunktion immer mehr an Koheränz verliert je länger ein System mit seiner Umgebung wechselwirkt. Ein einzelnes Photon im leeren All kann wunderbar als reine Wellenfunktion existieren. Ein großes System, wie z.B. Mensch steht aber ständig in Wechselwirkung mit der Umgebung; ständig wird er von Photonen, Luftmolekülen, etc “angestupst” und die Wellenfunktion wird “verwischt” und kollabiert schließlich. Das klingt plausibel – aber die Dekohärenz erklärt z.B. nicht, wie aus den vielen Möglichkeiten genau die eine ausgewählt wird, die schließlich nach dem Kollaps realisiert wird.
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