Das hier ist die Rezension eines
Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos
ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Im letzten Kapitel hat Greene von der Zeit kurz nach dem Urknall erzählt, als die hohen Temperaturen das Higgs-Feld so stark fluktuieren ließen dass all die unterschiedlichen Kräfte und Teilchen, die wir heute sehen, identisch und vereinheitlicht waren. Aber der Urknall selbst ist immer noch ungeklärt. Wir wissen zwar, dass das Universum sich ausdehnt – aber nicht warum. Immerhin ist die Gravitationskraft doch eine anziehende Kraft und sie hat damals das ganz frühe Universum dominiert. Wenn also die Gravitation dafür sorgt, dass alles sich gegenseitig anzieht – woher kommt dann die Expansion? Was hat “geknallt” beim Urknall?
Die kosmologische Konstante
Wieder mal müssen wir mit der Erklärung bei Albert Einstein anfangen. Er hat in seiner allgemeinen Relativitätstheorie erklärt, wie sich Raumzeit und Masse gegenseitig beeinflussen. Seine Theorie lieferte wunderbare und bestätigte Vorhersagen zur Bewegung des Merkur und zur Lichtablenkung durch die Sonne. Aber als Einstein sein Gleichungen auf das Universum in seiner Gesamtheit anwendete, geriet er in Schwierigkeiten. Denn die Gleichungen zeigten, dass das Universum entweder kontrahieren oder expandieren muss. Ein statisches Universum, dass immer die gleiche Größe hat, war nicht möglich.
Damit war Einstein nicht zufrieden. Denn damals, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zeigten die Beobachtungsdaten ein statisches Universum und auch Einstein war davon überzeugt, dass es sich nicht ändert. Also hat er seine Gleichungen abgeändert. Er hat einen neuen Term eingefügt – eine “kosmologische Konstante”, die im Prinzip wie eine abstoßende Gravitationskraft wirkt. Wenn der Wert für diese Konstante richtig gewählt wird, dann kann diese neue Kraft der Gravitationskraft der Materie im Kosmos entgegenwirken und so die Expansion, die sich eigentlich aus den Gleichungen ergeben würde, aufhalten.
Hätte Einstein doch nur seinen ursprünglichen Gleichungen vertraut! Nur ein paar Jahre später konnte Edwin Hubble messen, dass sich das Universum tatsächlich ausdehnt! Hätte Einstein sich an seine Gleichungen gehalten und vorhergesagt, dass das Universum expandiert, dann wäre er vermutlich endgültig als das größte Genie der Menscheit in die Geschichte eingegangen…
Aber auch mit der Einführung der kosmologischen Konstante hat Einstein die Physiker späterer Generationen beeinflusst – und heute wissen wir, dass seine “Eselei” (wie er die Konstante später genannt hat) gar nicht so dumm war.
Um zu verstehen, wie das gemeint ist, müssen wir aber erstmal ein paar Eigenheiten der allgemeinen Gravitationstheorie genauer betrachten. Denn die sagt, dass nicht nur die Masse selbst einen Beitrag zum Gravitationsfeld beiträgt – sondern auch alle anderen Formen von Energie. Wenn wir zum Beispiel zwei absolute identische Würfel aus Gold hätten, dann würden die auch genau gleich viel wiegen. Erhitzt man aber einen der beiden Würfel, dann führt man ihm Energie zu – und die leistet einen Beitrag zur Gravitation. Der heiße Würfel wäre tatsächlich schwerer! Gleiches gilt auch für Druck. Hat man zwei Sprungfedern die genau gleich viel wiegen und drückt man eine davon zusammen, dann führt man ihr Energie zu. Und diese Energie macht die Feder schwerer. Das gilt bei “positiven Druck” – doch es gibt auch “negativen Druck”, der nicht nach außen drückt sondern nach innen “saugt” – und der würde sich als abstoßende Gravitationskraft bemerkbar machen. Und das ist genau das, was die kosmologische Konstante von Einstein tut. Sie beschreibt quasi eine Energie, die den ganzen Raum erfüllt und einen gleichförmigen negativen Druck ausübt – also eine gravitative Abstoßungskraft darstellt.
Aber wie gesagt – erstmal war die kosmologische Konstante sowieso passé. Hubble hatte gezeigt, dass sich das Universum ausdehnt und Einsteins Gleichungen konnten das wunderbar beschreiben. Was sie allerdings nicht beschreiben konnten, war der Grund für die Expansion. Dieses Rätsel konnte man erst dann einigermaßen verstehen, als sich Ende der 1970er Alan Guth Gedanken über “unterkühlte Higgs-Felder” machte.
Endlich: der Knall!
Die Higgs-Felder und den Higgs-Mechanismus hat Greene ja schon im letzten Kapitel erklärt. Dort hat er das nichtverschwindende Higgsfeld ja mit einem Frosch erklärt, der in einer Napfkuchenform herumspringt. In einer normalen Schüssel würde der Frosch irgendwann genau in der Mitte zur Ruhe kommen – das würde einem Feld entsprechen, dass einen Wert von Null hat. Aber in der Napfkuchenform ist in der Mitte eine Aufwölbung und der Frosch landet mit hoher Wahrscheinlichkeit abseits davon – genauso nimmt das Higgs-Feld einen nichtverschwindenden Wert an, wenn es sich abkühlt. Was wäre aber nun, überlegte Guth, wenn der Frosch doch genau in der Mitte landet? Was wäre, wenn das Higgs-Feld genau auf dem Mittelplateau der Potenzialschüssel landet und dort bleibt, während sich das Universum abkühlt?
Guth fand heraus, dass so ein “unterkühltes Higgs-Feld” zu einem einheitlichen negativen Druck beiträgt. Es verhält sich genauso wie eine kosmologische Konstante und übt eine abstoßende Kraft aus! Aber so ein unterkühltes Higgs-Feld bleibt nicht ewig unterkühlt. Genauso wie sich unterkühltes Wasser (hochreines Wasser, dass flüssig bleibt, obwohl es unter Null Grad gekühlt wird, weil es keine Kristallisationskeime gibt die die Eisbildung auslösen können) durch äußere Störungen sofort zum frieren bewegen lässt, kann auch ein unterkühltes Higgs-Feld spontan vom Mittelplateau “abrutschen” – und das sehr schnell. In der Hinsicht verhält sich das Higgs-Feld also nicht wie eine kosmologische Konstante, die ja tatsächlich immer konstant bleibt. Außerdem zeigt sich, dass der nach außen gerichtete Druck der abstoßenden Gravitation des Higgs-Feldes ungeheuer viel größer ist als der Wert, den Einstein gewählt hat.
Greene schreibt:
“Wenn wir jetzt diese beiden Ideen miteinander verbinden – dass das Higgs-Feld nur einen winzig kleinen Augenblick in dem Zustand hoher Energie und negativen Druck auf dem Plateau verharrt und dass es, während es sich dort befindet, eine enorme nach außen gerichtete Abstoßungskraft erzeugt – was haben wir dann? Wie Guth erkannte, haben wir dann einen ungeheuren, kurzlebigen, nach außen gerichteten Ausbruch. Mit anderen Worten, wir haben, was der Urknalltheorie bislang fehlte: einen Knall, und einen großen dazu.”
Mit Guths Entdeckung kann man nun die Entwicklung des Universums so verstehen: Vor langer Zeit war das Universum extrem klein und extrem dicht. Die Energie des Higgs-Felds lag bei einem Wert, der nicht dem niedrigsten Punkt in der Potentialschüssel entsprochen hat (dieses besondere Higgs-Feld nennt man übrigens “Inflaton-Feld”). Dieses Inflaton-Feld hat eine enorme gravitative Abstoßung verursacht und das Universum began sich auszudehnen. Diese Ausdehnungsphase dauerte nicht lange. Nach nur 10-35 Sekunden hatte das Higgs-Feld seinen Punkt niedrigster Energie erreicht und die Ausdehnung war vorbei. Aber in dieser kurzen Zeit hatte sich das Universum dramatisch ausgedehnt! Je nach spezieller Theorie kommt man auf Expansionsfaktoren von 1030 bis 10100! Nach dieser Expansion hat das Inflaton-Feld seine aufgestaute Energie in die Erzeugung von Materie und Strahlung umgesetzt und von da an folgt die Entwicklung des Universums im Wesentlichen dem Standardmodell, dass Greene im letzten Kapitel vorgestellt hat.
Wir wissen zwar immer noch nicht, wo das Inflaton-Feld herkommt – aber die inflationäre Kosmologie löste ein paar der großen Probleme, die die Standardkosmologie bis dahin hatte. Eines davon ist das “Horizontproblem”. Ich habe früher schon vom der enormen Gleichförmigkeit der kosmischen Hintergrundstrahlung geschrieben.
Diese Messungen des Satelliten WMAP zeigen, dass Temperaturunterschiede minimal sind, Egal wohin man im Universum blickt, die Temperatur der Hintergrundstrahlung unterscheidet sich höchstens um 0.0002 Grad. Das ist erstaundlich – und es schafft Probleme. Denn wenn die Hintergrundstrahlung so gleichförmig ist, dann heisst das, dass auch das frühe Universum (von dem die Strahlung ja stammt) extrem gleichförmig ist. Aber das kann nur dann der Fall sein, wenn genügend Zeit war, damit sich das Universum entsprechend “vermischen” konnte. Nimmt man aber das Standardmodell der Expansion des Universums, dann zeigt sich, dass diese Zeit nicht da war. Die entfernten Regionen des Alls waren immer zu weit außeinander um den Licht genügend Zeit zu geben, von einem Ende zum anderen zu gelangen. Wenn aber diese Regionen so voneinander getrennt waren, dann gibt es auch keine Möglichkeit, wie sich so ein exaktes Temperaturgleichgewicht eingestellt haben könnte. Die Inflation löst dieses Problem. Denn früher war das Universum sehr klein und alles konnte sich vermischen. Dann kam die inflationäre Phase und hat das All extrem schnell aufgeblasen (die Expansion des Raumes kann durchaus auch überlichtschnell erfolgen). Heute also können die entferntesten Regionen des Raums nicht miteinander kommunizieren – vor der Inflation war das aber der Fall!
Das zweite große Problem war das “Flachheitsproblem”. In einem früheren Kapitel hat Greene schon von den prinzipiellen Möglichkeiten für die Form gesprochen, die der Raum haben kann. Er kann positiv gekrümmt, negativ gekrümmt oder flach sein. Das hängt ganz von der mittleren Materie/Energiedichte des Universums ab. Die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie zeigen, dass, wenn das Universum heute genau die kritische Dichte hätte, die für ein flaches Universum nötig wäre, es dieses Dichte auch schon ganz zu Beginn haben hätte müssen. Wenn die mittlere Dichte kurz nach dem Urknall auch nur um eine Winzigkeit anders gewesen wäre – wenn sie zum Beispiel nur 99.99 % des nötigen Werts gehabt hätte, dann wäre dieser Wert heute auf 0,00000000001 % der kritischen Dichte reduziert worden.
Dunkle Dinge
Wenn wir also die mittlere Dichte messen, dann müssten wir entweder einen Wert finden, der genau der kritischen Dichte entspricht – oder aber einen Wert, der sich sehr stark davon unterscheidet. Das ist aber nicht der Fall. Die ersten Messungen, die dazu durchgeführt worden sind, haben gezeigt, dass die mittlere Dichte zwar nicht der kritischen Dichte entspricht – aber nicht stark von diesem Wert abweicht. Wesentlich weniger stark, als zu erwarten gewesen wäre. Die inflationäre Kosmologie löst auch dieses Problem. Denn es ist klar: je größer etwas ist, desto weniger stark krümmt es sich. Ein Fußball ist gekrümmt, genauso wie die Erde. Die Erde ist aber wesentlich größer und deswegen kommt es uns so vor, als wäre sie flach – ganz im Gegensatz zum Fußball. Wenn also das Universum sich durch die Inflation extrem stark ausgedehnt hat, dann wäre auch das beobachtbare Universum sehr flach – egal, wie groß die mittlere Massendichte war. Das Universum als Ganzes kann durchaus gekrümmt sein – aber der Teil, den wir sehen können (also der Teil, von dem das Licht genug Zeit hat, um bis zu uns zu gelangen) ist nur ein kleiner Teil davon und erscheint uns genauso flach wie uns z.B. Holland (ein kleiner Teil der gekrümmten Erdoberfläche) flach erscheint.
Die inflationäre Kosmologie sagt also vorher, dass wir, wenn wir probieren die Form des Universums zu bestimmen, ein flaches Universum finden werden. Und sie sagt vorher, dass die mittlere Materie/Energie-Dichte genau der kritischen Dichte für ein flaches Universum entsprechen muß. Vorhersagen sind dazu da, um sie zu überprüfen! Und was kommt raus, bei der Überprüfung?
Zuerst mal nicht viel… Nimm man all die Masse im Universum, die wir sehen können – also all die Galaxien, Sterne usw – dann machen diese Objekte nur etwa 5% der Masse aus, die eigentlich da sein sollte, wenn die Materie/Energie-Dichte wirklich der kritischen Dichte entspricht. Das ist zwar schon mal ein erster Hinweis, dass die Inflation tatsächlich stattgefunden hat (ohne Inflation müsste die Abweichung ja, wie oben erklärt, sehr, sehr viel größer sein) – aber 5% sind keine 100%. Aber in den letzten Jahrzehnten hat man herausgefunden, dass es neben der “normalen” Materie auch noch anderes gibt..
Über die dunkle Materie hab ich hier in meinem Blog schon öfter geschrieben – deswegen werde ich hier nicht mehr viel dazu schreiben. Aber seit den 1930er Jahren haben Astronomen immer wieder gemerkt, dass sich Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen nicht so bewegen, wie sie es sollten, wenn die sichtbare Materie wirklich alles ist, was da ist. Irgendwas schien da zu sein, dass zwar Gravitationskraft ausübt, aber nicht mit der elektromagnetischen Kraft wechselwirkt; also unsichtbar ist. Unsere bisherigen Messungen zeigen, dass sichtbare und dunkle Materie gemeinsam etwa 25% der kritischen Dichte ausmachen. Das ist zwar schon besser als 5% – aber immer noch nicht ganz das, was man erwartet hat. Erst seit Ende der 1990er wissen wir, wo sich die restlichen ~75% verstecken. Damals hatten Forscher untersucht, wie schnell sich das Universum ausdehnt und wie sich diese Geschwindigkeit im Laufe der Zeit verändert hatte. Die Ergebnisse waren überraschend!
Normale Materie (rot) und dunkle Materie (blau) im Galacienhaufen MACS J0025 (Credit:
X-ray(NASA/CXC/Stanford/S.Allen); Optical/Lensing(NASA/STScI/UC Santa
Barbara/M.Bradac)
Eigentlich sollte man ja davon ausgehen, dass das Universum sich immer langsamer ausdehnt. Zuerst war da die inflationäre Phase, die die Expansion angestoßen hat – und dann sollte die Masse im Universum mit ihrer Gravitationskraft dafür sorgen, dass die Expansion immer weiter gebremst wird. Das hat man auch gemessen – aber nur für die ersten 7 Milliarden Jahre! Danach begann die Expansion des Universums sich zu beschleunigen! Und hier kommt wieder Einsteins kosmologische Konstante ins Spiel. Anscheinend ist das Universum wirklich von einer noch unbekannten, konstanten Energie durchdrungen (die man momentan erstmal “dunkle Energie” nennt), die der Gravitationskraft entgegenwirkt! Die ersten 7 Milliarden Jahre lang war die Gravitation stärker und bremste die Expansion ab. Dann aber war die Materie so weit über den Raum verteilt, dass sie der kosmologischen Konstante nichts mehr entgegenzusetzen hatte und das Universum begann wieder schneller zu expandieren. Und noch besser: die verschiedenen Messungen zeigen, dass die dunkle Energie genau die bei der Materie/Energiedichte fehlenden 70 bis 75 % ausmacht!
Wir sind also schon ein ganzes Stück weit gekommen! Die inflationäre Kosmologie ist eine mächtige Theorie, die enorm viel erklären kann. Aber natürlich gibt es immer noch jede Menge offene Fragen. Wo kommt das Inflaton-Feld her? Warum ist das Universum mit einem Mix von so unterschiedlichen Dingen (dunkle Materie, dunkle Enerie, normale Materie) angefüllt und das in so unterschiedlichen Verhältnissen? Kann das nicht einfach sein? In den nächsten Kapiteln stellt Greene daher neue Ideen und Theorien vor, die vielleicht helfen können, diese Fragen zu beantworten.
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