Dies ist eine Rezension eines Kapitels aus dem Buch “Der große Entwurf” von Stephen Hawking und Leonard Mlodinow. Die Rezensionen der anderen Kapitel können hier gefunden werden.
Folgt die Natur bestimmten Gesetzen? Und wenn ja, können wir sie verstehen? Das zweite Kapitel des Buches beschäftigt sich mit den Naturgesetzen. Hawking und Mlodinow erzählen von den alten Mythen der Menschen; von früher, als man zum Beispiel glaubte bei einer Sonnenfinsternis würde ein großer Wolf die Sonne fressen den man mit Rufen und Schreien vertreiben müsste. Aber schon bald hat man bemerkt, dass die Sonne so oder so wieder erscheint – und das die Finsternisse gewissen Regeln folgten. Die Babylonier konnten die Finsternisse recht gut vorhersagen und haben so zumindest schon eine gewisse Regelmäßigkeit in der Natur entdeckt. Aber bis sich unser heutiger Begriff des “Naturgesetzes” herausgebildet hatte, musste noch eine lange Zeit vergehen.
Die Menschen früherer Zeiten (und sogar teilweise noch einige von heute) haben die Götter benötigt, um das Wirken der Natur zu erklären. Die Sonne und die Meere, Regen und Vulkane, Wind und Wetter, Liebe und Krieg: all das zu regeln war die Aufgabe der Götter. Die Menschen verstanden die Gesetzmäßigkeiten in der Natur und die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung nicht und waren daher dem Handeln der Götter ausgeliefert. Erst im antiken Griechenland wurden Ideen entwickelt, die die Natur ohne Götter sondern durch das Wirken von gleichbleibenden und prinzipiell verstehbaren Gesetzmäßigkeiten erklärten. Thales von Milet, der vor knapp 2600 Jahren lebte soll der Erste gewesen sein, der von solchen dezidiert nicht mythischen Prinzipien ausgegangen sein soll. Auch die erste mathematische Formulierung eines solchen Naturgesetzes stammt aus Griechenland: Pythagoras fand heraus, dass die Frequenz einer Saite eines Musikinstruments umgekehrt proportional zur Länge der Saite ist. Man kannte damals auch noch drei weitere physikalische Gesetze: das Hebelgesetz, das Auftriebsgesetz und das Reflexionsgesetz. Damals verstand man diese physikalischen Beziehungen aber nicht als Gesetze sondern eher so wie die mathematischen Axiome des Euklid.
Im 3. Jahrhundert v.u.Z. war Aristarch von Samos der erste, der die Sonderstellung des Menschen und der Erde anzweifelte. Durch die Beobachtung einer Mondfinsternis konnte er berechnen, dass die Erde sehr viel kleiner als die Sonne sein musste – und das es daher logischer wäre, wenn die kleine Erde die große Sonne umkreist und nicht umgekehrt. Und auch die Sonne hielt Aristarch nicht für außergewöhnlich – sondern für einen Stern von vielen; so wie man sie am Nachthimmel sehen konnte. Dieses erste heliozentrische Weltbild konnte aber nicht wirklich Fuß fassen und auch von der heutigen Vorstellung von Naturgesetzen war man noch weit entfernt. Den Griechen fehlte noch die wissenschaftliche Methode; die Theorien wurden nicht entwickelt um experimentell überprüft zu werden und es war daher nicht möglich, zwischen zwei konkurrierenden Theorien zu unterscheiden. Man machte außerdem keinen wirklichen Unterschied zwischen Naturgesetzen und menschlichen Gesetzen. Auch “Gottesfurcht” wurde beispielsweise zu den “Naturgesetzen” gezählt und unbelebten Objekten wurden animistische Aspekte und ein “Gehorsam” vor den Gesetzen zugesprochen. Aristoteles vertrat zum Beispiel die Theorie, dass schwere Körper mit einer konstanten Geschwindigkeit fallen die ihrem Gewicht proportional ist. Nun werden aber Objekte offensichtlich immer schneller je länger sie fallen. Aristoteles behauptete deswegen dass Körper um so mehr Freude empfinden, je näher sie ihrem natürlichen Ruheort (dem Erdboden) kommen und sie deswegen beschleunigen.
Auch später konnte sich vor allem die Kirche nicht mit den Naturgesetzen anfreunden. 1277 veröffentlichte der Pariser Bischof Étienne Tempier im Auftrag von Papst Johannes XXI. eine Liste von 219 häretischen Thesen, darunter auch die, dass die Natur Gesetzen folgt. Denn das wäre ein Widerspruch zu Gottes Allmacht. Das Universum hat einen seltsamen Humor; nur wenige Wochen später fiel dem Papst das Dach seines Palastes auf den Kopf und das Gravitationsgesetz sorgte für seinen frühzeitige Abgang vom Papststuhl.
Die Naturgesetze tauchen so richtig erst mit Galileo Galileo und René Descartes auf. Descartes meinte, dass Gott zwar die Natugesetze bestimmt hatte – diese aber nicht ändern konnte da sie sein inneres, unveränderliches Wesen widerspiegeln. Isaac Newton, dessen Gravitationsgesetz der Inbegriff des Naturgesetzes ist, dachte anders; er meinte, Gott könne sich über die Naturgesetze hinweg setzen. Denn aus seinem Gravitationsgesetz meinte er ablesen zu können dass die Planetenbahnen eigentlich instabil sein müssten wenn Gott nicht ab und zu korrigierenden eingreifen würde. Der große Himmelsmechaniker Pierre-Simon Marquis de Laplace hat dann allerdings herausgefunden, dass unser Sonnensystem nicht wirklich jemanden braucht, der ab und zu nach dem Rechten sieht. Er vertrat einen radikalen Determinismus: Wenn wir den Zustand des Universums zu einem bestimmten Zeitpunkt kennen, dann werden Zukunft und Vergangenheit vollkommen durch die Naturgesetze bestimmt. Gott spielt keine Rolle und kann daran nichts ändern.
Das ist im Prinzip immer noch die in der Wissenschaft vorherrschende Meinung: es gibt keine Ausnahmen von den Naturgesetzen; es gibt keine “Wunder”. Dieser Meinung sind auch Hawking und Mlodinow. Allerdings stellt sich dann eine weitere Frage. Wenn alles den Naturgesetzen unterworfen ist: gilt das auch für uns Menschen? Wir haben doch einen freien Willen; wir müssen von der Dominanz der Naturgesetze doch ausgenommen sein? Oder vielleicht doch nicht? Hawking und Mlodinow erklären diese knifflige Frage recht gut. Denn wo fängt der freie Wille, so es ihn den gibt, an? Menschen haben einen; sicher auch andere Menschenaffen und die Säugetiere. Aber wie sieht es mit Fadenwürmern, Einzellern und Bakterien aus? Haben die auch einen freien Willen oder sind das nur biologische Maschinen? Wann genau hat sich der freie Wille im Laufe der Evolution entwickelt?
Andererseits sind die physikalischen und chemischen Prozesse im menschlichen Körper alle genauso deterministisch wie die Bewegung der Himmelskörper – es ist also gut möglich, dass wir auch nur biologische Maschinen sind die nur meinen, sie hätten einen freien Willen. Hawking und Mlodinow verwenden hier den Begriff der “effektiven Theorie”: Wir können zum Beispiel nicht exakt berechnen, wie sich die Schwerkraft der Erde auf all die Atome des Körpers auswirkt – das ist viel zu kompliziert und aufwändig. Wenn wir aber einfach mit der Gesamtmasse rechnen, kommen wir zu guten Ergebnissen. Auch die exakte Berechnung des Verhaltens von Atomen und Molekülen ist oft zu komplex – aber die Chemie ist eine starke effektive Theorie die uns die chemischen Reaktionen erklärt ohne das wir auf die tieferen Ebenen hinabsteigen müssen. Und genauso könnten wir theoretisch das Verhalten des Menschen bestimmen, wenn wir das Wechselspiel all seiner einzelnen Atome mit den Atomen der Umgebung berechnen könnten. Das können wir aber nicht – also verwenden wir die effektive Theorie das wir einen freien Willen haben und benutzen die Psychologie um diesen Willen zu beschreiben…
Hawking und Mlodinow sind also überzeugt davon, dass die Naturgesetz wirklich alles im Universum beschreiben. Ausnahmen gibt es nicht; nichtmal wir Menschen können uns ganz davon lösen und unser freier Wille ist nur eine Illusion. Es bleiben aber trotzdem noch einige Fragen übrig. Wo kommen die Naturgesetze her? Und sind unsere Gesetze die einzig möglichen? Oder hätten sie theoretisch auch anders ausfallen können? Die Antworten darauf gibt es in den nächsten Kapiteln.
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