Dies ist eine Rezension eines Kapitels aus dem Buch “Der große Entwurf” von Stephen Hawking und Leonard Mlodinow. Die Rezensionen der anderen Kapitel können hier gefunden werden.
Wir sind nun im letzten Kapitel des “großen Entwurfs” angelangt. Hawking und Mlodinow machen sich an die Beantwortung der letzten der Fragen, die sie im ersten Kapitel gestellt hatten. Warum gibt es etwas und nicht nichts? Warum gibt es das Universum? Braucht das Universum einen Schöpfer?
Hawking und Mlodinow stellen gleich zu Beginn klar, dass “Gott” als Erklärung für die Schöpfung des Universums sowieso nicht in Frage kommt:
“Es ist vernünftig zu fragen, wer oder was das Universum geschaffen hat, doch wenn die Antwort “Gott” lautet, wird die Frage lediglich verschoben zu jener, wer Gott geschaffen hat.”
Außerdem brauche man Gott so oder so nicht bemühen – denn Hawking und Mlodinow behaupten das diese Fragen ausschließlich in den Grenzen der Naturwissenschaft zu diskutieren und zu beantworten sind. Zuerst aber beschäftigen sie sich noch ein wenig mit dem, was wir als “Realität” ansehen. Das es eine modellunabhängigen Test der Wirklichkeit nicht gibt, haben sie schon in Kapitel Drei erklärt und sie wiederholen jetzt:
“Ein gut konstruiertes Modell [schafft] seine eigene Realität.”
Als Beispiel dafür bringen sie John Conways berühmtes “Spiel des Lebens“. Das ist eigentlich kein wirkliches Spiel; mit Gewinnern und Verlierern oder einem konkreten Ziel. Genaugenomman handelt es sich nur um ein paar simple Gesetze die beschreiben, was mit einigen Quadraten auf einem zweidimensionalen Spielfeld passieren soll. So ein Quadrat kann entweder “lebendig” oder “tot” sein. Man betrachtet dann dessen Nachbarquadrate und folgende Regeln entscheiden, was weiter passiert:
- Eine tote Zelle mit genau drei lebenden Nachbarn wird in der Folgegeneration neu geboren.
- Lebende Zellen mit weniger als zwei lebenden Nachbarn sterben in der Folgegeneration an Einsamkeit.
- Eine lebende Zelle mit zwei oder drei lebenden Nachbarn bleibt in der Folgegeneration lebend.
- Lebende Zellen mit mehr als drei lebenden Nachbarn sterben in der Folgegeneration an Überbevölkerung.
Ziemlich simpel eigentlich – aber das Spiel selbst ist äußerst komplex. Auch wenn die Grundregeln – die “Physik” – enorm einfach sind, sind die daraus entstehenden Muster und deren Veränderung – die “Chemie” – ziemlich komplex. Es gibt zum Beispiel Muster, die sich in periodischen Abständen wiederholen. Sowas hier zum Beispiel:
Das ganze kann natürlich auch komplizierter werden, wie es zum Beispiel dieses Video hier zeigt:
Da tut sich schon richtig was und man sieht sogar, wie sich einige Muster über das Spielfeld bewegen. Manchen Muster sind sogar richtig stabil und “fliegen” über die Welt (“Gleiter”) und manche erzeugen sogar immer wieder neue Muster (“Gleiterkanone”). Und in gewissen Sinne, sind Conways Objekte sogar intelligent. Es konnte gezeigt werden, dass – sehr große – Anordnungen von Quadraten im Spiel des Lebens wie eine Turingmachine funktionieren. D.h. sie können prinzipiell all das berechnen, was auch “echte” Computer prinzipiell berechnen können. Aber Computer sind doch nicht intelligent? Roboter haben keinen freien Willen sondern handeln immer vorhersagbar? Naja – die Sache mit dem freien Willen haben Hawking und Mlodinow ja schon früher diskutiert. Wir postulieren zwar, dass Menschen einen freien Willen besitzen – aber nur, weil die zugrundeliegenden Berechnungen viel zu kompliziert sind, als das wir sie tatsächlich ausführen können. Wäre ein Roboter ebenso komplex wie ein Mensch, dann wäre sein Handeln ebenso “unvorhersagbar” – er hätte auch einen “freien Willen”, so wie wir:
“Das Beispiel von Conways Spiel des Lebens zeigt, dass selbst ein sehr einfacher Satz von Gesetzen ähnlich komplexe Eigenschaften hervorrufen kann, wie sie intelligentes Leben aufweist. Es muss viele Gesetze von Gesetzen mit diesen Eigenschaft geben. Was wählt die fundamentalen Gesetze aus, die unser Universum regieren?”
Das Gegenstück zu den Quadraten in Conways Welt sind die materiellen Objekte in unserem Universum. Es gibt nun verschiedene Sammlungen von Gesetzen, die eine Welt so wie die unsere beschreiben. Jede Sammlung besitzt einen bestimmten Energiebegriff wobei die Energie immer konstant ist. Das Vakuum, der leere Raum hat eine konstante Energie. Ein Naturgesetz muss dann immer eine bestimmte Bedingung erfüllen: Es muss aussagen, dass die Energie eines Körpers, der vom leeren Raum umgeben ist, positiv ist. Wenn so ein isolierter Körper eine negative Energie hätte, dann könnte er so geschaffen werden, dass er sich bewegt und die positive Bewegungsenergie die negative gerade aufwiegt. Das wiederrum würde bedeuten, dass Körper überall und einfach so erscheinen können: der leere Raum wäre instabil. Es muss Energie kosten, ein Objekt zu schaffen damit das Universum lokal stabil bleiben kann.
Die Gravitation spielt hier eine wichtige Rolle. Gravitation wirkt anziehend und Gravitationsenergier ist negativ: man muss Arbeit verrichten, um gravitativ gebundene Körper zu trennen. Negative Gravitationsenergie könnte die positive Energie die man braucht um ein Objekt zu erzeugen aufwiegen. Aber hier gibts Probleme: ein Körper muss sehr schwer sein, um genug Gravitationsenergie zu haben. Genaugenommen muss er, um die positive Energie aufzuwiegen, so schwer sein, dass er sofort zu einem schwarzen Loch zusammenstürzen würde. Einzelne Objekte wie Sterne können also nicht einfach so aus dem Nichts erscheinen. Aber ein ganzes Universum hat genug Energie – das kann aus dem Nichts erscheinen! Hawking und Mlodinow schreiben:
“Da die Gravitation Raum und Zeit formt, ermöglicht sie der Raumzeit, lokal stabil, aber global instabil zu sein. Auf der Größenebene des ganzen Universums kann die positive Energie der Materie durch negative Gravitationsenergie aufgewogen werden und daher gibt es keine Beschränkung für die Erzeugung ganzer Universen. Da es ein Gesetz wie das der Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum (…) aus dem Nichts erzeugen. Spontane Erzeugung ist der Grund, warum etwas ist und nicht einfach nichts, warum es das Universum gibt, warum es uns gibt. Es ist nicht nötig, Gott als den ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat.”
Ok… das klingt faszinierend, schwer zu verstehen – und irgendwie auch ein wenig unbefriedigend. Das ist jetzt auch die passende Stelle um meine einzigen großen Kritikpunkt (insgesamt fand ich das Buch äußerst gut und empfehlenswert) anzubringen: das Buch ist zu kurz! Alles, was ich jetzt hier über positive und negative Energie, Gravitation, stabile Universen und spontane Erzeugung geschrieben habe, ist nicht wirklich eine Zusammenfassung. Das ist mehr oder weniger genau das, was auch im Buch steht. Der entsprechende Teil ist nicht viel länger und umfasst nur die letzten beiden Seiten im Buch! Mir ist schon klar, dass sich “Der große Entwurf” an Laien richtet und vielleicht nicht jeder Lust hat, einen dicken Wälzer durchzuarbeiten. Aber etwas mehr als 177 Seiten hätte man dem Thema schon spendieren können. Vor allem der Schlussteil hätte statt der 2 Seiten besser 20 verdient – oder vielleicht auch 50. Das hätte man genauer erklären können. Oder vielleicht auch nicht – von der Physik und Mathematik die dahinter steckt verstehe ich ja vermutlich genausowenig wie der Durchschnittsleser. Vielleicht ist diese kurze Fassung ja alles, was man verständlich und ohne Mathematik dazu sagen kann?
Abgesehen davon gibt es am Buch allerdings wenig auszusetzen. Hawking und Mlodinow bringen eine schöne, knappe und verständliche Übersicht über die moderne Teilchenphysik und die Kosmologie. Das Buch enthält zwar keine revolutionär-neuen Erkenntnisse – aber das, was man bisher herausgefunden hat wird gut dargestellt. Auch wenn man als Laie vielleicht nicht alles versteht bekommt man doch genügend Material geliefert, um sich selbst jede Menge spannende Gedanken zu machen. Die Kapitel über die Willensfreiheit; die Möglichkeiten der Erkenntnis; die Auseinandersetzung der Autoren mit der Philosophie und der Wissenschaftstheorie oder die Multiversumstheorie bieten ausreichend Stoff für faszinierende Überlegungen bzw. Diskussionen. Selbst die “Standards” – also die Beschreibung der Grundlagen von Quantentheorie und Relativitätstheorie – sind bei Hawking und Mlodinow noch interessant zu lesen; auch wenn man diese Themen vielleicht schon aus anderen Büchern zur Genüge zu kennen meint. Das sich die bisherige mediale Aufmerksamkeit natürlich vor allem auf den Konflikt zur Religion und die Aussage “Gott wird nicht benötigt” beschränkt ist verständlich – entspricht aber nicht der grundlegenden Thematik des Buches. “Der große Entwurf” ist ein Buch über Physik und keines über Religion oder Atheismus!
Wie auch immer – Hawking und Mlodinow beenden das Buch nochmal mit einem Plädoyer für die M-Theorie. Da es das Universum gibt, muss es die Gravitation geben und die Gravitation lässt sich nur dann mit einer Quantentheorie beschreiben, wenn diese supersymmetrisch ist. Und die M-Theorie ist die allgemeinste supersymmetrische Gravitationstheorie – also “der einzige Kandidat für eine vollständige Theorie des Universums.”
Meine Rezension will ich mit den Schlussworten von Hawking und Mlodinow beenden:
“Wenn die Theorie durch Beobachtung bestätigt wird, ist sie der erfolgreiche Abschluss einer Suche, die vor mehr als 3000 Jahren begonnen hat. Dann haben wir den Großen Entwurf gefunden.”
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