Die Entdeckung des Planeten Neptun gilt als eine der Sternstunden der Himmelsmechanik. Allein aus den Abweichungen, die die Bahn des Uranus von der vorherberechneten Position zeigte haben John Couch Adams und Urban le Verrier die Position eines unbekannten Störkörpers berechnet. Und schließlich fand Johann Gottfried Galle dann einen neuen Planeten – genau dort wo Le Verrier es vorhergesagt hatte. Heute wissen wir, dass damals auch eine große Portion Glück dabei war. Die Methode an sich ist aber immer noch hervorragend.
Denn auch wenn man etwas nicht sehen kann, so kann es doch noch einen merkbaren Einfluss einausüben. Extrasolare Planeten sind zum Beispiel im Allgemeinen zu klein um direkt beobachtet zu werden. Sie bringen aber mit ihrer Gravitationskraft den Stern den sie umkreisen ein klein wenig zum Wackeln und das können wir beobachten. Oder Planeten beeinflussen die Verteilung von Asteroiden was wiederrum die Verteilung des interplanetaren Staubs auf bestimmte Art und Weise veränder. Das kann man beobachten und daraus auf die Eigenschaften des Planeten schließen. Es lassen sich mit dieser Methode aber nicht nur Planeten entdecken. Auch “unsichtbare” Galaxien verraten sich durch ihre Gravitationskraft.
Unser Universum besteht ja nicht nur aus der “normalen” Materie die uns umgibt, die wir kennen und aus der wir bestehen. Diese Materie ist anfällig für die Gravitationskraft und die elektromagnetische Kraft. Das bedeutet, dass unsere normale Materie nicht nur eine Gravitationskraft ausübt bzw. spüren kann sondern dass sie auch elektromagnetische Strahlung (u.a. Licht) abstrahlen bzw. absorbieren oder reflektieren kann. Wir können sie also sehen. Neben der normalen Materie existiert aber auch noch dunkle Materie, die nur der Gravitationskraft unterliegt und die die elektromagnetische Kraft einfach ignoriert. Man kann die dunkle Materie also z.B. mit Licht anstrahlen soviel man will: man wird nichts sehen. Sie ist unsichtbar. Aber sie übt eine Gravitationskraft aus und so haben wir sie auch entdeckt. Schon seit den 1930er Jahren haben Astronomen festgestellt, dass es zu Diskrepanzen kommt, wenn man die z.B. die Masse von Galaxien und Galaxienhaufen berechnet. Das kann man auf 2 verschiedene Arten machen: einmal indem man die elektromagnetische Kraft nutzt. Das bedeutet, man schaut einfach nach, was da alles für Materie ist indem man einfach alles zählt, was in so einer Galaxie leuchtet. Das sind die Sterne und das Gas dazwischen und wenn man die Masse von all diesen Objekten zusammenzählt, dann sollte das ja eigentlich die Gesamtmasse der Galaxie ergeben. Man kann aber auch die Gravitationskraft benutzen. Dann beobachtet man z.B. einen einzelnen Stern am Rand der Galaxie und schaut nach, mit welcher Geschwindigkeit er deren Zentrum umkreist. Je nach der Masse die die Galaxie hat, wir die Geschwindigkeit schneller oder langsamer sein. Aus den bekannten Gleichungen für die Gravitationskraft kann man dann die Masse der Galaxie berechnen.
Wissenschaftler verwenden gerne unterschiedliche Methoden um ein Problem mehrmals zu lösen. Damit kann man sich gegen Fehler absichern – denn wenn eine Methode nicht funktioniert, merkt man das so recht schnell. Und überraschenderweise war das bei den Galaxienmassen auch so: zählte man nur die Masse der Materie, die man sehen konnte, dann war das viel weniger als das, was eigentlich da sein musste um die beobachteten Geschwindigkeiten der Sterne zu erklären. Es gab nun also zwei Möglichkeiten: entweder man hat bis jetzt immer eine falsche Formel für die Berechnung der Gravitationskraft verwendet und bekam deswegen falsche Ergebnisse. Oder da ist noch Materie die man nicht sehen kann; die aber trotzdem Gravitationskraft ausübt: dunkle Materie. Beide Ansätze wurden weiter verfolgt. Die alternativen Gravitationsformeln (MOND-Theorien) konnten sich nie wirklich durchsetzen, haben nie wirklich optimal funktioniert und die überwiegende Mehrheit der Astronomen hält diese MOdifizierte Newtonsche Dynamik heute für eine Sackgasse. Die dunkle Materie dagegen funktionierte besser; sie konnte neben den gemessenen Geschwindigkeiten von Sternen und Galaxien auch noch viele andere Dinge vor allem in der Kosmologie erklären. Aber natürlich ist unser Verständnis der dunklen Materie noch immer nicht komplett (das wird sich ändern, wenn erstmal ihre genau Natur bekannt ist) und es gibt noch Probleme, die gelöst werden müssen.
Dazu gehört das Problem der sogenannten “dunklen Begleiter”. Simuliert man beispielsweise wie sich das Universum im Laufe der Zeit entwickelt hat, dann ergibt sich mit der Kombination von sichtbarer und dunkler Materie ein Bild, dass der Realität ziemlich gut entspricht. Allerdings nur bei großen Maßstäben. Wenn wir kleinere Ausschnitte des Universums betrachten (und “klein” heisst hier in etwa so groß wie eine Galaxie), dann zeigen sich Abweichungen. Eine große Galaxie wie unsere Milchstrasse sollte eigentlich viel mehr kleinere Satellitengalaxien haben als wir beobachtet haben. Ok, wir haben die beiden Magellanschen Wolken und noch einen Schwung andere kleine Zwerggalaxien und Kugelsternhaufen die unsere Milchstrasse umgeben. Die Theorie sagt aber noch mehr Satelliten voraus und die wurden bis jetzt nicht beobachtet.
Ok, vielleicht ist einfach die Theorie falsch. Aber da sie so viele andere Sachen so gut erklären kann und die großräumige Verteilung der Materie so gut beschreibt sollte man sie nicht vorschnell wegwerfen. Vielleicht haben wir ja auch nur einige Eigenschaften der dunklen Materie die sich auf die kleinräumige Verteilung der Materie auswirken falsch verstanden. Oder aber die vorhergesagten Satellitengalaxien sind tatsächlich da – aber so klein und lichtschwach, dass wir sie bis jetzt nicht gesehen haben.
Und wenn das tatsächlich so ist, dann wird sich das vielleicht bald ändern! Sukanya Chakrabarti, Astronomin an der Universität in Berkely hat eine faszinierende Methode entwickelt, wie man ihnen auf die Spur kommen könnte. So wie Le Verrie die Störungen des unsichtbaren Neptuns auf die Uranusbahn benutzte; so wie Exoplanetenjäger die Störungen des Planeten auf den Stern benutzen, benutzt Chakrabarti die Störungen, die Satellitengalaxien auf das interstellare Gas in der Muttergalaxy ausüben. Das erweist sich als ideales Medium, um solche Störungen zu entdecken: die Gaswolken in den äußeren Bereichen der Galaxien sind kalt. Das bedeutet, sie reagieren besser auf gravitative Störungen von außen. Außerdem verschwinden die Störungen in den Gaswolken wieder relativ schnell. Es ist also leichter, die Störung direkt auf ihren Ursprung zurückzuführen; im Gegensatz zu z.B. der Verteilung und Bewegung der Sterne bei der sich Störungen verschiedenster Quellen akkumulieren und lange Zeit auswirken.
Wenn sich nun also eine Satellitengalaxie in der Nähe einer größeren Galaxie befindet, dann übt sie einen gravitativen Einfluss auf deren interstellares Gas aus. Chakrabarti hat nun behauptet, dass sich aus einer Analyse der Verteilung des Gases in einer Galaxie die Eigenschaften einer solchen Satellitengalaxie berechnen lassen – selbst wenn diese nicht sichtbar ist! Um das zu belegen, hat sie zwei bekannte Paare von großen Galaxien mit kleinen Satelliten betrachtet: M51 und NGC 1512. Bei beiden Galaxien hat man die Verteilung des interstellaren Wasserstoffs beobachtet und Chakrabarti und ihre Kollegen haben nun probiert herauszufinden, welche störende Satellitengalaxie die beobachtete Verteilung am besten reproduzieren konnte. Das hat in beiden Fällen hervorragend funktioniert und die Eigenschaften der Satellitengalaxien aus den Modelln haben gut mit den tatsächlichen Werten übereingestimmt.
Die Methode funktioniert also schonmal in der Theorie. Ob sie wirklich funktioniert weiß man allerdings erst, wenn man damit auch etwas entdeckt hat, dass man vorher noch nicht kannte. Aber auch hier sind Chakrabarti und ihre Kollegen auf einem guten Weg. Denn schon 2009 haben sie sich die Verteilung des Gases in unserer Galaxie angesehen und kamen zu dem Schluß, dass da etwas sein muss, dass eine gravitative Störung auf das Gas ausübt. Eine kleine, dunkle bisher unbekannte Satellitengalaxie deren Masse etwa ein hundertstel der Masse der Milchstrasse ausmacht und die sich etwa 300000 Lichtjahre entfernt befindet. Diese Galaxie wäre dann – nach den Magellanschen Wolken – die drittgrößte Satellitengalaxie der Milchstrasse.
Gut, vorhersagen kann man viel – aber es bestehen gute Chancen, dass wir diese Galaxie auch tatsächlich finden. Momentan wird mit dem Spitzer-Weltraumteleskop versucht, diese “Galaxie X” zu finden. Der Name hat übrigens nichts mit Gefahr und Weltuntergang zu tun (auch wenn viele vermutlich diese Verbindung mit dem – nicht existierenden – apokalyptischen Planet X herstellen werden). Er bezieht sich auf den wissenschaftlichen Begriff “Planet X”, der Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde als man nach unbekannten Planeten jenseits der Neptunbahn suchte und der seitdem traditionell für einen unbekannten Himmelskörper steht.
Ich finde diese Forschung extrem faszinierend. Einerseits gibt es nun eine neue Methode um Dinge entdecken zu können, die sich bisher der Entdeckung entzogen haben. Und dann lässt sich damit vielleicht noch ein Rätsel der Kosmologie lösen und wir können unserem Verständnis vom Universum einen weiteren Puzzlestein hinzufügen!
Sukanya Chakrabarti, Frank Bigiel, Philip Chang, & Leo Blitz (2011). Finding Dark Galaxies From Their Tidal Imprints Astrophysical Journal arXiv: 1101.0815v1
Sukanya Chakrabarti, & Leo Blitz (2009). Tidal Imprints Of A Dark Sub-Halo On The Outskirts Of The Milky Way MNRAS arXiv: 0908.0334v2
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