In den letzten Tagen war in diversen Medien (und auch nebenan im Mathlog) die Behauptung des amerikanischen Physikers Michael Hartl zu lesen der meinte, die Kreiszahl Pi wäre “falsch”. Das ist natürlich erstmal Unsinn. Pi ist das Verhältnis von Umfang eines Kreises zu seinem Durchmesser. Diese konstante Zahl ist, wie sie ist und kann per Definition nicht “falsch” sein. Hartl meint etwas anderes, er hält Pi für “unnatürlich”. Dem muss ich als Mitglied im Verein “Freunde der Zahl Pi” und Botschafter der Zahl Pi natürlich widersprechen.
Im Interview mit spektrumdirekt meint Hartl:
spektrumdirekt: War denn die Mathematik, die wir alle in der Schule gelernt haben, falsch?
Michael Hartl: Sie war fehlerhaft in dem Sinn, dass Ihnen eine unnatürliche Konvention beigebracht wurde. Ein Kreis ist in viel natürlicherer Weise durch seinen Radius bestimmt als durch seinen Umfang.
Und deswegen möchte Hartl auch, dass wir in Zukunft nicht mehr Pi, das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser verwenden, sondern die Zahl Tau, das Verhältnis von Umfang zum Radius.
Das erinnert mich irgendwie sehr an die “Sprachnörgler”, die Anatal Stefanowitsch in seinem “Sprachlog” immer wieder auseinandernimmt. Diese Leute haben immer ganz klare Vorstellungen darüber, welche Wörter “richtig” sind und welche “falsch” (begründet meist mit fehlerhaften Argumenten). Wer mal live erleben will, wie es ist, benörgelt zu werden, der soll einfach mal an prominenter Stelle im Internet die Phrase “Sinn machen” verwenden. Die Empörung der Sprachnörgler wird sofort folgen… 😉
Mathematik ist ja in gewissem Sinne auch eine Sprache; warum soll es also nicht auch mathematische “Sprachnörgler” geben. Hartl meint, das mathematische Wort “Durchmesser” wäre beim Kreis unnatürlich und man müsste das “natürlichere” Wort “Radius” verwenden. Abgesehen davon, dass ich nicht wirklich sehe, warum ein Kreis jetzt durch seinen Radius “natürlicher” bestimmt wäre als durch seinen Durchmesser macht das natürlich keinen Sinn 😉 Sprache lässt sich nicht vorschreiben. Auch die mathematische Sprache nicht. Mathematiker sind sehr daran interessiert eine möglichst klare und effiziente Ausdrucksweise zu benutzen. Wenn es irgendwie vernünftiger wäre, anstatt Pi die Zahl Tau zu verwenden, dann würden sie das auch tun. Sprachänderungen lassen sich nicht verordnen.
Hartl jedenfalls meint, dass in den Schulen kein Pi mehr gelehrt werden soll, sondern das Tau. Der Umfang eines Kreises berechnet sich dann nicht mehr mit der Formel U = 2 * Radius * Pi sondern mit U = Radius * Tau. Und der Flächeninhalt des Kreis wäre dann nicht mehr A = Pi * Radius² sondern A = Tau * Radius² * (1/2). Klar, rechnen lässt sich mit Tau genausogut wie mit Pi. Tau ist ja auch einfach nur 2*Pi. Der Gießener Mathematikprofessor Albrecht Beutelspacher (der auch Direktor des Mathematikum ist) hat daher recht wenn er in Spiegel-Online sagt:
“Dieses Tau ist doch nur eine andere Verkleidung, hinter der dieselbe Mathematik steckt.” Natürlich spreche mathematisch nichts gegen Tau, alles bleibe logisch konsistent, räumt der Mathematikprofessor ein. “Aber genauso gut könnte man einen neuen Kalender einführen oder die Winkel so umdefinieren, dass die Winkelsumme im Dreieck 100 statt 180 Grad beträgt.”
Genau. Wir können meinetwegen auch festlegen, dass ein Dreieck in Zukunft eine Winkelsumme von 300 Grad haben soll oder nur noch im Binärsystem rechnen und die Dezimalzahlen abschaffen. Die Mathematik wird dann immer noch funktionieren. Aber warum sollte man das tun? Weil die Schüler dank der “natürlicheren” Bezeichnung dann das Rechnen leichter fällt, meint Hartl. Ich bin da allerdings skeptisch. Ob die Schüler jetzt lernen, dass das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreis “Pi” genannt wird oder ob sie lernen, dass das Verhältnis von Umfang zu Radius “Tau” genannt wird, wird keine große Rolle spielen (abgesehen davon, dass sie sowieso beides lernen müssten denn “Pi” wird so oder so in absehbarer Zukunft nicht verschwinden). Und ob man nun A=τr²/2 lernt oder A=πr² wird dem Schüler auch egal sein. Es geht ja nicht um die Formeln. Da lernen sich die mit Pi genauso leicht oder schwer auswendig wie die mit Tau. Idealerweise sollten die Schüler in der Schule die Mathematik hinter den Formeln lernen und der ist es völlig egal, welche Bezeichnung man den Variablen und Konstanten gibt.
Kommentare (105)