Dieser Text ist eine Besprechung eines Kapitels aus dem Buch “The Hidden Reality: Parallel Universes and the Deep Laws of the Cosmos” von Brian Greene. Links zu den Besprechungen der anderen Kapitel finden sich hier
Wer dachte, dass die Quantentheorie aus dem letzten Kapitel schon verwirrend und leicht absurd ist, der wird mit dem nächsten Kapitel nicht sonderlich viel Freude haben. Denn jetzt wird es nochmal extra abgehoben: es geht um die Frage, ob unsere Realität vielleicht nur eine Art holografischer Projektion ist.
Greene beginnt das Kapitel mit Platos berühmten Höhlengleichnis. Da sitzen ja ein paar arme Typen in einer Höhle die sie ihr ganzes Leben lang nicht verlassen haben. Alles was sie sehen, sind die Schatten, die die realen Dinge hinter ihnen auf die Wand werfen. Für diese Menschen aber wären die Schatten die einzige Realität die sie kennen, meint Plato. Und vielleicht geht uns so ähnlich. Vielleicht ist unser ganzes Universum, all das, was wir Realität nennen, nur die Projektion eines anderen Universums, einer anderen Realität. Klingt seltsam und unglaubhaft? Allerdings! Widmen wir uns daher erstmal vergleichsweise normalen Objekten: den schwarzen Löchern.
Schwarze Löcher gehören zu den mißverstandensten Objekten im Universum. Das fängt schon damit an, dass sie keine wirklichen Löcher sind, und genaugenommen nicht mal schwarz (aber dazu später mehr). Sie sind auch keine gnadenlosen Staubsauger die alles ansaugen und zerstören. Es handelt sich “nur” um Bereich im Universum, in denen sich sehr viel Masse auf sehr kleinem Raum befindet. Durch die hohe Massendichte wird der Raum besonders stark gekrümmt, so stark, dass die Fluchtgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit überschreitet. Nichts kann solchen Bereichen entkommen und deswegen nennen wir sie auch “schwarz”. Es gibt keine Möglichkeit, etwas über den Bereich der innerhalb dieses “Ereignishorizonts” liegt in Erfahrung zu bringen. Wenn wir wissen, wie schwer ein schwarzes Loch ist, wie schnell es sich dreht und wie es elektrisch geladen ist, dann wissen wir auch schon alles, was es zu wissen gibt. Mehr Eigenschaften können wir nicht in Erfahrung bringen; mehr Eigenschaften hat ein schwarzes Loch einfach nicht. Als dieses “Keine-Haare-Theorem” in den 1970ern aufgestellt wurde geriet es schnell in Konflikt mit einem anderen grundlegenden Prinzip der Naturwissenschaft: dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Der beschäftigt sich mit der Entropie und die war ja schon in den früheren Büchern von Greene ein wichtiges Thema. Kurz gesagt ist sie ein Maß für die Unordnung der Dinge. Oder, genauer formuliert: sie beschreibt, auf wie viele Arten man die mikroskopische Bestandteile eines Systems anordnen kann ohne das sich am makroskopischen Erscheinungsbild etwas ändert. Ein Beispiel: ein unaufgeräumtes Zimmer hat eine hohe Entropie. Wenn der Boden voller schmutziger Wäsche, Zeitschriften, Bierdosen und Pizzaschachteln ist (Nein, ich beschreibe hier nicht mein Zimmer 😉 ), dann ist es ziemlich egal, WO die Dreckwäsche, Zeitschriften, Dosen und Pizzaschachteln rumliegen. Ich kann den ganzen Haufen nehmen, in die Luft schmeissen und danach wird das Zimmer immer noch genauso unaufgeräumt wie vorher aussehen. Ist dagegen alles makellos sauber und sind die Zeitschriften alphabetisch und nach Jahrgängen im Regal geordnet, dann reicht es schon aus, eine einzige davon umzustellen um das Erscheinungsbild merklich zu ändern. Das augeräumte Zimmer hat eine niedrige Entropie. Beim Aufräumen kann man aber auch wunderbar schummeln. Man könnte den ganzen Dreck nehmen und einfach unter den Teppich kehren. Dann sieht ihn niemand mehr und er ist so gut wie verschwunden. Leider aber nur “so gut wie” – wenn man allerdings ein schwarzes Loch in Reichweite hätte, dann könnte man das ganze Zeug mit der hohen Entropie einfach dort reinschmeissen. Hinter dem Ereignishorizont ist es nicht nur “so gut wie” verschwunden sondern tatsächlich unwiderruflich weg und für den Rest des Universums nicht mehr existent.
Klingt gut, zumindest für notorisch unordentliche Menschen. Für Wissenschaftler (die durchaus auch zur dieser Gruppe gehören können) ergibt sich hier allerdings ein Problem. Denn der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt klar und eindeutig, dass die Entropie im Universum nicht abnehmen kann. Wenn wir aber alles hochentropische in schwarzen Löchern entsorgen könnten, dann stünde das im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz und das wäre nicht gut… Auf dem Weg zur Lösung dieses Konflikts erwartete jede Menge spannende Physik die Wissenschaftler.
Einer der sich des Problems angenommen hat, war Jakob Bekenstein. Er dachte sich, dass die Entropie ja vielleicht doch nicht komplett verschwindet. Immerhin passiert ja etwas, wenn man Zeugs in ein schwarzes Loch schmeisst: es wächst! Die Oberfläche eines schwarzen Lochs (bzw. des ihn umgebenden Ereignishorizonts) wächst im Laufe der Zeit – so wie die Entropie. Könnte man nicht die Oberfläche als Maß für die Entropie nehmen? Nein, sicher nicht! Dachten damals zumindest die meisten anderen Wissenschaftler. Denn wenn ein schwarzes Loch tatsächlich neben Masse, Rotation und Ladung noch eine weitere Eigenschaft – nämlich Entropie – hat, dann muss es auch eine Temperatur haben (Temperatur ist ja im Prinzip auch ein Maß dafür, wie sich die mikroskopischen Bestandteile eines Objekts bewegen). Entropie und Temperatur gehören immer zusammen. Alles aber was eine Temperatur hat, strahlt auch. Das schwarze Loch müsste also Strahlung abgeben und das kann ein schwarzes Loch per Definition ja gerade nicht. Dachte man jedenfalls – bis dann Stephen Hawking kam. Schwarze Löcher sind ja eigentlich Objekte, die sich direkt aus der allgemeinen Relativitätstheorie ergeben. Hawking hatte nun untersucht, was passiert wenn man auch ein paar Quanteneffekte in die Beschreibung schwarzer Löcher inkludiert. Zu diesen Effekten gehören die “Vakuumfluktuationen”. Laut Quantentheorie ist das Vakuum nicht einfach leer, sondern es entstehen ständig virtuelle Teilchen die sich kurz danach gegenseitig vernichten. Eines der virtuellen Teilchen hat positive Energie, das andere negative und beide löschen sich quasi unmittelbar nach der spontanen Entstehung wieder aus. Klingt seltsam, ist aber experimentell nachgewiesen. Wenn jetzt so ein Teilchenpaar in der Nähe des Ereignishorizonts eines schwarzen Lochs entsteht, können seltsame Dinge passieren. Das schwarze Loch kann das Paar auseinanderreissen und das Teilchen mit negativer Energie verschlucken. Das verringert seine Masse – und das Teilchen mit positiver kann der Vernichtung entgehen und entkommen. Das schwarze Loch verliert also Masse und ein vorher nicht vorhandenes Teilchen wird ins All geschickt: das schwarze Loch strahlt! Stephen Hawking hatte gezeigt, dass schwarze Löcher nicht komplett schwarz sind – sie strahlen und haben tatsächlich eine Temperatur (wenn auch nur eine enorm niedrige). Aber das war noch nicht alles: aus dieser Temperatur konnte Hawking berechnen, wie groß die Entropie eines schwarzen Lochs ist – und sie war wirklich proportional zu seiner Oberfläche, genauso wie es Bekenstein vermutet hatte. Hawking berechnete, dass die Entropie genau der Anzahl an Zellen entspricht deren Seitenlänge die Plancklänge ist (10-33 cm) die die Oberfläche des schwarzen Lochs bedecken. Aber warum eigentlich die Oberfläche? Und was hat das jetzt alles mit Holografie und dem Höhlengleichnis zu tun?
Hier haben wir zum ersten Mal einen konkreten Fall, in dem die Information die in einem bestimmten Teil des Raums – des schwarzen Lochs – enthalten sind, durch seine Oberläche bestimmt ist. Und genau das ist das “holografische Prinzip”. Diese Vermutung besagt, dass man die Vorgänge in einem bestimmten Bereich der Raumzeit auch genauso gut durch Vorgänge beschreiben kann, die sich am Rand dieses Gebietes abspielen. Ausgedacht haben es sich die bekannten Physiker Gerardus ‘t Hooft und Leonard Susskind und das alles mag zwar abenteuerlich klingen, es gibt aber Indizien die darauf hinweisen das die Realität tatsächlich so beschaffen sein könnte. Da ist zum einen Mal die Arbeit von Juan Maldacena. Er fand 1997 heraus, dass eine Dualität zwischen einem Anti-de-Sitter-Raum und der konformen Feldtheorie besteht. Was das genau bedeutet, hab ich auch nicht verstanden 😉 Da muss ich das entsprechende Kapitel wohl noch ein paar mal lesen. Es läuft aber auf folgendes hinaus: ein Anti-de-Sitter-Raum ist eine mögliche Form, die das Universum haben kann und er folgt direkt aus den Einsteinschen Feldgleichungen. Es ist nicht der Raum, den unser Universum hat, das wissen wir – aber trotzdem bleibt es interessant. Maldacena konnte zeigen, dass man diesen Anti-de-Sitter-Raum betrachten und ihn mit einer bestimmten Abart der Stringtheorie beschreiben kann. Oder aber man nimmt eine “Feldtheorie”, also eine etwas klassischere Theorie, und kann damit die gleichen Vorgänge ganz äquivalent beschreiben; allerdings nun als Prozesse die sich am Rand des Anti-de-Sitter-Raums abspielen.
Gut, Maldacenas Beispiel beschrieb ein vereinfachtes Universum das nicht das unsere ist. Aber er hat trotzdem erstmals gezeigt, dass sich ein holografisches Universum konsistent beschreiben lässt. Und das ist… überraschend 😉 Greene beschreibt es so:
“Eine bestimmte nichtgravitative Quantenfeldtheorie mit klassischen Punktteilchen in vier Raumzeitdimensionen [der “Rand”, Anm.] beschreibt die gleiche Physik wie eine gravitative Stringtheorie mit Strings die sich durch zehn Raumzeitdimensionen bewegen. Das scheint so wenig zusammenzupassen wie… Nun, ehrlich gesagt hab ich’s probiert und es fallen mir keine zwei Dinge ein, die noch weniger zusammenpassen als diese beiden Theorien. Aber Maldacena folgte der Mathematik und landete exakt bei diesem Ergebnis.”
Jetzt sind die Physiker natürlich gerade dabei, die Theorie von Maldacena zu verallgemeinern und zu sehen, ob sie sich auch auf unser Universum anwenden lässt. Und die Fortschritte sind spannend. Es ist zum Beispiel gelungen manche Probleme bei der Beschreibung eines “Quark-Gluonen-Plasmas” zu lösen. Das ist ein ganz spezieller Zustand der Materie bei dem die sonst immer aneinander gebundenen Quarks sich frei bewegen können und der nur kurz nach dem Urknall bzw. in manchen Teilchenbeschleunigern existiert. So ein Plasma theoretisch zu beschreiben ist schwierig. Aber übersetzt man das Problem in Maldacenas holografische Parallelwelt und formuliert das Problem dort, dann wird aus dem Plasma ein schwarzes Loch (nein, fragt mich nicht wie genau das geht, ich versteh es auch nicht so wirklich) und untersucht man dessen Eigenschaften, dann kann man das Problem lösen! Und die so gewonnenen Ergebnisse stimmen überraschend gut mit den experimentellen Messungen überein. Es wird hier sicher noch Jahrzehnte geforscht und experimentiert werden müssen. Aber vielleicht ist unser Universum wirklich nur Teil einer größeren Welt. Vielleicht ist unsere Realität nur die Projektion von Vorgängen die ganz woanders stattfinden…
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