Von kleinen Dingen gibt es meistens mehr. Anstatt großer Scheine sammelt sich in den Geldbörsen das Kleingeld. Meine Wohnung ist ständig voll mit kleinen Staubkörnern (große Felsbrocken finde ich darin dafür relativ selten). Und das Universum ist voll mit Zwerggalaxien. Die sind viel kleiner als die “normalen” Galaxien wie unsere Milchstraße. Ihre Masse ist bis zu hundert Mal kleiner, ihre Größe misst sich in Zehntausenden von Lichtjahren anstatt Hunderttausenden und ihre Leuchtkraft ist natürlich auch viel geringer. Deswegen ist es schwer, sie zu entdecken. Am Hubble-Weltraumteleskop steckt man gerade mitten im drei Jahre dauernden Cosmic Assembly Near-infrared Deep Extragalactic Legacy Survey (CANDELS), einer Himmelsdurchmusterung mit dem Ziel möglichst weit entfernte und möglichst kleine Galaxien zu finden. Erste Ergebnisse wurden kürzlich präsentiert und sie sind überraschend. Die frühen Zwerggalaxien verhalten sich ganz anders, als man dachte.
Seit 2010 schon sucht Hubble nach fernen Zwerggalaxien. Unter den vielen Galaxien die man entdeckte, fand man auch 69, die außergewöhnlich waren. Es handelt sich um sogenannte extreme emission line galaxies (EELGs), also Galaxien, deren Spektrum besondere Eigenschaften zeigt. Sie sind viel heißer und leuchten blauer als die normalen Galaxien. So sehen sie aus:
Der Grund für die besondere Färbung dieser Galaxie sind junge Sterne. Dort findet offensichtlich gerade eine besonders starke und heftige Phase der Sternentstehung statt. Das ist an sich nichts besonders. Das außergewöhnliche hier ist die relative Schnelligkeit, mit der dieser Prozess abläuft. Bei der dort ablaufenden Rate der Sternentstehung würde sich die Anzahl der Sterne in der Galaxie alle 15 Millionen Jahre verdoppeln! Zum Vergleich: In unserer Milchstraße müsste man 15 Milliarden Jahre warten, bis sich die Anzahl der Sterne verdoppeln würde (Natürlich verdoppeln sich weder da noch dort die Sterne wirklich – Sterne erlöschen auch wieder und außerdem ist irgendwann mal kein Gas mehr da, aus dem neue Sterne entstehen können). Die Sterne, die jedes Jahr neu in unserer Milchstraße entstehen, kann man normalerweise an den Fingern einer Hand abzählen…
Natürlich ist zu erwarten, dass in der Frühzeit des Universums und den jungen Galaxien (und die gefundenen Zwerggalaxien sind sehr weit weg und daher auch noch sehr jung) mehr Sterne entstehen als heute. Aber aufgrund der bisherigen Beobachtungen und der durchgeführten Simulationen zur Galaxienentstehung dachte man eigentlich, dass die Sternentstehung ein langsamer Prozess sei, der viele Milliarden Jahre lang dauert. Die aktuellen Ergebnisse legen allerdings nahe, dass der Großteil der Sterne der Zwerggalaxien in relativ kurzen, intesiven Sternentstehungsphasen entstanden ist. Wie das genau abläuft, muss jetzt noch geklärt werden.
In ihrer Arbeit schlagen Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der Hauptautor der Studie, und seine Kollegen vor, dass die heißen Winde der jungen Sterne eine Rolle spielen könnten. Junge Sterne erzeugen starke Sternwinde, dabei könnte auch viel vom interstellaren Gas (das die Grundlage der Sternentstehung bildet) in die äußeren Bereiche der Galaxie geblasen werden, wo es nicht mehr dicht genug ist, damit daraus Sterne entstehen können. Erst wenn sich alles wieder einigermaßen abgekühlt hat, kann das Gas wieder zurück in die Galaxie fallen und dort zu einer neuen Phase der Sternentstehung führen (oder auch nicht, falls es komplett aus der Galaxie geblasen wurde). Dieser Mechanismus hätte auch einen weiteren Vorteil. Er könnte einigen Details bei der Frage nach der dunklen Materie erklären. Die Verteilung der dunklen Materie in Galaxien, die man aus der Beobachtung erhält entspricht nämlich nicht ganz der theoretischen Erwartung. Wenn aber in den intensiven Phasen der Sternentstehung die interstellare Materie in die Außenbereiche der Galaxien geschleudert wurde, dann könnte sie auch dunkle Materie mitgerissen haben. Das würde die Verteilung der dunklen Materie ändern; man würde in den Außenbereichen mehr finden als erwartet und das ist genau das, was man auch beobachtet.
Die CANDELS-Durchmusterung wird noch bis 2013 laufen. Es ist also noch genug Zeit, um weitere Daten zu sammeln und das Rätsel der Zwerggalaxien zu lösen. Aber bei einem können wir uns sicher sein: Es werden wieder neue Rätsel auftauchen! Und jedesmal lernen wir ein klein bisschen mehr über das Universum, in dem wir leben…
A. van der Wel, A. N. Straughn, H. -W. Rix, S. L. Finkelstein, A. M. Koekemoer, B. J. Weiner, S. Wuyts, E. F. Bell, S. M. Faber, J. R. Trump, D. C. Koo, H. C. Ferguson, C. Scarlata, N. P. Hathi, J. S. Dunlop, J. A. Newman, M. Dickinson, K. Jahnke, B. W. Salmon, D. F. de Mello, D. D. Kocevski, K. Lai, N. A . Grogin, S. A. Rodney, Yicheng Guo, E. G. McGrath, K. -S. Lee, G. Barro, K. -H. Huang, A. G. Riess, M. L. N. Ashby, & S. P. Willner (2011). Extreme Emission Line Galaxies in CANDELS: Broad-Band Selected,
Star-Bursting Dwarf Galaxies at z1 ApJ arXiv: 1107.5256v2
Kommentare (12)