Von kleinen Dingen gibt es meistens mehr. Anstatt großer Scheine sammelt sich in den Geldbörsen das Kleingeld. Meine Wohnung ist ständig voll mit kleinen Staubkörnern (große Felsbrocken finde ich darin dafür relativ selten). Und das Universum ist voll mit Zwerggalaxien. Die sind viel kleiner als die “normalen” Galaxien wie unsere Milchstraße. Ihre Masse ist bis zu hundert Mal kleiner, ihre Größe misst sich in Zehntausenden von Lichtjahren anstatt Hunderttausenden und ihre Leuchtkraft ist natürlich auch viel geringer. Deswegen ist es schwer, sie zu entdecken. Am Hubble-Weltraumteleskop steckt man gerade mitten im drei Jahre dauernden Cosmic Assembly Near-infrared Deep Extragalactic Legacy Survey (CANDELS), einer Himmelsdurchmusterung mit dem Ziel möglichst weit entfernte und möglichst kleine Galaxien zu finden. Erste Ergebnisse wurden kürzlich präsentiert und sie sind überraschend. Die frühen Zwerggalaxien verhalten sich ganz anders, als man dachte.

Seit 2010 schon sucht Hubble nach fernen Zwerggalaxien. Unter den vielen Galaxien die man entdeckte, fand man auch 69, die außergewöhnlich waren. Es handelt sich um sogenannte extreme emission line galaxies (EELGs), also Galaxien, deren Spektrum besondere Eigenschaften zeigt. Sie sind viel heißer und leuchten blauer als die normalen Galaxien. So sehen sie aus:

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69 komische Zwerggalaxien. Die Bilder zeigen keine echten Farben, die Aufnahmen wurden auch im infraroten Bereich des Spektrums gemacht (Bild: van der Wel et al, 2011)

Der Grund für die besondere Färbung dieser Galaxie sind junge Sterne. Dort findet offensichtlich gerade eine besonders starke und heftige Phase der Sternentstehung statt. Das ist an sich nichts besonders. Das außergewöhnliche hier ist die relative Schnelligkeit, mit der dieser Prozess abläuft. Bei der dort ablaufenden Rate der Sternentstehung würde sich die Anzahl der Sterne in der Galaxie alle 15 Millionen Jahre verdoppeln! Zum Vergleich: In unserer Milchstraße müsste man 15 Milliarden Jahre warten, bis sich die Anzahl der Sterne verdoppeln würde (Natürlich verdoppeln sich weder da noch dort die Sterne wirklich – Sterne erlöschen auch wieder und außerdem ist irgendwann mal kein Gas mehr da, aus dem neue Sterne entstehen können). Die Sterne, die jedes Jahr neu in unserer Milchstraße entstehen, kann man normalerweise an den Fingern einer Hand abzählen…

Natürlich ist zu erwarten, dass in der Frühzeit des Universums und den jungen Galaxien (und die gefundenen Zwerggalaxien sind sehr weit weg und daher auch noch sehr jung) mehr Sterne entstehen als heute. Aber aufgrund der bisherigen Beobachtungen und der durchgeführten Simulationen zur Galaxienentstehung dachte man eigentlich, dass die Sternentstehung ein langsamer Prozess sei, der viele Milliarden Jahre lang dauert. Die aktuellen Ergebnisse legen allerdings nahe, dass der Großteil der Sterne der Zwerggalaxien in relativ kurzen, intesiven Sternentstehungsphasen entstanden ist. Wie das genau abläuft, muss jetzt noch geklärt werden.

In ihrer Arbeit schlagen Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der Hauptautor der Studie, und seine Kollegen vor, dass die heißen Winde der jungen Sterne eine Rolle spielen könnten. Junge Sterne erzeugen starke Sternwinde, dabei könnte auch viel vom interstellaren Gas (das die Grundlage der Sternentstehung bildet) in die äußeren Bereiche der Galaxie geblasen werden, wo es nicht mehr dicht genug ist, damit daraus Sterne entstehen können. Erst wenn sich alles wieder einigermaßen abgekühlt hat, kann das Gas wieder zurück in die Galaxie fallen und dort zu einer neuen Phase der Sternentstehung führen (oder auch nicht, falls es komplett aus der Galaxie geblasen wurde). Dieser Mechanismus hätte auch einen weiteren Vorteil. Er könnte einigen Details bei der Frage nach der dunklen Materie erklären. Die Verteilung der dunklen Materie in Galaxien, die man aus der Beobachtung erhält entspricht nämlich nicht ganz der theoretischen Erwartung. Wenn aber in den intensiven Phasen der Sternentstehung die interstellare Materie in die Außenbereiche der Galaxien geschleudert wurde, dann könnte sie auch dunkle Materie mitgerissen haben. Das würde die Verteilung der dunklen Materie ändern; man würde in den Außenbereichen mehr finden als erwartet und das ist genau das, was man auch beobachtet.

Die CANDELS-Durchmusterung wird noch bis 2013 laufen. Es ist also noch genug Zeit, um weitere Daten zu sammeln und das Rätsel der Zwerggalaxien zu lösen. Aber bei einem können wir uns sicher sein: Es werden wieder neue Rätsel auftauchen! Und jedesmal lernen wir ein klein bisschen mehr über das Universum, in dem wir leben…


A. van der Wel, A. N. Straughn, H. -W. Rix, S. L. Finkelstein, A. M. Koekemoer, B. J. Weiner, S. Wuyts, E. F. Bell, S. M. Faber, J. R. Trump, D. C. Koo, H. C. Ferguson, C. Scarlata, N. P. Hathi, J. S. Dunlop, J. A. Newman, M. Dickinson, K. Jahnke, B. W. Salmon, D. F. de Mello, D. D. Kocevski, K. Lai, N. A . Grogin, S. A. Rodney, Yicheng Guo, E. G. McGrath, K. -S. Lee, G. Barro, K. -H. Huang, A. G. Riess, M. L. N. Ashby, & S. P. Willner (2011). Extreme Emission Line Galaxies in CANDELS: Broad-Band Selected,
Star-Bursting Dwarf Galaxies at z1 ApJ arXiv: 1107.5256v2

Kommentare (12)

  1. #1 Bullet
    11. November 2011

    Ich frag mich jedes Mal, wenn ich deine Artikel lese, wie es Deppen geben kann, die glauben, Wissenschaftler könnten “dogmatisch” sein oder gar (Achtung, Brüller:) nur in abgesicherten Wissensbereichen forschen.
    Muß ich dann eigentlich davon ausgehen, daß ganz zu Beginn (also bevor sich Sterne bildeten) Wasserstoff und Helium noch quasi homogen im Universum verteiilt waren und die Stern-, Galaxien- und Galaxienhaufenbildung eine Art Kondensationsprozeß ist, der – wenn man ihn unbegrenzt weiterlaufen können ließe – im Endeffekt dazu führte, daß es nur noch einen einzigen Eisenblock im ganzen Universum gibt?

  2. #2 nichtschonwieder
    11. November 2011

    @Bullet: 11.11.11 · 11:11
    War das Absicht oder nur Zufall, egal, dass schreit nach einer großen Runde zur WU-Party. 😉

  3. #3 klauszwingenberger
    11. November 2011

    @ Bullet:

    DieseBilderfolge:
    https://cosmicweb.uchicago.edu/filaments.html

    kennst Du vermutlich. Sie ist die Folge davon, dass es eben keine homogene Verteilung gab, sondern lokale Verdichtungen, die als Gravitationstöpfe wirkten, in denen sich die Materie für Galaxien ansammelte. Das Ergebnis sieht dann so aus, dass es filamentartige Großstrukturen gibt mit riesigen leeren Räumen, sog. voids, dazwischen, wobei sowohl die Größe der voids als auch die Akkumulation in den Filamenten mit der Zeit zunimmt. Um beim Eisenbeispiel zu bleiben: das Endergebnis sieht einem Stahlnetz ähnlicher als einer Eisenkugel.

    Aber abgesehen davon: bei einer perfekt homogenen Verteilung müsste man die kosmische Expansion mitberücksichtigen. Ist sie stark genug, kommt einfach eine immer dünner werdende Wolke dabei heraus.

  4. #4 Bullet
    11. November 2011

    oh, wow. Hab ich nicht gesehen. 🙂

  5. #5 Bullet
    11. November 2011

    und @Klaus: wo hab ich nur meinen Kopf. Klar kenn ich die. Okay: eher ein Netz. Aber auch dieses sollte sich zusammenknäueln können. (Wobei man da wahrscheinlich noch einige Billiönchen an Jahren ranhängen sollte …)
    Daß die Verteilung der Materie zum Anfang eben nicht “perfekt homogen” sein konnte, war mir klar. Aber das erste Bild aus der Reihe zeigt ja das, was ich meinte.
    (Memo an mich selbst: nicht drei Sachen gleichzeitig tun und sich dann zum Horst machen.)

  6. #6 klauszwingenberger
    11. November 2011

    Jetzt aber mal satt über meinem Niveau:

    eher ein Netz. Aber auch dieses sollte sich zusammenknäueln können.

    Wenn ich das richtig verstanden habe, hängt das von dem Betrag des kosmologischen Dichteparameters ab. Ist er zu klein, behält die Expansion auf großen Skalen die Oberhand. Es ist ja auch gerade so, dass es mit zunehmenden Distanzen umso schneller auseinandergeht – die Beträge der Expansionsbewegungen pro Raumeinheit addieren sich auf. Zusammenknäulen muss also nicht sein.

  7. #7 mr_mad_man
    11. November 2011

    Wenn aber in den intensiven Phasen der Sternentstehung die interstellare Materie in die Außenbereiche der Galaxien geschleudert wurde, dann könnte sie auch dunkle Materie mitgerissen haben.
    Wie kann man sich das Mitreissen vorstellen? Normale Teilchen und dunkle Materie-Teilchen wechselwirken doch nur über Gravitation, somit ist ein ‘Anstupsen’ (wie z. B. beim Billard) nicht möglich. Die normalen Teilchen müssten eher beim Überholen die DM-Teilchen durh Gravitation anziehen, und diese dadurch in Bewegung bringen. Da aber auch die ‘stillstehenden’ DM-Teilchen die normalen Teilchen anziehen, müssten die normalen Teilchen durch diesen Vorgang abgebremst werden. Und dieses Abbremsen müsste dann doch auch messbar sein. (???)

  8. #8 Florian Freistetter
    11. November 2011

    @mr_mad_man:“Da aber auch die ‘stillstehenden’ DM-Teilchen die normalen Teilchen anziehen, müssten die normalen Teilchen durch diesen Vorgang abgebremst werden. Und dieses Abbremsen müsste dann doch auch messbar sein.”

    Ja, natürlich geht das alles nur über die Gravitation. Und natürlich gibts da auch eine Abbremsung. Aber das ist kein Prozess, bei dem du zuschauen kannst, so eine Sternentstehungsphase dauert 30 Millionen Jahre (in etwa). Das Material, dass da rausfliegt kann man nicht sehen und schon gar nicht messen. Dafür sind die Dinger zu weit weg.

  9. #9 mr_mad_man
    11. November 2011

    @FF: Aha, Danke für die Antwort. An die Entfernung und die 30 Millionen Jahre habe ich nicht gedacht, aber zumindest freue ich mich, dass ich da prinzipiell richtig gedacht habe.

  10. #10 nihil jie
    11. November 2011

    ich schätze mal, dass sich viele der weit entfernten Zwerggalaxien schon längst zu größeren Strukturen zusammengeschlossen haben…. nur so eine Vermutung. wie sehen die Situation und die Verteilung ja wie sie vor Millionen oder gar Milliarden Jahren vorherrschte.

  11. #11 Wilhelm Leonhard Schuster
    12. November 2011

    naive Fragen : Wir sehen doch nur Licht (Galaxien), das sich auf uns zubewegt.Wir müßten dem Licht doch mit Lichtgeschwindigkeit hinterherrennen um es je sehen zu können?(Licht Ein /Aus) Das Licht, das sich von uns wegbewegt können wir doch nicht sehen.Urknall gleich ein Punkt von dem das Licht in alle Richtungen ausstrahlt ? Bei einer Explosion werden Druckwellen im Raum kugelförmig verbreitet .Also müßten wir doch nur einen relativ schmalen Winkel des Universums sehen können.
    Die Logik sagt : Alles was in Opposition jenseits des Urknall s vorhanden ist können wir nicht sehen,ist aber vorhanden. Sämtliche Galaxien bewegen sich auf vorgegebenen Vektoren und verbreiten sich kugelförmig weg vom Urknallort?Unendlichen Raum muß es doch schon ewig vorher gegeben haben .(Oder wann kommt die ewige Berliner
    Mauer an der jedwege Galaxie zu schanden wird?)
    Der Schreiber ist Naivling und kein Zweistein und in Betrachtung des hier behandelten Themas relativer Dummkopf, also bitte ich um Nachsicht!

  12. #12 Florian Freistetter
    12. November 2011

    @WLS: “. Die Logik sagt : Alles was in Opposition jenseits des Urknall s vorhanden ist können wir nicht sehen,ist aber vorhanden. “

    Dieser Logik liegt die weit verbreitete falsche Annahme zugrunde, es gäbe irgendeinen konkreten Punkt im Raum, an dem der Urknall stattgefunden hat. Das ist aber falsch, der Urknall war quasi überall (deswegen kommt ja auch die Hintergrundstrahlung aus allen Richtungen zu uns). Ich empfehle dazu immer gerne dieses Buch: https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/05/der-stoff-aus-dem-der-kosmos-ist-die-komplette-rezension.php