“Es kann unserer Ansicht nach nur einen Ausweg geben: Die Homöopathie muss, wie die Astrologie und die Alchemie bereits vor ihr, kategorisch aus der wissenschaftlichen Welt verbannt werden. Homöopathie ist Glaube, Aberglaube, Esoterik, Voodoo – wie auch immer. Jedenfalls hat sie in der Wissenschaft nichts verloren. Sie lässt sich zwar nach Karl Popper als theoretisch falsifizierbare Theorie wissenschaftlich untersuchen, aber zum einen ist die Methodik der evidenzbasierten Medizin nicht dafür geeignet, die Grundlagen der Physik und Chemie zu erschüttern, und zum anderen akzeptieren ihre Anhänger, wie die Erfahrung gezeigt hat, die Ergebnisse nicht oder missinterpretieren sie zu ihren Gunsten. So wird die Homöopathie zu einer mit klinischen Versuchen praktisch nicht falsifizierbaren Theorie.”
Ein eigenes Kapitel haben auch die homöopathischen Ärzte bekommen. Warum sind nicht nur so viele Patienten, sondern auch die Ärzte Anhänger der Homöopathie? Weil auch Ärzte nur Menschen sind und genauso auf den Mechanismen der Selbsttäuschung erliegen können wie alle anderen. Nur macht es leider einen Unterschied, ob man sich bei einer Erkältung in der Apotheke ein paar Zuckerkugeln kauft oder ob ein homöopathischer Arzt wie Curt Kösters im Buch dann solche Dinge erzählt:
“Wenn ich einen Patienten mit einer Lungenentzündung vor mir habe, behandle ich in aller Regel zunächst einmal homöopathisch. Ich schaue dann aber sehr genau hin, ob sich die Symptome schnell bessern.”
Und wenn nicht, dann wird er seine Patienten hoffentlich mit echten Medikamenten behandeln…
Aber man kann es den Ärzten nicht einmal wirklich vorwerfen, dass sie sich immer öfter der Homöopathie zuwenden. Schon allein aus finanziellen Gründen. Viele Patienten fühlen sich bei ihren Arzt nicht wohl, sie fühlen sich “abgefertigt” und nicht ernst genommen. Ein Homöopath dagegen nimmt sich viel Zeit. Das bedingt schon die Methode, denn es muss ja genau das “richtige” Globuli gefunden werden und dazu braucht es eine lange Anamnese, ein langes Gespräch in der alle möglichen Befindlichkeiten abgefragt werden müssen. Natürlich ist allein schon diese ausführliche Zuwendung schon ein mächtiges Placebo. Das wissen auch die Mediziner (die den Placebo-Effekt schon lange und immer intensiver erforschen). Unser Gesundheitssystem zwingt die Ärzte aber dazu, die Gespräche mit ihren Patienten möglichst knapp zu halten, wie Weymayr und Heißmann erklären. Für eine “eingehende” Beratung bekommt ein Arzt laut Gebührenordnung 8,74 Euro. Für eine homöopathische Anamnese mit einer Mindestdauer von einer Stunde erlaubt die Gebührenordnung die Abrechnung von 52,46 Euro. Kein Wunder, dass immer mehr Ärzte den lukrativeren homöopathischen Markt entdecken…
Auch die homöopathische Pharmaindustrie hat im Buch ein eigenes Kapitel bekommen. Denn der Markt mit den Globuli ist eben ein Markt und die Hersteller verschenken ihre Kügelchen nicht sondern wollen Geld verdienen. Und das tun sie auch; weltweit werden jedes Jahr Milliarden mit Homöopathie umgesetzt. Damit das auch so bleibt, braucht es entsprechende Strukturen. Hersteller homöopathischer Medikamente organisieren daher “Fortbildungs”veranstaltungen für Ärzte, geben “Fach”zeitschriften heraus und finanzieren Lobbyverbände.
Neben den Ärzten und der Pharmaindustrie spielen natürlich auch Apotheker, Politiker und Krankenkassen eine wichtige Rolle in der homöopathischen Welt. Besonders diese Kapitel des Buches fand ich interessant. Es ist erschreckend und absurd wie viele Sonderrechte der Homöopathie eingeräumt werden. Nach dem Contergan-Skandal in den 1960er Jahren wurde die Arzneimittelzulassung in Deutschland grundlegend neu geregelt. Weymayr und Heißmann zitieren einen Bericht des deutschen Bundestags (pdf):
“Ein Arzneimittel darf vom pharmazeutischen Unternehmer zukünftig nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn dieser die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nachgewiesen hat.”
Für die Homöopathie wäre so ein Gesetz tödlich gewesen. Sie wäre dann dort gelandet, wo sie eigentlich hingehört: Zusammen mit Astrologie und Alchemie beim veralteten Aberglauben. Doch zum Glück gab es die Lobbyorganisationen und die erwirkten eine Sonderregelung für die Homöopathie. Die echte Medizin muss nun aufwendige (und teure) Studien durchführen um zu belegen, dass ihre Medikamente wirken und nicht schädlich sind. Die Homöopathie kann sich das alles sparen, denn für sie wird das “Erfahrungswissen” anerkannt. Soll heißen: Sind die Homöopathen der Meinung, ihr Mittel würde wirken, dann kann es verkauft werden. Eine spezielle Überprüfung braucht es nicht. Im Sozialgesetzbuch ist die “Binnenanerkennung” festgeschrieben. Wenn über Leistungen der Krankenkassen entschieden wird, dann muss – wenn es um Homöopathie geht – die Meinung der Homöopathen in die Entscheidung einbezogen werden. Besonders lustig – oder je nach Auffassung: deprimierend – fand ich einen Paragraf, der die Befreiung von der Apothekenpflicht regelt. Wenn pflanzliche Produkte “mit ihren verkehrsüblichen deutschen Namen” bezeichnet sind und Säfte nur mit Wasser erstellt wurden, dann kann man sie überall verkaufen. Andere Pflanzen, Pflanzenteile, Mischungen, Destillate und Säfte sind dagegen apothenkenpflichtig. Ich kann also eine stinknormale Zwiebel in jedem Supermarkt kaufen. Homöopathisches Allium cepa dagegen darf nur in der Apotheke verkauft werden – denn es hat ja einen lateinischen Namen! So wird sichergestellt, dass die Globuli nur gemeinsam mit den echten Medikamenten in der seriösen Apotheke verkauft werden können und nicht im Supermarktregal zusammen mit den eher dubiosen Vitaminpillen…
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