Biologen haben es gut. Im Gegensatz zu den Physiker haben sie ihre große, einheitliche Theorie schon gefunden: Die Evolution. Die Evolutionstheorie erklärt wunderbar, wie die Lebewesen sich entwickeln, verändern und zu dem wurden, was wir heute beobachten. Wie das Leben selbst entstanden ist, ist allerdings kein Teil der Evolutionstheorie – auch Darwin hat zu diesem Thema nie offiziell irgendetwas publiziert. Das heißt aber nicht, dass die Wissenschaftler vollkommen ahnungslos sind. Es gibt viele gute Ansätze, um die Entstehung des Lebens zu erklären. Einer davon wurde vorgestern auf der Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Jena vorgestellt. Der Chemiker Henry Strasdeit von der Universität Hohenheim hielt einen Vortrag zum Thema: “Schritte zum Leben: präbiotisch-chemische Evolution auf erdähnlichen Planeten”. Seine These: Die ersten lebendigen Zellen haben sich auf Vulkaninseln entwickelt und könnten das auch auf extrasolaren Planeten tun.

Vulkanausbruch auf La Réunion (Bild: Samuel Hoarau, CC-BY-SA 3.0)

Vulkanausbruch auf La Réunion (Bild: Samuel Hoarau, CC-BY-SA 3.0)

Damit die Evolution einsetzen und aus dem ersten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen die große Vielfalt des Lebens machen kann, müssen zuerst einmal die ersten Protozellen entstehen. Irgendwie muss das dafür nötige chemische Inventar aus den einfachen chemischen Elementen zusammengebaut werden, das auf der frühen Erde zur Verfügung stand. Für diesen Prozess gibt es erstmal zwei prinzipielle Möglichkeiten. Es kann heterotroph passieren: Die “Ursuppe” ist die Quelle verschiedenster organischer Moleküle und daraus entstanden komplexe Moleküle wie die RNA, die ersten Vorläufer des Lebens. Das entspricht dem “warm little pond”, dem warmen, kleinen Tümpel, den Darwin sich vorstellte, als er sich in einem Brief doch einmal über die Entstehung des Lebens geäußert hat. Das aber ist aus chemischer Sicht unplausibel; solche Reaktionen laufen normalerweise nicht ab. Die zweite Möglichkeit ist ein autotropher Prozess. Unabhängig von der Ursuppe werden die ersten Biomoleküle in spezieller Umgebung synthetisiert, zum Beispiel an Eisen-Schwefel-Bläschen, die man auf der frühen Erde fand. Das ist möglich und es gibt jede Menge Hypothesen dazu – aber noch keine Experimente, die solche Prozesse belegen können.

Mittlerweile geht man eher von einer Fusion beider Prozesse aus. Einem sogenannten autokatalytischen chemischen Netzwerk, das kleine organische Moleküle herstellt. Das soll folgendes heißen: bestimmte simple chemische Grundstoffe können miteinander reagieren. Die Reaktionsprodukte selbst wirken dann als Katalysator für andere Reaktionen, die wiederum als Katalysator für weitere Reaktionen wirken. So entsteht ein Netzwerk, bei dem das gesamte System autokatalytisch, also selbstverstärkend, ist, obwohl die einzelnen Reaktionen des Netzwerks nicht autokatalytisch sein müssen.

Es dabei auch eher selten, dass die Reaktionen sehr kompliziert sind. Anstatt einer Reaktion, bei der viele verschiedene Elemente zusammen kommen müssen ist es wahrscheinlicher, das viele einfache Reaktionen hintereinander ablaufen. Und das geht am besten in einer Umgebung, in der man viele verschiedene chemische und physikalische Umgebungen finden kann. Und die findet man auf Vulkaninseln!

In den Wolken aus Asche gibt es durch die Reibung Vulkanische Blitze, die Energie liefern und Reaktionen zwischen den Gasen begünstigen können. Die Lava die aufs Meer trifft setzt ebenfalls jede Menge Energie frei. In den ausgewaschenen Löchern der Lavafelder in der Nähe der Küste können sich Tümpel mit unterschiedlich salzhaltigen Lösungen bilden und dann gibt es auf Vulkaninseln auch noch jede Menge unterschiedliche Mineralien und Steine. Vulkaninseln bieten also tatsächlich jede Menge Grundlagen für die verschiedensten chemischen Prozesse.

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Genau solche Prozesse erforschen die Chemiker und probieren Reaktionsketten zu finden, die tatsächlich am Ende die Vorläufer der ersten Zellen erzeugen könnten. Aus anorganischen Gasen in den Aschewolken könnten durch die Blitze zum Beispiel Aminosäuren entstehen. Andere Bausteine können entstehen, wenn die Salzkruste an der Küste, wo Lava ins Meer fließt, verdampft und dabei sogenannte Pyrolle erzeugt und noch dazu Salzsäure, die als Katalysator für chemische Reaktionen wirken kann. Aus all dem Zeug können schließlich Porphyrine entstehen und die für das Leben eine wichtige Rolle spielen (zum Beispiel als Vorläufer von Chlorophyll oder Häm).

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Kommentare (28)

  1. #1 BioGEN
    1. März 2013

    Sehr spannendes Thema! Allerdings hat die Entstehung von Biomolekülen mit der Entstehung von Leben per se noch nichts zu tun, sie ist eine der Voraussetzungen. Zur Entstehung von Leben werden noch weitere Prozesse benötigt, mindestens die Bildung selbstreplizierender Systeme.

  2. #2 bikerdet
    1. März 2013

    Einen ähnlichen Ansatz wie die Vulkane bieten auch die ‘Black Smoker’ der Tiefsee. Neben praktisch allen Vorteilen der Vulkaninseln bieten die Tiefseeschlote noch den Vorteil das ‘das Leben’ dort perfekt gegen Strahlung geschützt war. Den auch die Ozonschicht bildete sich erst durch das Leben.

    Ich glaube aber eher daran, das das Leben alle Chancen genutzt hat. Heute noch sagen zu wollen, das das Leben nur einen Weg genommen haben kann erscheint mir engstirnig. Alle Theorien dazu haben Vor- und Nachteile, m.E. ist also die Wahrscheinlichkeit sehr groß, das alle zusammengewirkt haben.

    So wie bei der Sonnen, Planeten, Mondbildung die verschiedensten Bestandteile zusammengekommen sind. Bereits kleinste Variationen der Zusammensetzung haben zu ganz anderen Ergebnissen geführt. Ähnlich wird es auch bei Leben gewesen sein, es unterliegt (zumindest anfänglich) den selben Gesetzen und besteht aus den selben Grundstoffen.

  3. #3 Hoffmann
    1. März 2013

    Ein sehr informativer Text zum Thema ist dieser hier:

    https://www.mdpi.com/2075-1729/2/1/170

  4. #4 buff
    1. März 2013

    Die Physiker wissen nicht wie die Welt entstanden ist.
    Die Biologen wissen nicht wie das Leben entstanden ist.
    DIe Thelogen habens da leichter, Gott war immer schon da 🙂

  5. #5 Florian Freistetter
    1. März 2013

    @bikerdet: Die schwarzen Raucher wurden im Vortrag auch kurz angesprochen. Der aktuelle Stand der Forschung scheint zu sein, dass man eher der Meinung ist, die Smoker wurden zwar gute Bedingungen für Leben bieten – aber auch sehr viel wieder zerstören, weil die Bedingungen dort so extrem sind.

  6. #6 Hoffmann
    1. März 2013

    Statt Black Smoker werden in den letzten Jahren Lost City Vents stärker favorisiert:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Lost_City_(Hydrothermalfeld)

  7. #7 Hoffmann
    1. März 2013

    Was mir an der Vulkaninsel-Hypothese gut gefällt, ist, dass hier sowohl eine reichhaltige Auswahl an katalytisch aktiven Oberflächen und Metall-Ionen vorhanden ist, wie auch die Möglichkeit, dass in den Gezeitenzonen ein periodisches Austrocknen erfolgt, so dass sich in Gesteinsporen komplexe Moleküle anreichern und miteinander reagieren können. Im Verlauf der nächsten Flut besteht dann die Möglichkeit des Zustroms bzw. des Abflusses der Agenzien und damit ein primärer Stoffaustausch, der sich zu einem Fließgleichgewicht verstärken konnte.

    Innerhalb der Gesteinsporen waren die komplexen Chemikalien zugleich vor der Zerstörung durch UV-Strahlung geschützt. Die Wärmeabstrahlung der Lava sorgte zugleich für eine beständige Energiezufuhr, so dass sich spontan eine lokale Entropietrennung etablieren konnte, welche sich in zunehmender Komplexität der Wechselwirkungen auswirkte.

    Alles in allem ein vielversprechender Ansatz!

  8. #8 Spritkopf
    1. März 2013

    Lars Fischer vom Fischblog schreibt regelmäßig sehr interessante Artikel über die chemische Evolution. Unter anderem fand ich den hier sehr lesenswert:
    https://www.scilogs.de/wblogs/blog/fischblog/chemie/2012-04-23/prebiotic-aminoacids

  9. #9 rolak
    1. März 2013

    autotropher Prozess

    Hmm, ‘autotroph’ kenne ich ja bisher nur bzgl Lebewesen und ihrer Ernährung (tirili ‘The autotrophs began to drool’…), doch was bedeutet dies im Zusammenhang mit einem Prozeß?

    Dank der vielen (und sich wohl noch vermehrenden) links in post und Kommentaren ist der thread ein sehr schöner Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Thema.

  10. #10 Hoffmann
    1. März 2013

    “heterotroph” bedeutet in diesem Zusammenhang die Synthese von organischen Molekülen aus gleichartigen anderen organischen Molekülen, also z.B. die Synthese von Polypeptiden aus vorgefundenen Aminosäuren aus der Ursuppe.

    “autotroph” hingegen ist die Neusynthese von Aminosäuren über anorganische Ausgangsstoffe mit Hilfe externer Energiequellen an katalytisch aktiven Oberflächen, z.B. auf mineralischem Untergrund (Chemolithoautotrophie – hier aber im präbiotischen Kontext bei z.B. Mikrosphären oder Lipidvesikeln)

  11. #11 rolak
    1. März 2013

    Merci beaucoup, FremderHoffmann. Zusatzfrage zu ‘Neusynthese’: Sind in bisher durchdachten Modellen importierte Aminosäuren als {Mit}Initiator des autotrophen Prozesses möglich, gar wesentlich oder schlicht ein unnötiges Axiom?

    SB — schlauer als wiki 😉

  12. #12 TheFish
    1. März 2013

    Solange mir keiner GLAUBHAFT erklären kann, was das Universum ist, wie es ggf. urknallte, WAS da urknallte, was AUSSERHALB des Weltalls ist und dadurch durch das Weltall VERDRÄNGT wird … solange ist ALLES Fiktion.

  13. #13 Hoffmann
    1. März 2013

    @ rolak:

    falls Du mit “importiert” Aminosäuren aus Asteroiden oder Kometen meinst – die sind weitestgehend entbehrlich, da über den Energieeintrag in die Uratmosphäre nach Art des Miller-Urey-Experiments ständig neu Aminosäuren gebildet werden und auf die Oberfläche abregnen.

    Wie Experimente nach dem Waechtershäuser-Ansatz gezeigt haben (läuft derzeit in Darmstadt unter der Leitung von Bill Martin), entstehen bei Gegenwart von Pyrit aus CO2 und NH3 spontan einfache Aminosäuren, die sich zu Oligopeptiden verketten, die wiederum katalytisch zu noch längeren Peptidketten führen usw. – im Prinzip das, was Florian bereits im Artikel geschrieben hatte.

    Insofern waren Aminosäuren außerirdischer Herkunft zwar eine willkommene Bereicherung, aber kein Muss, um hier etwas in Gang zu setzen.

  14. #14 Liebenswuerdiges Scheusal
    1. März 2013

    @TheFisch
    Das ginge auch ohne Grossbuchstaben.

  15. #15 Spritkopf
    1. März 2013

    @TheFish

    solange ist für mich ALLES Fiktion.

    Habe es für dich verbessert. 😉

  16. #16 Alderamin
    1. März 2013

    @TheFish

    Nun, das würde hier ein wenig den Rahmen sprengen, aber lies’ dovh z.B. mal dieses Buch, das gibt einen guten Überblick.

    Wir sollten uns allerdings einig sein, dass es ganz bestimmt kein weißbärtiger alter Mann war, der einfach so da gewesen ist und sagte “Es werde Licht!”…

  17. #17 PDP10
    1. März 2013

    @Aldemarin:

    “Wir sollten uns allerdings einig sein, dass es ganz bestimmt kein weißbärtiger alter Mann war, der einfach so da gewesen ist und sagte “Es werde Licht!”…”

    Aber warum den nicht? Des Fishs Weltbild nimmt nicht den geringsten Schaden wenn man einfach annimmt, dass Gott die Welt letzten Dienstag Nachmittag um viertel nach Fünf erschaffen hat. Mit allem drin, einschliesslich unseren Gedächtnissen, die sich an alles davor erinnern. (Wenn er allmächtig ist, sollte das ja kein Problem sein …).

    Mein Lieber Herr @TheFish:
    “solange ist ALLES Fiktion.”

    Diese Art von radikal Konstruktivismus (falls Sie überhaupt wissen was das ist und hier nicht nur rumpöbeln wollen) ist nichts weiter, als ein feiges Wegducken vor dem Problem echte Erkenntnis über die Welt zu erlangen, so beschränkt und lückenhaft sie auch sein mag.
    Das wird überall – nicht zuletzt in der Evolutionstheorie, der Kosmologie usw. – versucht.
    Und ist bei weitem anstrengender und anspruchsvoller als auf dem Sofa zu liegen, die nächste Bong zu rauchen und das “Ihr wisst ja auch nichts” – Lied zu singen.

    Aber wenn Sie es sich unbedingt so einfach machen wollen …

  18. #18 PDP10
    1. März 2013

    Ähm achso, moment, was wollte ich eigentlich sagen?

    Richtig! ich wollte eigentlich sagen, dass das mal wieder ein wirklich interessanter Artikel war.

    Und aus den Forenbeiträgen, namentlich denen eines freundlichen Hoffman habe ich auch noch ein bischen mehr dazu gelernt

  19. #19 rolak
    1. März 2013

    kein Muss

    Nochmals bedankt, Hoffmann – am ollen Miller hatte ich doch tatsächlich vorbeigedacht^^ Und ja, Import vermittels Asteroiden etc war gemeint, die Idee hat so etwas verführerisch Übergreifendes, an jeweils passendem Ort entstandene Komplexe verbinden sich zu Größerem…
    Doch letztlich ist die einfachere Variante immer die bessere und damit schönere.

  20. #20 mr_mad_man
    2. März 2013

    “Entstand das erste Leben auf einer Vulkaninsel?” Dann wären wir ja Vulkanier 🙂 Die beiden Fragen nach dem Beginn der Welt und der Frage wie Leben entstanden ist, sind für mich die spannendsten überhaupt. Dieser Artikel bietet mir wieder mal die schöne Möglichkeit meine Fragen loszuwerden. Mein bisheriges Wissen ist wie folgt: Durch allerlei chemische Reaktionen bildeten sich große Moleküle (die sog. Grundbausteine des Lebens). Dabei gab es “wasserliebende” und “wasserhassende”. Beide haben sich zum Vorteil beider in einer Art Hohlkugel zusammengefunden (liebend außen / hassend innen). Somit wurde schon mal die Möglichkeit für chemische Reaktionen unabhängig vom äußeren Medium geschaffen. (Hoffe, das ist, wenn auch sehr vereinfacht, aber so weit richtig). Was jetzt zum Leben noch fehlt ist die Möglichkeit sich zu vermehren. Dazu braucht man RNA/DNA. So, und jetzt komme ich zu der Fragen: haben sich diese Moleküle erst innerhalb dieser “Zellwandkonstrukte” gebildet, oder haben sie sich zusammen mit den anderen Lebensbausteinen gebildet, waren aber außerhalb eines “Zellwandkonstruktes” eher nutzlos, und konnten ihre Wirkung erst dadurch entfalten, dass sie zufällig von einer Zellwand umschlossen wurden? (Hoffe, ich habe es einigermaßen verständlich formuliert.)

  21. #21 TheFish
    2. März 2013

    @Liebenswuerdiges Scheusal
    Nach >30 Jahren Online-Dasein weiß ich um die Bedeutung von Großbuchstaben und setze sie durchaus (und ausschließlich) bewusst ein. 😉

    @Spritkopf
    Ja, könnte man global (falsch) verstehen. Aber ich spreche immer nur für mich, habe / hatte nie ein missionarisches Sendungsbewusstsein.

    @Alderamin
    Buch-Lesen ist so 1984. Aber das Jahr ist wieder rum, also Danke für den Tipp! 😉

    @PDP10
    Sie finden mich stark beeindruckt vor, erkennen Sie doch nach einer Wortmeldung mein Weltbild in Gänze. Hut ab! Da sehe ich doch wohlwollend über diverse Typos und krumme Formulierungen in Ihrem Kommentar hinweg. Man will ja nicht kleinlich sein. Drogen konsumiere ich übrigens nicht, wenn wir (Sie & ich) von einem gelegentlichen Feierabend-Bier absehen wollen. Das Sofa & ich mögen uns hingegen sehr gerne, kommentargetippt wird aber trotzdem an einem feststofflichen Tisch. Und “einfach” ist das nicht. Eigentlich ist nichts einfach.

    To make a long story short: Ja, ich möchte provozieren.

    Es gibt halt Dinge, die bekannt und in der Allgemeinheit akzeptiert sind.

    Und es gibt Dinge, die man kennt, nicht direkt versteht, aber trotzdem versucht, konventionell zu erklären.

    Mich interessieren die vielen MÖGLICHEN Erklärungen, nicht nur die politisch korrekten / wissenschaftlich angesagten.

    Und wenn Florian nicht so toll schreiben würde, wär ich eh nicht hier. 😉

  22. #22 Hoffmann
    2. März 2013

    @ mr_mad_man:

    Es gibt zwei verschiedene Ansätze, um die Entstehung der ersten Zellen zu erklären – zum einen die Replikator-zuerst-Hypothese und zum anderen die Metabolismus-zuerst-Hypothese. Die Vertreter der Replikator-zuerst-Hypothese argumentieren, dass zunächst ein replikationsfähiges Molekül entstanden ist, welches in der Lage war, sich selbst zu vervielfältigen, so dass sich Moleküle mit dieser Zusammensetzung bevorzugt anreicherten, indem sie Moleküle anderer Zusammensetzung verdrängten – also eine Vorstufe der späteren biologischen Selektion. Erst später verlief die Replikation in Membranhüllen, so dass die Moleküle vor äußeren Einflüssen besser geschützt waren. Diese membranumhüllten Replikatoren setzten sich wiederum durch Verdrängung gegenüber den nackten Replikatoren durch und entwickelten sich weiter zu Protozellen und später echten Zellen.

    Die Vertreter der Metabolismus-zuerst-Hypothese argumentieren, dass replikationsfähige Moleküle gemeinsam mit anderen Molekülen allmählich durch zunehmende Vernetzung von Synthesereaktionen entstanden sind und folglich in den Kontext des Stoffwechsels von Anfang an eingebunden sind. Die Wurzeln dieser Stoffwechselkreisläufe führten aber nicht nur zu immer komplexeren Molekülen, sondern eben auch zu Membransystemen, wie z.B. Koazervate oder Mikrosphären, so dass replikationsfähige Moleküle von Anfang an in einem größeren Zusammenhang entstehen und evolvieren. Replikatoren stellen damit nur einen Seitenzweig der Evolution von Stoffwechselsystemen dar und nicht deren Ursprung.

    Die Wahrheit liegt wahrscheinlich – wie so oft – in der Mitte. Replikatoren sind für sich genommen gut zum Vervielfältigen, da sie Matrize ihrer selbst sind. Die QBeta-Experimente von Sol Spiegelmann und nachfolgend von Manfred Eigen in den 1960er und 1970er Jahren haben eindrucksvoll bewiesen, dass sich auf diesem einfachen Level sehr schnell optimale RNA-Sequenzen herausbilden, die sich effizient vervielfältigen. Allerdings ist diese Eigenschaft für biologische Systeme wertlos, wenn der Replikator darüber hinaus keine Funktion für den Zellstoffwechsel hat.

    Erst mit der Kopplung der RNA (und später auch DNA) an den Vorgang der Peptidsynthese über Ribosomen erhält die Fähigkeit zur Replikation einen biologischen Wert, weil erst dann nämlich ein hinreichend angepasster Phänotyp über eine Generationenfolge vererbt werden kann. Vor der “Erfindung” der Translation – also dem Abschnitt der Proteinbiosynthese, wo eine RNA-Sequenz in eine Aminosäuresequenz übertragen wird – waren nach erfolgter Zellteilung (die nichts weiter war als ein Zerteilen eines Lipid-Vesikels infolge der zu groß gewordenen Oberfläche) verteilten sich die Stoffwechselnetzwerke auf die Tochtervesikel nach dem Zufallsprinzip (wobei man auch hier einschränkend sagen muss, dass infolge von Rückkopplungseffekten die Tochtervesikel dennoch eine starke Ähnlichkeit aufwiesen).

    Über die Translation – und damit zugleich auch einem primitiven genetischen Code – erhielt der Replikator die Funktion eines Genoms, das mit jeder Zellteilung konservierte Peptidsequenzen an die Nachfolgegeneration weiterreichte, so dass hiermit die Voraussetzung gegeben war, eine ausbaufähige Kontinuität zu sichern, die die spätere biologische Evolution überhaupt erst ermöglichte.

    In dem von mir in #3 verlinkten Essay kommt dieser Aspekt zur Sprache. Interessant an Richard Egels Ausführungen sind für mich insbesondere die Gründe, die dafür sprechen, dass der ursprüngliche Zustand, aus dem später die ersten freien Zellen entstanden, eine syncytische Matrix war, also eine Art Anhäufung verschiedener von zum Teil abgegrenzten Bereichen, in denen zum einen vielfältige Versuche “probiert” werden konnten, ohne dass bei einem Misserfolg das Gesamtsystem kollabiert, zum anderen jedoch erfolgreiche Lösungen über eine Art Vorstufe von Horizontalem Gentransfer im Gesamtsystem etablieren konnten. Das ist in der Summe wesentlich effizienter als wenn jedes kleine Vesikel für sich überdauern müsste. Von daher halte ich den Ansatz, dass das erste Leben in den Küstenregionen von vulkanisch aktiven Gebieten entstanden ist, für sehr plausibel.

  23. #23 mr_mad_man
    2. März 2013

    @Hoffmann: Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Bringt mich ein ganzes Stück weiter 🙂 Werde das jetzt erst mal alles sacken lassen (und ein paar Begriffe nachschlagen) und mich dann evtl. noch mal melden. Danke

  24. #24 Hoffmann
    2. März 2013

    @ mr_mad_man:

    Gern geschehen! 🙂

  25. […] Physikalischen Gesellschaft statt. Über zwei besonders interessante Vorträge dort habe ich schon hier und hier berichtet. Aber es gab natürlich noch viel mehr Programm, auch wenn ich mir leider bei […]

  26. […] Die Entstehung des Lebens auf der Erde wird seit langer Zeit untersucht. Berühmt geworden ist das 1953 durchgeführte Miller-Urey-Experiment. Stanley Miller und Harold Urey haben im Labor die “Ursuppe” angerührt und darin die ersten Bausteine des Lebens entdeckt. Wissenschaftlich exakter ausgedrückt haben sie eine Gasmischung erzeugt, von der sie dachten, dass sie der ursprünglichen Atmosphäre der Erde vor einigen Milliarden Jahren entsprach. Die bestand aus Wasser, Methan, Ammoniak, Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Dieser Mischung wurde Energie in Form von elektrische Entladungen zugeführt, die Gewitterblitze simulieren sollten. Und dann haben Miller und Urey nachgesehen, wie sich die Gase chemisch veränderten und verbanden und entdeckten jede Menge komplexe organische Moleküle. Genau die Bausteine, aus denen später die ersten Lebewesen entstehen konnten (zum Beispiel auf Vulkaninseln). […]

  27. […] Vulkane näher zu erforschen. Nicht nur wegen der coolen Bilder. Denn immerhin könnten sie der Ursprungsort des Lebens auf der Erde sein. Und irgendwann werde ich es mal schaffen, mir einen aktiven Vulkan aus der (sicheren) Nähe […]

  28. […] auch die geologische Aktivität. Es gibt durchaus plausible Hinweise, dass das Leben auf der Erde im Umfeld von vulkanischen Inseln entstand. Oder in der Nähe unterseeischer heißer Quelle, deren Existenz ebenfalls auf Vulkanismus, […]