Das Weltraumteleskop Planck hat in die Vergangenheit gesehen. Weiter zurück und mit höherer Auflösung als jedes andere Teleskop bisher. Planck beobachtet eine Zeit kurz nach dem Urknall; eine Zeit, als die Grundlage für das heutige Universum gelegt wurde und eine Zeit, die uns viel über den Anfang von Allem verraten kann. Die Ergebnisse wurden letzte Woche veröffentlicht. Sie sind einerseits genau so, wie wir es erwartet haben und bestätigen uns, dass wir den Anfang des Alls und seine Entwicklung schon ziemlich gut verstanden haben. Sie sind aber ein klein wenig anders und tragen die Möglichkeit komplett neuer Physik und kommender wissenschaftlichen Revolutionen mit sich.
Planck hat wirklich viele Daten gesammelt. Der Satellit ist immerhin schon seit 4 Jahren im All. Die Wissenschaftler haben die Daten der ersten 15,5 Monaten ausgewertet und allein die haben schon gereicht, um 30 wissenschaftliche Artikel zu schreiben; die jeweils oft über 50 Seiten lang sind. Es ist unmöglich, all das in einem Blogartikel zusammenzufassen. Eigentlich sollte man darüber ein Buch schreiben (spannend genug wäre das Thema; hoffentlich macht das jemand). Ich habe es auch nicht geschafft, all diese Artikel zu lesen. Aber ich probiere trotzdem, die wichtigsten Ergebnisse zu erklären.
Was hat Planck beobachtet?
Planck beobachtet die kosmische Hintergrundstrahlung. Das junge Universum war heiß und dicht. So heiß, dass es noch keine kompletten Atome geben konnte. Ein Atom besteht aus einem Atomkern und einer Hülle aus Elektronen. Da die Temperaturen aber so hoch waren und die Teilchen dementsprechend schnell durcheinander sausten, konnten sich die Elektronen nicht an die Atomkerne binden. Das hatte auch Konsequenzen für die vielen Lichtteilchen im Universum. Sie konnten sich nicht ungehindert ausbreiten sondern stießen ständig mit den freien Elektronen zusammen. Das Licht war im “Urgas” gefangen. Es dauerte knapp 380.000 Jahre, bis das Universum kühl genug (das heißt ungefähr 3000 Grad) wurde, damit die Elektronen sich an die Atomkerne binden konnten. Das All wurde “durchsichtig” und das Licht konnte sich endlich ungehindert ausbreiten. Das ist der Ursprung der kosmischen Hintergrundstrahlung; hier hatte das “erste Licht” des Universums seinen Anfang. Es breitete sich überall im Universum aus und es breitete sich mit dem Universum aus. Denn wir wissen ja, dass das All ständig expandiert. Das heißt nicht, dass sich die Galaxien durch das Weltall bewegen, sondern das der Raum selbst ständig größer wird. Früher war alles näher beieinander und noch früher war alles am selben Ort. Jeder Ort heute, egal wie weit entfernt, war früher der selbe Ort und deswegen gibt es heute auch keinen Ort im Universum von dem man sagen könnte: Hier hat der Urknall stattgefunden. Dieser Ort ist überall und das gleiche gilt auch für die Hintergrundstrahlung. Sie war überall im jungen Universum und sie ist heute auch noch überall. Wir empfangen sie aus jeder Richtung des Himmels, egal wohin wir schauen. Die Strahlung ist immer noch da; nur ihr Aussehen hat sich verändert. Die Expansion des Alls hat die Wellenlänge der Strahlung gedehnt und das was früher hochenergetische Strahlung war, die zu einem 3000 Grad heißen Gas passt, ist heute langwellige Mikrowellenstrahlung.
Die Hintergrundstrahlung wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuerst theoretisch vorhergesagt. Die Pioniere der Urknalltheorie haben berechnet, was im frühen Universum so alles passiert sein musste und sind dabei auch auf die Existenz der Hintergrundstrahlung gestoßen. Entdeckt wurde sie dann in den 1960er Jahren durch Zufall. Ihre Existenz und die Bestätigung der Vorhersage der Theoretiker war das, was der Urknalltheorie damals zum Durchbruch verhalf (ich habe die ganze Geschichte hier zusammengefasst). Und bis heute ist sie unsere wichtigste Informationsquelle, wenn es darum geht, das frühe Universum und den Urknall zu verstehen.
Was kann man aus der Hintergrundstrahlung lernen?
Als das erste Licht sich damals ausbreitete, wurde sie vom Urgas beeinflusst. Die ursprüngliche Materie war nicht komplett gleichmäßig über das kleine, junge Universum verteilt. Wäre es so gewesen, dann würde es heute noch genau so aussehen wie damals und es würden keine Sterne, Planeten und Menschen existieren. Es gab damals aber kleine Unterschiede. In manchen Regionen war das Gas ein wenig dichter; in manchen ein wenig dünner. Im Laufe der Zeit bildeten diese winzigen Unterschiede die Saatkörner für alle Stukturen im Universum. Die dichteren Regionen wurden unter ihrer eigenen Gravitation immer dichter und dichter und irgendwann entstanden so die ersten Galaxien und Sterne. Die dichteren Regionen beeinflussten aber auch das Licht, als es sich ausbreitete. Durch relativistische Effekte (gravitative Rotverschiebung) verlor es bei den dichten Strukturen ein wenig mehr Energie als bei den weniger dichten Regionen. Wenn wir also die Hintergrundstrahlung wirklich genau beobachten, dann sollten wir sehen, dass sie nicht komplett gleichförmig ist, sondern ganz leicht variiert.
Genau das hat man aber lange Zeit nicht beobachtet. Die ersten Daten zeigten immer: Egal wohin man blickt, die Hintergrundstrahlung ist überall exakt gleich und entspricht einer Temperatur von 2,725 Kelvin. Deswegen entschied man sich in den 1980er Jahren, ein Teleskop ins Weltall zu schicken, um genauere Daten zu erhalten. Das Teleskop hieß COBE und war höchste erfolgreich. Zum ersten Mal konnte man die winzigen Schwankungen in der Hintergrundstrahlung tatsächlich messen (und sie waren wirklich winzig; es ging hier um Effekte im Mikrokelvinbereich). Die beteiligten Forscher bekamen dafür zu Recht den Nobelpreis für Physik verliehen.
Natürlich wollte man es dann noch genauer wissen und schickte im Jahr 2001 die Raumsonde WMAP ins All. Die konnte das messen, was COBE messen konnte, nur viel genauer. Aber was bringt uns das Wissen um die Temperaturschwankungen in der Hintergrundstrahlung? Alles! Wir können zum Beispiel herausfinden, woraus das Universum besteht. Es gibt normale Materie; die Materie, aus der wir bestehen. Es gibt dunkle Materie, von der wir zwar wissen, dass sie da ist, und wie sie sich verhält, aber nicht wissen, woraus sie besteht. Und es gibt dunkle Energie, etwas, dass dafür verantwortlich ist, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt und von dem wir nicht wissen, was es ist. All diese Bestandteile haben eine unterschiedliche Auswirkung auf die Ausbreitung der Hintergrundstrahlung. Die Temperaturschwankungen würden anders aussehen, hätte das Universum keine dunkle Materie oder würde die dunkle Energie die Ausdehnung des Alls stärker oder schwächer beeinflussen. Wir können also verschiedene Modelle aufstellen mit verschiedenen Mengen an “Zutaten” und nachsehen, wie sie sich auf die Ausbreitung der Hintergrundstrahlung auswirken. Diese Modelle kann man dann mit den konkreten Beobachtungsdaten von Raumsonden wie Planck vergleichen und nachsehen, welches Modell die Realität am besten beschreibt.
Das gleiche gilt auch für andere wichtige Parameter wie das Alter des Universums oder die Geschwindigkeit mit der es sich ausdehnt. All diese Informationen kann man aus der Hintergrundstrahlung ableiten.
Wie sehen die Ergebnisse aus?
So:
Dieses Bild oder Bilder dieser Art habt ihr sicher schon gesehen. Dabei wird der gesamte Himmel auf eine Ellipse projiziert. Die Grenze zwischen Nord- und Südhimmel verläuft etwa von links unten nach rechts oben. Die Farbe gibt die Temperatur der Strahlung an. Blaue Bereiche sind ein klein wenig kühler als der Durchschnitt; rote Bereiche sind ein klein wenig wärmer. Diese bunten Bilder sind schön anzusehen, besonders wenn man sie als “ältestes Foto” des frühen Universums versteht. Weniger bunt und wenig oft zu sehen, dafür aber etwas informativer, sind Diagramme dieser Art:
Das ist nun keine direkte Abbildung des Himmels mehr. Man hat hier verschiedenen Bereiche des Himmels verglichen. Auf der x-Achse ist die Größe des Bereichs am Himmel angegeben. Simpel gesagt, schaut man sich zum Beispiel verschiedene 90 Grad große Abschnitte des Himmels an und bestimmt, wie stark die Hintergrundstrahlung dieser Bereiche sich voneinander unterscheidet. Dann wiederholt man das für 80 Grad große Bereiche, und so weiter, bis hin zu den kleinstmöglichen Auflösungen von ein paar Hundertstel Grad. Die resultierende Kurve ist komplex und kann ebenfalls von Modellen vorhergesagt werden. Man kann sich die Sache auch als Schwingung im Urgas vorstehen. Als eine Grundwelle mit vielen Oberwellen, die bescheibt, wie sich die Dichte im Gas verändert. Die Grundwelle kann man als den großen Berg bei Skalen von etwa einem Grad erkennen, die Oberwellen sind die anderen Erhebungen. Wie auch immer man die Kurve auffassen will, eines erkennt man ziemlich deutlich: Die roten Punkte stimmen fast völlig mit der grünen Linie überein. Und das ist gut, denn die grüne Linie ist das, was unsere Theorie über den Urknall vorhersagt und die roten Punkte sind das, was Planck gemessen hat. Nur am linken Ende des Diagramms gibt es ein paar Abweichungen, aber dazu später mehr.
Was sagen die Ergebnisse von Planck?
Langsam wird es Zeit, auch über die konkreten Ergebnisse zu reden. Zuerst kommt aber doch noch ein buntes Bild. Denn Planck hat ja eigentlich nichts anderes gemacht, als COBE und WMAP davor. Warum muss man das nochmal machen? Weil Planck viel besser ist und viel genauer messen kann! Das sieht man an diesem Bild wunderbar:
Und mit diesen sehr genauen Daten (genauer geht es auch fast nicht mehr; selbst wenn man die Instrumente noch besser machen würde, würde man nicht mehr sehen, weil es nicht mehr zu sehen gibt) ergeben sich folgende grundlegende Parameter für unser Universum:
- Das Universum ist 13,819 Milliarden Jahre alt. Die alte WMAP-Messung ergab ein Ergebnis von 13.73 +/- 0.12 Milliarden Jahre. Plancks Ergebnis liegt also innerhalb der Fehlergrenzen von WMAP.
- Das Universum expandiert mit einer Geschwindigkeit von 67,15 km/s/Megaparsec. D.h., eine Galaxie in einem Abstand von einem Megaparsec (ungefähr 3,3 Millionen Lichtjahre) entfernt sich mit 67,15 km/s von uns; eine in zwei Megaparsec Abstand mit zweimal 67,15 km/s = 134,3 km/s und so weiter. Das ist weniger als wir bisher dachten; der alte Wert für diese Zahl, die sogenannte “Hubble-Konstante” lag bei mehr als 70 km/s/Megaparsec. Ein Unterschied, der eigentlich größer ist, als man erwartet hätte. Woran das liegt, weiß man noch nicht. Die alten Daten basierten auch auf Messungen die nicht nur an der Hintergrundstrahlung gemacht wurden, sondern auch an Galaxien oder Sternen, die wesentlich näher und damit jünger sind als das Licht, das Planck beobachtet hat. Vielleicht hat sich die Hubble-Konstante im Lauf der Zeit geändert. Vielleicht gibt es auch einen ganz anderen Grund. Vielleicht auch gar keinen. Es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren.
- Das Universum besteht zu 4,9 Prozent aus normaler Materie. Das ein wenig mehr, als man früher dachte (4,5%). Der Anteil der dunklen Materie beträgt 26,8 Prozent. Das ist deutlich mehr, als man früher dachte (22,7%). Und die dunkle Energie macht 68,3 Prozent aus – deutlich weniger als man bisher dachte (72,8%).
Die Daten sind zwar ein wenig anders als früher, aber bestätigen im Wesentlichen das, was wir schon wussten. Das Universum ist so, wie wir es uns bis jetzt gedacht haben. Die Modelle funktionieren gut und beschreiben das, was wir sehen. Mit ein wenig Variation ist zu rechnen, wenn man ein besseres und genaueres Instrument einsetzt – sonst könnte man die neuen Messungen ja gleich bleiben lassen. Man erhofft sich aber nicht nur eine Bestätigung dessen, was man schon weiß. Man hofft immer auch ein wenig, dass man etwas findet, dass man NICHT erklären kann. Etwas, das eine komplett NEUE Erklärung braucht. Denn nur so kann man auch etwas neues über das Universum herausfinden. Und Planck war auch hier erfolgreich…
Die Planck-Anomalien
Die Hintergrundstrahlung sollte überall gleich sein und nur winzige, zufällige Variationen zeigen. Zufällige! Wenn man verschiedene Regionen des Himmels vergleicht, sollten die im Durchschnitt gleich aussehen. Das spiegelt auch das grundlegende kosmologische Prinzip wieder. Es lautet, simpel gesagt: “Wir sind nichts besonderes.”. Unsere Ecke des Universums ist nicht außergewöhnlichere als andere Ecken. Egal wohin wir schauen, wir sollten im Wesentlichen überall das gleiche sehen. Planck zeigt uns nun aber, dass das NICHT der Fall. Es macht einen Unterschied, wohin wir blicken. Auf der Südhälfte des Himmels sind die Schwankungen der Hintergrundstrahlung systematisch ein wenig höher als auf der Nordhälfte, wie dieses Bild zeigt, in der Kontrast nochmal verstärkt wurde um den Unterschied deutlicher zu machen:
Man erkennt auch einen markierten blauen Fleck, unten rechts im Bild. Dort ist der Himmel viel kälter, als man erwarten würde und schon WMAP hatte diesen “cold spot” gefunden. Planck hat gezeigt, dass es sich nicht um eine statistische Schwankung handelt, sondern das dieser Fleck tatsächlich da ist. Bis jetzt weiß noch niemand, was der Grund dafür ist. Genauso wenig gibt es eine Erklärung für den Unterschied zwischen Nord- und Südhimmel. Es gab auch früher schon andere Daten, die zeigten, dass das kosmologische Prinzip auf ganz großen Maßstäben vielleicht nicht gilt. Natürlich besteht immer noch die Chance, dass es sich um eine statistische Schwankung bei den Messungen handelt, die verschwindet, wenn neue Daten dazukommen. Es kann aber auch ein realer Effekt sein und dann ist das genau einer dieser Effekte, hinter dem neue Physik und große wissenschaftliche Revolutionen lauern. Wenn das Universum als ganzes einige bevorzugte Regionen oder Richtungen hat, dann muss der Grund dafür in seiner Entstehung liegen oder in dem, was davor passiert ist. Wir brauchen dann ein neues Modell für den Urknall, das diese Dinge berücksichtigt – und das uns vermutlich viel mehr über das Universum verraten kann als die aktuelle Kosmologie. Aber wie diese neue Physik aussehen wird? Keine Ahnung… aber ich bin gespannt!
Neue Physik versteckt sich eventuell auch in dem Diagramm der Schwingungen im Urgas von weiter oben. Hier ist es nochmal:
Wie schon gesagt: Im rechten Teil stimmen die Daten perfekt mit den Vorhersagen der Theorie überein. Im linken Bereich aber gibt es Abweichungen. Das ist erstmal nicht verwunderlich. Es gibt einfach weniger große Bereiche des Himmels, die man miteinander vergleichen kann als kleine Bereiche. Und darum sind die Fehlergrenzen auch größer. Die meisten Punkte liegen innerhalb der Fehlerbalken noch im grünen Bereich, der mit der Vorhersage übereinstimmt. Aber ein paar Punkte liegen definitiv außerhalb; einer sogar mit seinen Fehlerbalken. Und hier wird es knifflig. Man kann diesen Punkt nicht einfach ignorieren; man kann auch nicht so am Modell rumschrauben, um den Punkt noch in den grünen Bereich zu kriegen, denn dann würde man die perfekte Übereinstimmung am anderen Ende der Skala verlieren. Auch hier sieht es so aus, als wären da noch einige Details die wir nicht verstanden haben. Vielleicht sind es auch keine Details, sondern ein paar grundlegende Dinge. Wir wissen es noch nicht…
Der ganze Rest
Man könnte noch viel mehr über die Planck-Daten sagen. Sehr viel mehr. Zum Beispiel über die Inflation; also die Phase im frühen Universum, als sich der Kosmos in unvorstellbar kurzer Zeit unvorstellbar schnell ausgedehnt hat. Auch hier bestätigen die Planck-Daten exakt die Vorhersagen – sind aber noch nicht in der Lage, zwischen den verschiedenen möglichen Inflationsmodellen zu unterscheiden. Plancks Daten sagen auch, dass es keine sterilen Neutrinos gibt (Elementarteilchen, die verschiedene Urknallmodelle vorhergesagt haben). Und auch von Paralleluniversen hat man keine Spuren gefunden. Bis jetzt zumindest. Denn Planck hat ja noch ein paar Daten übrig. Der nächste Datensatz wird 2014 veröffentlicht. Da wird man dann nicht nur mehr und bessere Daten haben als jetzt, sondern auch ganz neue Daten (über die Polarisation der Hintergrundstrahlung), die uns vielleicht etwas verraten können, was vor dem Urknall abgelaufen ist.
Was auch immer Planck noch messen wird: Wir werden unser Universum am Ende auf jeden Fall besser verstehen als vorher. Ok, vielleicht müssen wir dazwischen einige Phasen verstärkter Verwirrung überbrücken, so lange, bis die diversen Anomalien erklärt sind. Aber genau darum geht es ja in der Wissenschaft. Wir müssen verwirrt sein, um neue Dinge erkennen zu können. Wir müssen falsche Vorhersagen machen, um neue Theorien aufstellen zu können. Wir müssen uns irren, um am Ende richtig liegen zu können.
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