Wie die dunkle Materie nicht entdeckt wurde, habe ich im ersten Teil der Serie erklärt. Aber wie ist man überhaupt auf Idee gekommen, es könnte da draußen im Universum mehr geben, als das, was wir sehen können? Was hat man beobachtet, um zu so einer seltsamen Schlussfolgerung zu gelangen? Die Geschichte der dunklen Materie ist mittlerweile schon 80 Jahre alt – und im Laufe der Jahrzehnte sind die Beobachtungsdaten immer eindeutiger geworden!

Gedenktafel für Fritz Zwicky an seinem Geburtshaus in Warna, Bulgarien (Bild: PetaRZ, CC-BY-SA 3.0

Gedenktafel für Fritz Zwicky an seinem Geburtshaus in Warna, Bulgarien (Bild: PetaRZ, CC-BY-SA 3.0

Der erste, der gemerkt hat, dass da irgendwas ist, das man bisher nicht kannte, war der amerikanisch-schweizerische Astronom Fritz Zwicky. Im Jahr 1933 veröffentlichte er eine Arbeit mit dem Titel “Die Rotverschiebung von extragalaktischen Nebeln”. Zwicky hatte Galaxien in einem Galaxienhaufen beobachtet. So wie Planeten in einem Sonnensystem oder Sterne in einer Galaxie sind auch die Galaxien in einem Galaxienhaufen gravitativ aneinander gebunden. Wäre es nicht so, dann gäbe es keinen Haufen. Oder eine Galaxie oder ein Sonnensystem. Wenn die Gravitationskraft der Sonne die Planeten nicht festhalten würde, dann würden sie ins All entkommen. Würde man zum Beispiel von einem Moment auf den anderen die Masse der Sonne halbieren, dann wäre auch die Kraft, die sie auf die Planeten ausübt, nur noch halb so stark. Auch die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit wäre dann geringer (die hängt aber von der Wurzel der Masse ab). Um den gravitativen Einflussbereich der Sonne zu verlassen, muss ein Himmelskörper eine gewisse Geschwindigkeit erreichen. Sinkt die Masse, sinkt auch die Fluchtgeschwindigkeit. Misst man also die Geschwindigkeit, mit der sich die Planeten um die Sonne bewegen, dann kann man daraus berechnen, wie schwer sie mindestens sein muss: Mindestens so schwer, um die Planeten am Verlassen des Sonnensystems zu hindern.

Zwicky hatte die Geschwindigkeiten von Galaxien in einem Galaxienhaufen gemessen. Auch hier gilt: Die gesamte Gravitationskraft aller Galaxien im Haufen hält ihn zusammen. Je mehr Galaxien es gibt, desto stärker die Gravitationskraft und desto schneller können sich die Galaxien bewegen, ohne dabei aus dem Haufen zu fliegen. Der Haufen, den Zwicky beobachtet hat (der Coma-Haufen), besteht aus knapp 1000 Galaxien. Alle haben ihre eigene Geschwindigkeit und die ist zu groß! Das war das Ergebnis von Zwickys Beobachtungen. Der Haufen war unzweifelhaft vorhanden. Also konnte die Geschwindigkeit der Galaxien nicht die Fluchtgeschwindigkeit des Haufens übersteigen, ansonsten hätte er sich schon längst aufgelöst. Die Messungen zeigten aber, dass die Geschwindigkeiten höher waren, als die Fluchtgeschwindigkeit. Bestimmt man die Masse aller sichtbaren Galaxien im Coma-Haufen, dann ist diese Masse zu gering, um all die Galaxien festzuhalten. Zwicky schreibt:

“Um, wie beobachtet, einen mittleren Dopplereffekt von 1000 km/sek oder mehr zu erhalten, müsste also die mittlere Dichte im Comasystem mindestens 400 mal grösser sein als die auf Grund von Beobachtungen an leuchtender Materie abgeleitete. Falls sich dies bewahrheiten sollte, würde sich also das überraschende Resultat ergeben, dass dunkle Materie in sehr viel grösserer Dichte vorhanden ist als leuchtende Materie.”

Die sichtbare Materie im Coma-Haufen konnte nicht alles sein, was dort war. Denn sie reichte nicht aus, um die Galaxien zu halten. Es musste dort noch mehr Materie geben und zwar Materie, die man nicht sehen kann. Materie, die Zwicky “Dunkle Materie” nannte.

Der Coma-Haufen (Bild: NASA)

Der Coma-Haufen (Bild: NASA)

Diese Behauptung ist nicht ganz so dramatisch, wie sie klingen mag. Seit die Astronomie im 17. Jahrhundert zur echten Wissenschaft wurde, entdeckten die Astronomen andauernd, dass da draußen viel mehr ist, als sie bisher sehen konnten. Das fing schon bei Galileo Galilei an. Er war der Erste, der ein Teleskop dazu nutze, den Nachthimmel zu beobachten und sah jede Menge Zeug, das vorher niemand gesehen hatte. Er sah, dass Jupiter von kleinen Himmelskörpern umkreist wird. Er sah, dass die Milchstraße in Wahrheit aus Unmengen einzelner Sterne besteht. Er sah Sterne dort, wo man mit freiem Auge keine Sterne sehen konnte. Heute kommt uns das nicht weiter bemerkenswert vor. Mit einem Teleskop sieht man eben mehr!

Aber damals war das eine sehr umstrittene Beobachtung. Viele von Galileis Zeitgenossen wollten seine Beobachtungen nicht akzeptieren. Warum sollte Gott Sterne erschaffen, die mit dem ebenfalls gottgeschaffenen Augen nicht gesehen werden können? Die neuen Sterne von Galilei konnten nicht real sein; es musste sich um optische Täuschungen handeln, die durch das Teleskop verursacht wurden.

Und auch später fand man immer wieder neue, bis dahin “unsichtbare” Bestandteile des Universum. Im Jahr 1800 entdeckte Wilhelm Herschel die Infrarotstrahlung. Danach fand man die UV-Strahlung, Radiostrahlung, Mikrowellenstrahlung, Röntgenstrahlen, und so weiter. Und jeder neue Bereich des elektromagnetischen Spektrums zeigte Dinge im Universum, die man vorher nicht sehen konnte.

1928 postulierte der Physiker Paul Dirac dann sogar eine völlig neue Art der Materie: Antimaterie. Niemand hatte so etwas bis dahin beobachtet, aber die Theorien von Dirac sagten diese neue Art der Materie voraus. Und tatsächlich wurde 1932 das Positron entdeckt, das Antiteilchen des Elektrons. Es gab plötzlich nicht mehr nur die normale Materie, aus der wir, die Erde, die Sterne und der Rest des Universums bestanden. Sondern auch eine zweite Art der Materie, die ganz andere Eigenschaften hat.

Wenn also Fritz Zwicky ein Jahr nach der Entdeckung der Antimaterie von einer “dunklen Materie” spricht, ist das also keine allzu dramatische Behauptung. Vor allem, weil er auch keine Aussagen darüber machte, was diese Materie sein sollte. Vielleicht war sie ja auch nur das ganz normale Zeug, nur eben dunkel.

Zwicky war ein großer Wissenschaftler, aber ein schwieriger Mensch, der sich mit so ziemlich allen Kollegen zerstritt, die mit ihm zusammenarbeiteten. Vielleicht war das auch ein Grund, warum seine “dunkle Materie” fürs Erste nicht sonderlich beachtet wurde. Erst in den 1970er Jahren begannen die Astronomen zu akzeptieren, dass da draußen wirklich noch mehr ist, als man sehen kann…

Kommentare (30)

  1. #1 McPomm
    20. Juni 2013

    Mal so nebenbei gefragt: die Modelle, auf denen die Berechnung der Masse anhand der Leuchtkraft (Strahlungsleistung) basiert, sind vollständig abgesichert und stehen nicht in Diskussion?

  2. #2 Wurgl
    20. Juni 2013

    McPomm:

    müsste also die mittlere Dichte im Comasystem mindestens 400 mal grösser sein

    Bei so einer großen Diskrepanz wären die Berechnungen gar nichts wert.

  3. #3 Alderamin
    20. Juni 2013

    @Wurgl

    Na ja, heute ist man ja runter auf einen Faktor 4.

    @McPomm

    Die Masse-Leuchtkraft-Beziehung ist zwar nicht völlig exakt, aber einen Faktor 4 bekommst Du damit nicht gerettet. Und diese Beziehung lässt sich anhand von Doppelsternen gut verifizieren.

    Dann könnte allenfalls noch nichtleuchtende Materie in Frage kommen, und dazu wird uns Florian sicherlich in einem der nächsten Artikel etwas erklären.

  4. #4 Amina
    20. Juni 2013

    Ich habe zum gleichen Punkt eine Frage: Bei dem von Zwicky beobachteten Haufen handelt es sich doch um einen Galaxienhaufen? Wie berechnet man denn da die Masse? Gilt da auch die Masse-Leuchtkraft-Beziehung? (Ich habe das so verstanden, dass sie gültig für Sterne der Hauptreihe ist). Oder beruht die Massebestimmung da auf statistischer Auswertung und Schätzung?

  5. #5 Michel
    20. Juni 2013

    Vielleicht passiert auch etwas sonderbares mit der Strahlung als Informationsträger auf dem Weg durch Raum und Zeit. Ich meine irgendwelche Einflüsse, die uns nur ein verzerrtes Bild liefern von dem was da draußen eigentlich vorgeht. Wenn es im Mikrokosmos so etwas gibt wie die Heisenberg’sche Unschärferelation, warum sollte es nicht etwas Analoges im großen Universum geben? Ist zwar nur Spekulation, aber… Leider sind Menschen, die sich immer perversere Waffensysteme ausdenken und ganze Wirtschaftssysteme durch zweifelhafte Börsenmanipulationen gefährden, besser angesehenere Zeitgenossen, als diejenigen, welche sich darüber Gedanken machen was die Welt im Inneren zusammenhält

  6. #6 Bullet
    20. Juni 2013

    @Michel:

    Wenn es im Mikrokosmos so etwas gibt wie die Heisenberg’sche Unschärferelation, warum sollte es nicht etwas Analoges im großen Universum geben?

    Relativ einfach: die Frage an sich kann nur aus einem gewissen Verständnis heraus gestellt werden. Dieses Verständnis hat bereits keine Berührungspunkte mit der Welt.
    (Vergleiche, was passiert, wenn du nicht “Universum”, sondern “Zahlenraum” einsetzt.)
    Spekulation: definitiv. Außerdem lassen Verzerrungen auf die Struktur des Verzerrers schließen. Dann hättest du schon mehr in der Hand als bloße Spekulation.
    Was jetzt aber der Absatz mit den Waffen hier zu suchen hat, ist mir im Ernst schleierhaft.

  7. #7 CM
    20. Juni 2013

    … darüber hinaus weiss man schon Manches was so mit Strahlung als Informationsträger auf dem Weg durch Raum und Zeit so passiert. Ich will Florian nicht vorgreifen, wissenschaftlicher Skeptizismus ist außerdem immer angebracht, aber das ist alles kein Grund für mystische Gedankengänge.

  8. #8 White-Gandalf
    MV
    20. Juni 2013

    Manchmal gibt es Probleme, wenn ein “Eingeweihter” versucht, einen populärwissenschaftlichen Artikel zu verfassen. So auch hier passiert: Wenn die Behauptung aufgestellt wird, IRGENDEIN Modell sei nicht ausreichend genau, dann MUSS ZWINGEND das Modell und die Beobachtungen, anhand derer die Ausgangs-Zustände des Modells berechnet werden, ebenfalls vorgestellt werden. Im Artikel fehlt dies jedoch komplett.

    Als Laie stelle ich mir sofort nach dne ersten Zeilen die Frage: Ja, nun: WO bitteschön sind denn nun die Abweichungen? Inwiefern ist die angesetzte Masse der Galaxien unzureichend? Wie hat der Typ damals die Masse von Galaxien aus beobachteten Lichtsignalen abgeleitet? Waren damals zum Beispiel schwarze Löcher bereits in dem Maße und mit der Rolle bekannt, wie sie es heute sind? (Tautologisch, die letzte Frage, gelle?!)

    Nichts davon wird im Artikel auch nur angedeutet.

    Das reicht noch nicht. Kann der AUtor das nachbessern? In einem Folgeartikel vielleicht?

  9. […] zweiten Teil der Serie über dunkle Materie ging es heute um die ersten Beobachtungsdaten, die uns zeigen, dass da draußen tatsächlich noch […]

  10. #10 Florian Freistetter
    20. Juni 2013

    @White-Gandalf: “Wie hat der Typ damals die Masse von Galaxien aus beobachteten Lichtsignalen abgeleitet? Waren damals zum Beispiel schwarze Löcher bereits in dem Maße und mit der Rolle bekannt, wie sie es heute sind? (Tautologisch, die letzte Frage, gelle?!)”

    Schwarze Löcher spielen da keine Rolle. So viele schwarze Löcher kann es gar nicht geben, um die große fehlende Masse zu erklären (schwarze Löcher waren ja irgendwann auch mal Sterne).

    Und wie man die Masse aus dem Licht ableitet: Naja, das ist recht einfach. Man weiß, wie hell Sterne mit bestimmter Masse sind (Hertzsprung-Russell-Diagramm, usw). Das weiß man ziemlich genau, weil man die Sterne in unserer Umgebung ja ziemlich gut beobachten kann. Wenn man nun nicht davon ausgeht, dass die Sterne in anderen Galaxien komplett anders sind als die bei uns, dann gibt es da nicht großartig irgendwelche Modelle vorzustellen..

    Gehts dir tatsächlich nur um die Frage, wie man aus der Helligkeit von Galaxien ihre Masse bestimmt? Oder ist das nur ein indirekter Kommentar, der auf “Dunkle Materie ist Unsinn und die Astronomen wissen gar nichts” hinauslaufen soll?

  11. #11 Alderamin
    20. Juni 2013

    @Amina

    Man kann die Masse auf zwei Weisen bestimmen: mit Hilfe des Virialsatzes, welcher die Gesamtmasse des Haufens schätzt, und zwar sichtbare und unsichtbare, natürlich basierend auf dem bekannten Gravitationsgesetz. Gleiches gilt für die Masse einer Galaxie, die man aus ihrer Rotationsgeschwindigkeit schätzen kann.

    Die sichtbare Masse wiederum kann man schätzen aufgrund der Masse-Leuchtkraft-Beziehung. Ich denke, man wird aufgrund der Farbe der Galaxie auf einen gewissen Mix an Sternen verschiedener Spektralklassen schätzen, denn elliptische Galaxien haben (so gut wie) keine jungen, blauen Sterne, Spiralgalaxien sehr wohl. Dann kann man über den Sternenmix und die Masse-Leuchtkraft-Beziehung eine entsprechende Beziehung für die Masse und die gemessene Helligkeit der gesamten Galaxie ermitteln.

    Dabei muss man deren Entfernung kennen, denn man braucht die absolute Helligkeit, die Helligkeit für eine gewisse Norm-Entfernung. Das würde übrigens Zwickys absurden Faktor 400 erkären, denn früher waren die Entfernungen zu Galaxien sehr ungenau bekannt und generell viel zu klein geschätzt. Zu klein heißt, der Galaxienhaufen schien viel näher und damit leuchtschwächer zu sein. Leuchtschwächer heißt aber, weniger sichtbare Materie.

    Heute sind wir mit der Entfernungsbestimmung im einstelligen Prozentbereich und der Faktor 4 kommt heraus. Folglich dürfte Zwicky die Entfernung um den Faktor 10 unterschätzt haben. Das passt zur Hubble-Konstante, die der gute Edwin anfangs zu 500 km/s/Mpc) bestimmte (heute ist man bei ca. 70 km/s/Mpc).

    Ach so, die Menge an neutralem Wasserstoffgas in einer Galaxie lässt sich, glaube ich, aus der Stärke des Radiosignals etwa im 21 cm Band schätzen. Das Helium kann man mit 1/4 des Wasserstoffs ansetzen und Metalle liegen im unteren einstelligen Prozentbereich. Und Planeten wiegen auch fast nix. So hat man dann eine Zahl für die Gesamtmasse der Galaxie.

  12. #12 White-Gandalf
    20. Juni 2013

    @Florian Freistetter;

    Ich würde so eine Berechnung gern auch als Laie nachvollziehen können. Denn sonst hat ein populärwissenschaftlicher Artikel keine Bedeutung für mich: Nur als Stammtisch-Palaver brauche ich das nicht. Um es nachvollziehen zu können, müßten zumindest hinreichend grob die Ausgangsdaten und das Berechnungs-Modell beschrieben werden. Der Herr Zwicky hat ja einen Artikel hinterlassen…

    Beim Verfolgen werden detailliertere Probleme sichtbar: Er verweist zunächst auf Entfernungsbestimmungen mittels Cepeiden. In Veröffentlichungen (z.B. Wikipedia-Artikel) dazu findet man als quantitative (!) Angaben zu Fehlern der Abschätzungen bzw. Messungen bestenfalls sowas wie “begrenzt”, “zeigen eine Abweichung”, “etwas lichtschwächer”, “zusätzliche Abhängigkeit …ist Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen”…

    Da haben wir das Problem also nur verlagert. Sicher sind die Sachen in den Innereien von wissenschaftlichen Abhandlungen irgendwann irgendwo auch mal mit genaueren quantitativen Abschätzungen diskutiert worden. Allein: Als Laie ist man so klug wie hätte man ganz aufs Lesen verzichtet.

    Also: Ein richtig guter populärwissenschaftlicher Artikel würde HIER mithelfen, Dinge, die über zig oder hunderte wissenschaftliche Abhandlungen (und über Jahrzehnte) schwer lesbar verstreut sind, so zusammenzutragen, daß es einem Laien möglich ist, die Aussagen nachzuvollziehen.

    DAS soll der Kern meiner Kritik sein…

  13. #13 Florian Freistetter
    20. Juni 2013

    @White-Gandalf: “DAS soll der Kern meiner Kritik sein…”

    Ok – das Problem ist also im wesentlichen, dass ich nicht den Artikel geschrieben habe, den du gerne lesen wolltest. Das ist auch ok – aber ein Problem, das sich nicht so ohne weiteres lösen lässt.

    Man kann nicht ALLES in einem Artikel erklären. Das geht nicht. Genauso, wie du eine ausführliche Analyse der Massenbestimmung via Leuchtkraft einforderst, könntest du eine Erklärung zur damaligen Beobachtungstechnik fordern, zu den Instrumenten die eingesetzt worden sind, zur Analyse der Fotoplatten, zu den Grundlagen der Spektroskopie und Entfernungsbestimmunge, usw. Du willst, dass ich die Erkenntnisse zur dunklen Materie von ersten Prinzipien her ableiten soll. Das ist möglich; im Rahmen eines Buches aber nicht im Rahmen eines Artikels.

    Beim Schreiben eines populärwissenschaftlichen Artikels muss man halt immer Einschränkungen machen. Ich kann nicht JEDES Detail komplett erklären. Vor allem nicht, wenn die Leserschaft so inhomogen ist wie bei einem Blog. Jeder ist Laie auf irgendeinem Gebiet und es sind meistens unterschiedliche Gebiete. Man muss sich halt immer ein Thema aussuchen, das man erklärt. Und da es hier um die dunkle Materie geht war es eben das, was ich hier ausführlich beschrieben habe. Es tut mir leid, dass es nicht der Artikel ist, den du gerne lesen wolltest. Vielleicht gefällt dir einer aus der nächsten Serie halt besser. Aber ich kann leider keine Artikel schreiben, mit denen jeder einzelne potentielle Leser restlos zufrieden ist. Das klappt nie.

  14. #14 White-Gandalf
    20. Juni 2013

    Auf Seite 124 der verlinkten Dokumentation kommt endlich Butter bei die Fische…

    Die dort angesetzten Abschätzungen der Parameter sehen aber – für mich, als Laie, und auf den ersten Blick – recht “mutig” aus: “10^9 Sonnenmassen pro Galaxy” – wo hat er das her? Hört sich nach extrem pauschalem Hüftschuß an.

    Andererseits sollte die Abhängigkeit der Rotationsgeschwindigkeit von der Systemmasse beim angesetzten Systemmodell nur der Wurzel der Masse folgen (ich bin mit den Modellen erstmal nicht vertraut).

    Zumindest kann man sich aus den dortigen Angaben mal ein Bild machen und selbst nachrechnen… Bin mal gespannt, was dabei rauskommt…

  15. #15 Florian Freistetter
    20. Juni 2013

    @White-Gandalf: “Zumindest kann man sich aus den dortigen Angaben mal ein Bild machen und selbst nachrechnen… Bin mal gespannt, was dabei rauskommt…”

    Bei allem Respekt für deine potentiellen Rechenkünste: Aber wenn du zu einem anderen Ergebnis kommen solltest als Generationen von Astronomen in den letzten 80 Jahren, dann wäre das ein klein wenig überraschend…

  16. #16 White-Gandalf
    20. Juni 2013

    Noch ein P.S.: Im Moment kippt meine Beurteilung des Artikels schon wieder in Richtung “gefällt mir”. Mir würde ein Tipp zum Ausfindigmachen solcher konkreten Kernrechnungen sehr gefallen, obwohl der Link auf den Artikel von Herrn Zwicky auch schon hinreichend war. Nur war das wirklich wichtige – was zur Kernaussage IHRES Artikels paßt – sehr weit hinten versteckt.

    Ich kann jetzt die Diskrepanz (1:400) zumindest dahingehend einschätzen, wo sie herkommt, habe das zugrundeliegende Modell, eine grobe Abschätzung der Fehler für die im Modell eingesetzten Ausgangswerte (wo es zum Teil halt um Zehnerpotenz-Näherungen geht) und habe erstmal für einen Abend mathematische Unterhaltung.

    Also leztlich ist doch alles zusammengekommen, was den Wert eines populärwissenschaftlichen Artikels ausmacht.

  17. #17 White-Gandalf
    20. Juni 2013

    Hmmm… 😀

    Manchmal führen andere Modelle – wenn sie denn möglich sind – zu ganz anderen Interpretationen. Die angesetzten pauschalen Modelle sehen von allen konkreten Strukturen ab. Ohne da jetzt was übers Knie brechen zu wollen – nur als Beispiel zur Verdeutlichung: In Galaxienarmen wirken ja auch gravitative Kräfte, die ein Mitziehen der Arme mit höherer Geschwindigkeit bewirken, als bei unabhängiger Bewegung der Sterne um das Galaxienzentrum notwendig wäre. Ein Galaxienhaufen ist nun keine Galaxy, deswegen: nur als Beispiel zur Verdeutlichung des Denkprinzips. Aber wer weiß, was einem im Laufe der Jahre noch an Einfällen kommt?

    Wenn man sich als Laie nicht zu den Modellen durchwerkelt, hat man jedenfalls keine Chance mitzudenken – außer als Stammtisch-Phrasendrescherei. Mit dem Nachrechnen kommt die Urteilsfähigkeit, auch was das Nachdenken über alternative Modelle betrifft.

  18. #18 Florian Freistetter
    20. Juni 2013

    @White-Gandalf: Vielleicht würde es dir helfen, wenn du hier erst nächsten Mittwoch wieder reinschaust, wenn alle Teile der Serie erschienen sind und du sie auf einmal lesen kannst. Dann würden sich vielleicht viele deiner Fragen von selbst beantworten…

  19. #19 White-Gandalf
    20. Juni 2013

    😀 Ja, das sieht vielversprechend aus… Bin gespannt…

  20. #20 Amina
    20. Juni 2013

    @Alderamin: Vielen Dank!

    Ich hatte mir schon gedacht, dass die großen Abweichungen im Faktor von ungenauer Entfernungsbestimmung herrühren könnten.

    Wenn ich mir das Bild des Coma-Haufens ansehe, dann kann ich links eine Spiralgalaxie erkennen, bei der man durch den Blickwinkel recht gut ihre Form erkennen kann, wodurch sich dann auch abschätzen lässt, wie viele Sterne diese Galaxie wohl enthält. Aber wie würde man das bei den Kugelförmigen Galaxien in der Mitte machen?
    Wird man dazu ein Modell machen, dass eine für den messbaren Effekt Mindestmenge an Sternen sowie eine wegen der Gravitationsgesetze Höchstanzahl? Also auch eine statistische Schätzung?

    Und wie kann man die Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien bei dieser Entfernung überhaupt messen, ich meine, in welchen Zeiträumen misst man denn da?

    (Das sind so Fragen, die ich bisweilen von Schülern bekomme und gerne beantworten könnte)

  21. #21 Florian Freistetter
    20. Juni 2013

    @Amina: Geschwindigkeiten im All misst man i.A. immer über den Dopplereffekt. Man muss aber aufpassen, dass man nicht durcheinander kommt. Zwicky hat die Geschwindigkeiten VON Galaxien gemessen; also wie schnell sich die Galaxien als Ganzes durch den Raum bewegen und dabei gemerkt, dass das zu schnell ist, um von der sichtbaren Masse noch gehalten zu werden.

    Die Rotationsgeschwindigkeiten von Galaxien kommen erst morgen in der Serie dran, da geht es dann um die Frage, wie schnell sich Sterne IN Galaxien bewegen. Da macht man normalerweise Spaltenspektroskopie – misst also entlang einer Linie quer durch die Galaxie die jeweilige Dopplerverschiebung und sieht so, wie schnell sich da was auf uns zu bzw. von uns weg bewegt.

  22. #22 Werwolf
    Düsterwald
    20. Juni 2013

    bei aller Wertzschätzung von Zwickys Leistung – hätte er geahnt WIE ungenau die Entfernungschätzungen für Galaxien sind, dann hätte er vermutlich keine Spekulationen über nicht leuchtende Materie angestellt. (Insofern kann man die Ignoranten Kollegen verstehen.)
    Das hätte womöglich auch sein Gutes gehabt. Denn was er dunkle Materie nannte, scheint ja etwas völlig anderes zu sein als Materie die nicht leuchtet.

  23. #23 Alderamin
    20. Juni 2013

    @Amina

    @Florian, Bruttl

    Ich muss Bruttl recht geben, einige veränderliche Sterne haben sehr wohl einen variablen Radius, z.B. Mirasterne und Cepheiden. In diesem Diagramm ist aufgetragen, wie sich bei Delta Cephei verschiedene Parameter über die Pulsationsperiode ändern. Was auffällt: es gibt einen Phasenversatz zwischen dem maximalen Radius und der Helligkeit, die wiederum beinahe in Phase mit der Temperatur ist. Die Helligkeit wird also, und da hat Florian recht, nicht hauptsächlich durch die Radiuszunahme verusacht. Was auch einleuchtet, weil die Helligkeit mit der vierten Potenz der Temperatur, aber nur mit dem Quadrat des Radius zunimmt, wobei bei zunehmendem Radius/abnehmendem Druck die Temperatur rasch fällt.

    Hatte mich zur mündlichen Diplomprüfung im Nebenfach Astronomie mal als Vertiefungsthema mit den Veränderlichen beschäftigt, ist aber schon eine Weile her.

    Na, die Zahl der Sterne muss man ja gar nicht wissen, die steckt schon in der Leuchtkraft. Wenn die Galaxie so-und-so-einen Sternenmix enthält und so-und-so hell ist, dann enthält sie eine gewisse Masse und eine gewisse Menge Sterne. Und den Mix der Sterne kann man aus der Farbe der Galaxie ableiten: viele alte, leuchtschwache, dann ist die Galaxie rötlich und dunkler pro Zahl der Sterne. Entstehen noch Sterne, dann ist die Galaxie bei gleicher Sternenzahl heller und leuchtet bläulicher.

  24. #24 Alderamin
    20. Juni 2013

    Huch, was war denn da im Clipboard und warum lese ich’s nicht??

    Die Antwort bezog sich auf Amina:

    Wenn ich mir das Bild des Coma-Haufens ansehe, dann kann ich links eine Spiralgalaxie erkennen, bei der man durch den Blickwinkel recht gut ihre Form erkennen kann, wodurch sich dann auch abschätzen lässt, wie viele Sterne diese Galaxie wohl enthält. Aber wie würde man das bei den Kugelförmigen Galaxien in der Mitte machen?

  25. #25 aldebaran
    Tenerife
    20. Juni 2013

    Dieses ist der qualifizierteste Blog, den ich bislang gesehen habe. Danke Florian!

  26. #26 libre
    21. Juni 2013

    @aldebaran Dieses ist der qualifizierteste Blog, den ich bislang gesehen habe. Danke Florian!

    Naja, wirklich Inhaltsvolles und Erhellendes findet man wohl eher hier:

    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/author/mbaeker/

    Gebe der Artikelserie aber mal eine Chance. Vielleicht kommt ja mehr als bei WIKI raus – Dunkle Materie.

  27. #27 libre
    21. Juni 2013

    Der Link sollte eigentlich sein
    https://de.wikipedia.org/wiki/Dunkle_Materie

    Das kommt davon, wenn man mit dem Finger auf Andere zeigt. 😳

  28. #28 PDP10
    21. Juni 2013

    @libre:

    “Naja, wirklich Inhaltsvolles und Erhellendes findet man wohl eher hier:”

    “Findet man auch hier” wäre wohl eher die passende Formulierung.

    Martin Bäker ist halt Physiker. Das ist eine andere Perspektive als die eines Astronomen.

    Ich lese beide Blogs – und lerne aus beiden viel.
    Und ich finde, beide ergänzen sich sehr gut.

  29. […] im Universum tatsächlich mehr sein muss, als nur das, was leuchtet. Diese Entdeckungen habe ich in Teil 2 und Teil 3 der Serie erklärt. Und in Teil 4 war das frühe Universum an der Reihe, das uns […]

  30. […] Astrodicticum Simplex beschreibt im zweiten Teil der Serie wie der Name Dunkle Materie erfunden wurde. […]