Dunkle Materie ist keine Erfindung, wie wir in Teil 1 der Serie festgestellt haben. Schon seit bald 80 Jahren gibt es Beobachtungsdaten, die uns zeigen, dass im Universum tatsächlich mehr sein muss, als nur das, was leuchtet. Diese Entdeckungen habe ich in Teil 2 und Teil 3 der Serie erklärt. Und in Teil 4 war das frühe Universum an der Reihe, das uns ebenfalls zeigte, dass dunkle Materie existieren muss. Teil 5 hat sich mit MOND beschäftigt, der Modifizierten Newtonschen Dynamik. Diese Alternative zur dunklen Materie hat sich aber im Laufe der Zeit als immer weniger praktikabel herausgestellt. Denn die dunkle Materie findet man nicht nur, wenn man die Bewegung der Galaxien und Sterne analysiert, sondern auch bei der Suche nach dem ersten Licht im Universum.
Ich habe in Teil 4 schon über die kosmische Hintergrundstrahlung geschrieben (und verweise nochmal auf meine ausführliche Erklärung hier). Sie ist das älteste Licht, das wir sehen können und ermöglicht uns daher den weitesten Blick in die Vergangenheit. Das, was wir mit der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen, ist schon 380.000 Jahr nach dem Urknall entstanden; zu dem Zeitpunkt bildeten sich die ersten Atome und das Licht konnte sich ungehindert ausbreiten. Die Art und Weise wie die Materie im frühen Universum verteilt war, bestimmte seine weitere Entwicklung. Die kleinen Unregelmäßigkeiten und Dichteunterschiede waren der Ausgangspunkt der ersten Sterne und Galaxien. Es gibt allerdings zwei verschiedene Arten, wie das passieren konnte.
Vielleicht haben sich zuerst sehr große Strukturen gebildet, gigantische Wolken aus Gas, die erst im Laufe der Zeit zu kleineren Objekten fragmentierten: Den Galaxien, die wir heute beobachten können.
Oder aber es bildeten sich zuerst die kleinen Objekte, die sich dann im Laufe der Zeit zu großen Galaxienhaufen und Superclustern zusammengefunden haben.
Es ist natürlich prinzipiell interessant zu wissen, wie sich die Strukturen im Universum gebildet haben. In diesem Fall kann es uns aber auch etwas über die Natur der dunklen Materie verraten. Wir wissen ja schon aus anderen Beobachtungen der Hintergrundstrahlung, dass die dunkle Materie sich von der normalen Materie unterscheiden muss. Die dunkle Materie muss also aus bisher unbekannten Elementarteilchen bestehen; Teilchen, die nicht so mit dem Rest der Materie interagieren, wie wir es gewohnt sind. Sie üben eine Gravitationskraft aus, aber die elektromagnetische Kraft lässt sie völlig kalt – weswegen sie auch unsichtbar sind. Diese “nicht-baryonische”-Materie kann man in zwei grundlegende Arten unterteilen.
Da ist zuerst einmal die heiße dunkle Materie. So bezeichnet man Teilchen, die sehr leicht sind und sich daher sehr schnell bewegen. So ein Teilchen kennen wir sogar und das schon seit 1956. Da wurde das Neutrino entdeckt und dieses Teilchen verhält sich exakt so, wie es heiße dunkle Materie tun soll. Es hat nur eine sehr geringe Masse, bewegt sich enorm schnell und wechselwirkt so gut wie gar nicht mit normaler Materie. Leider wissen wir mittlerweile aber auch, dass die Masse der Neutrinos zu gering ist, um die Menge an dunkler Materie zu erklären. Aber vielleicht gibt es ja noch andere, Neutrino-ähnliche Teilchen, die wir noch nicht entdeckt haben.
Die zweite Möglichkeit ist die kalte dunkle Materie. Hier handelt es sich um Teilchen, die sehr schwer sind und sich langsam bewegen. Teilchen dieser Art kennen wir noch nicht – aber sie haben zumindest schon einen Namen bekommen: WIMPs, also Weakly Interacting Massive Particles – schwere Teilchen, die schwach wechselwirken.
Die beiden Arten von dunkler Materie entsprechen den beiden Entstehungsszenarien im frühen Universum. War die dunkle Materie damals heiß, dann hat sie durch ihre schnelle Bewegung die Dichteschwankungen in der normalen Materie großräumig “verschmiert”. Es müssen sich als erstes sehr große Strukturen gebildet haben. Die kalte dunkler Materie bewegt sich viel langsamer und die Dichteschwankungen wären kaum beeinflusst worden. Es hätten sich zuerst kleinere Strukturen gebildet.
Und das schöne an der Sache ist: Wir können nachsehen, was wirklich passiert ist! Wir können die Galaxien und Galaxienhaufen beobachten und je weiter entfernt sie sind, desto länger hat das Licht zu uns gebraucht und desto weiter blicken wir in die Vergangenheit. Auf diese Weise hat man das nahe und ferne Universum kartografiert und festgestellt, dass es um so simpler wird, je weiter man zurück blick. Die großräumigen Strukturen haben sich erst später gebildet; zuerst waren die Galaxien da und dann kamen die Galaxienhaufen. Die dunkle Materie muss also kalt sein!
Die zweite wichtige Information aus der kosmischen Hintergrundstrahlung betrifft nochmal die MOND-Alternative. Wie in Teil 5 erklärt handelt es sich bei MOND um eine alternative Formulierung des Gravitationsgesetzes. Mit dieser neuen Formel kann man zwar die Bewegung von Sternen in Galaxien gut erklären, ohne dabei dunkle Materie verwenden zu müssen. Aber sie reicht nicht aus, um alle Beobachtungen zu erklären. Besonders kritisch wird es im frühen Universum.
Wenn es dunkle Materie gibt, dann hat sie durch ihre Anwesenheit die Verteilung der normalen Materie beeinflusst. Man kann nun berechnen, wie stark die Schwankungen in der Materiedichte im frühen Universum sein müssen wenn es dunkle Materie gibt bzw. wie sie aussehen würden, wenn MOND korrekt wäre. Diese Schwankungen entsprechen leicht unterschiedlichen Temperaturen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Ich verweise nochmal auf meinen ausführlichen Artikel über die Messung der Hintergrundstrahlung. Dort habe ich auch erklärt, wie man solche Diagramme interpretiert:
Simpel gesagt: diese Kurve zeigt, wie groß die Schwankungen in der Hintergrundstrahlung sind und wie viele große bzw. kleine Schwankungen es gibt. Die durchgezogene Linie ist die Vorhersage ohne dunkle Materie, mit MOND. Die gepunktete Linie ist die Vorhersage unter Berücksichtigung der dunklen Materie. Und die Sternchen sind die konkreten Messwerte, die man mit Weltraumteleskopen beobachtet hat. Deutlicher könnte der Befund kaum sein: Die Beobachtungsdaten folgen der Vorhersage der dunklen Materie. Daran hat sich auch mit den neuen Daten des Planck-Satelliten nichts verändert, die Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurden. Sie haben nur noch exakter bestätigt, dass es da draußen im Universum nicht nur normale Materie geben muss, sondern auch unbekannte, dunkle Materie.
Wir sind uns also mittlerweile sicher, dass es dunkle Materie gibt. Jetzt müssen wir nur noch rausfinden, was sie eigentlich ist…
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