Ich gehe mal davon aus, dass ich die Fernsehserie “Die Simpsons” nicht erklären muss. Immerhin läuft die Serie schon seit 1991 im deutschen Fernsehen. Mittlerweile hat sich vermutlich sogar herumgesprochen, dass “Die Simpsons” keine Kinderserie sind, auch wenn darin lustige Zeichentrickfiguren vorkommen (als ich damals die ersten Folgen im österreichischen Fernsehen gesehen habe, liefen die selbstverständlich noch im Kinderprogramm). In den Simpsons steckt aber noch viel mehr. Zum Beispiel jede Menge ernsthafte Mathematik. Warum das so ist und welche Mathematik man dort finden kann erklärt der bekannte Wissenschaftsautor Simon Singh in seinem neuen Buch “Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik” (im Original “The Simpsons and Their Mathematical Secrets”).
Dass Simon Singh Mathematik anschaulich und verständlich darstellen kann, sollte spätestens seit seinen Bücher über den berühmten Satz von Fermat (“Fermats letzter Satz: Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels”) und über Kryptografie (“Geheime Botschaften. Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet”) bekannt sein. Das neue Buch über die Simpsons ist allerdings kein reines Mathematikbuch. Es ist auch ein wenig Biografie der Simpsons-Autoren, von denen überraschend viele Mathematik, Physik oder Informatik studiert haben. Und nicht nur studiert; einige haben auch in der Forschung gearbeitet.
David S. Cohen hat zum Beispiel eine äußerst passende Arbeit über Pfannkuchensortierungen veröffentlicht, was nicht nur ein sehr simpsonesques Thema ist, sondern auch ganz echte und reale Mathematik. Sein Artikel On the problem of sorting burnt pancakes” basiert übrigens auf der Arbeit “Bounds for sorting by prefix reversal” die im Jahr 1979 von einem gewissen Bill Gates veröffentlicht wurde.
Simon Singh hat mit vielen Autoren der Simpsons gesprochen und versucht herauszufinden, wieso sich gerade hier so viele Mathematiker angesammelt haben und wieso diese doch allgemein eher als unlustig geltende Disziplin so viele Comedyautoren hervorgebracht hat. Aber neben Geschichten zur Entstehung der Simpsons und Biografien der Autoren gibt es im Buch selbstverständlich auch jede Menge Mathematik! Singh hat sich die Simpsons-Folgen angesehen und erklärt den Lesern, wo sich dort überall Mathematik versteckt. Schon die zweite Folge aus dem Jahr 1990 (“Bart wird ein Genie”) enthält an zentraler Stelle einen Witz der nur mit Kenntnissen der Differential- und Integralrechnung verstanden werden kann. Die Lehrerin in der Schule für Hochbegabte die Bart besuchen muss stellt ihren Schülern folgende Aufgabe:
“Also, y gleich r hoch 3 durch 3, und wenn ihr den Veränderungsgrad dieser Kurve richtig berechnet, werdet ihr mit Sicherheit eine angenehme Überraschung erleben.”
Warum das lustig ist und welche Mathematik dahinter steckt, erklärt Singh dann ausführlich in seinem Buch. Genau so wie jede Menge anderer mehr oder weniger versteckter mathematischer Witze und Anspielungen in den Simpsons. Da taucht der Satz von Fermat wieder auf; die Berechnung der Masse des Higgs-Bosons, Statistik und Sabermetrics und die berühmte Eulersche Formel. Und natürlich jede Menge Zahlen. Wenn bei den Simpsons irgendwo im Hintergrund Zahlen auftauchen, dann kann man davon ausgehen, dass die Autoren irgendeinen mathematischen Witz eingebaut haben. Singh erklärt zumindest einen Teil der vorkommenden Zahlen und diesen Bereich der Zahlentheorie finde ich immer besonders faszinierend.
Primzahlen (die nur durch sich selbst und 1 ohne Rest geteilt werden können) dürften jedem bekannt sein. Aber was ist mit narzisstischen Zahlen? Das sind die Zahlen, bei denen die Summe ihrer Ziffer; jeweils potenziert mit der Anzahl der Ziffern wieder die Zahl selbst ergibt (und die in der Folge “Homerun für die Liebe” auftauchen). Zum Beispiel besteht die Zahl 153 aus den 3 Ziffern 1, 5 und 3. Und berechnet man nun 13 + 53 + 33, dann ergibt das wieder genau 153. Es gibt aber auch noch perfekte Zahlen, erhabene Zahlen oder Vampirzahlen. Das, was mich an diesen Zahlen fasziniert sind nicht die Zahlen an sich, sondern die Menge. Dass es zum Beispiel unendlich viele Primzahlen gibt, weiß man schon seit der Antike. Und es erscheint auch irgendwie sinnvoll, denn immerhin gibt es unendlich viele Zahlen und warum sollten dann irgendwelche Untergruppen endlich sein? Warum zum Beispiel sollte es exakt 88 narzisstische Zahlen geben? Warum sollte gerade 115132219018763992565095597973971522401 die größte narzisstische Zahl sein, auf die bis in die Unendlichkeit keine andere mehr folgt? Ich hab keine Ahnung, aber genau so ist es und das überrascht mich immer wieder. Irgendwo gibt es einen mathemtischen Beweis der mit “N=88” oder so in der Art endet und der einwandfrei feststellt, dass es unter den unendlich vielen Zahlen exakt 88 narzisstische Zahlen gibt; nicht mehr und nicht wenig. Mit “0” oder “1” könnte ich ja noch leben; das sind vernünftige Zahlen. Entweder etwas ist vorhanden oder nicht. Auch “2” oder “3” sind noch halbwegs natürlich. Es gibt zwei magnetische Pole; es gibt Materie und Antimaterie und drei Quarks machen ein Proton oder Neutron. Aber 88? Wo um Himmels Willen kommt so eine Zahl her? Wie kommt das Universum auf die Idee, so eine seltsame Zahl zu benutzen. Warum beschränkt es sich nicht auf 0, 1 und unendlich? Bei solchen Fragen ärgere ich mich dann immer ein wenig, dass ich nicht doch Mathematiker geworden bin… Aber OK, als Astronom bin ich ja irgendwie auch Mathematiker, wie dieser schöne Cartoon von Abstruse Goose erklärt:
Singhs Buch ist voll mit faszinierenden Geschichten über Mathematik. Es ist kein Buch, dass sich nur einem einzelnen Thema widmet sondern viele verschiedene mathematische Bereiche in kurzen Episoden abhandelt und daher ideal für Menschen geeignet, die sich bis jetzt vielleicht noch nicht so intensiv mit Mathe beschäftigt haben. “Homers letzter Satz” liefert einen wunderbaren Einblick in die Vielfalt der Mathematik und erklärt die Faszination, die sie auf viele Menschen ausübt. Am Ende des Buches kommt auch die zweite Serie von Simpsons-Gründer Matt Groening noch einmal vor. “Futurama” läuft noch nicht so lange wie die Simpsons und ist leider auch vor kurzem wieder mal eingestellt worden. Aber diese Science-Fiction-Serie enthält noch wesentlich mehr mathematisch-wissenschaftliche Anspielungen als die Simpsons. Und es ist vermutlich die einzige Fernsehserie, für die ein Mathematiker einen kompletten mathematischen Satz samt Beweis aufgestellt hat um die Handlung einer Folge abschließen zu können. In der Folge “Im Körper des Freundes” erfindet Professor Farnsworth eine Maschine, mit der man mit einer anderen Person den Körper tauschen kann. Allerdings ist der Tausch zurück nicht mehr so einfach – jedes Paar von Personen kann die Maschine nur einmal benutzen. Am Ende stecken alle Figuren der Folge im falschen Körper. Das Futurama Theorem besagt nun, dass es egal ist, wie viele Leute ihren Körper vertauscht haben. Man braucht immer nur zwei zusätzliche Personen um die ganzen Vertauschungen wieder rückgängig machen zu können. In der Folge wurde dieses Theorem von den Basketball-Mathematikern Ethan „Bubblegum“ Tate und „Sweet“ Clyde Dixon aufgestellt und bewiesen; in der Realität war es Futurama-Autor Ken Keeler, der einen Doktortitel in Mathematik besitzt. Satz und Beweis wurden sogar in der mathematischen Fachzeitschrift American Mathematical Monthly unter dem Titel “Keeler’s theorem and products of distinct transpositions” veröffentlicht (allerdings nicht von Keeler selbst).
“Homers letzter Satz” ist im gleichen Verlag erschienen wie meine Bücher. Aber auch wenn das Buch von der Konkurrenz herausgebracht worden wäre, könnte ich es nur absolut empfehlen! Es ist unterhaltsam, es ist spannend und es ist enorm informativ. Man muss keine große Ahnung von Mathematik haben um es genießen zu können und man muss nicht mal ein großer Fan von den Simpsons sein. Es macht auf jeden Fall Spaß! (Und wer immer noch skeptisch ist: Auf der Homepage des Hanser-Verlags gibt es eine Leseprobe).
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