Ich habe am Wochenende schon kurz erwähnt, dass jede Menge Gerüchte über eine “große Entdeckung” die Runde gemacht haben. Mittlerweile wurde bekannt gegeben, worum es sich handelt. Die wissenschaftliche Facharbeit dazu trägt den Titel “BICEP2 I: Detection of B-Mode Polarization at Degree Angular Scales” und das klingt ein klein wenig kompliziert. Und das ist es auch – aber es lohnt sich, sich mit diesem Thema ausführlich zu beschäftigen. Denn es geht um die Entstehung des Universums, seine Entwicklung und Wege, wie man all das untersuchen kann. Es geht um den Urknall, um Inflation, um Gravitationswellen und vor allem um “B-Moden”.
Das inflationäre Universum
Was also sind diese ominöse “B-Moden” und warum wäre ihre Entdeckung so wichtig? Um das zu verstehen müssen wir am Anfang anfangen und das buchstäblich. Hier geht es um Kosmologie, den Urknall und das, was unmittelbar danach im frühen Universum passiert ist. Das Urknallmodell ist heute allgemein als die beste Beschreibung der Entwicklung unseres Universums anerkannt. Entgegen weit verbreiteter Vorurteile handelt es sich dabei nicht um reine Spekulation, sondern um eine wissenschaftliche Theorie, die durch viele Beobachtungsdaten belegt ist. Ein integraler Teil des gegenwärtigen Urknallmodells ist die inflationäre Phase. Dabei handelt es sich um einen sehr kurzen Zeitraum, in dem die Expansion des Alls unmittelbar nach dem Urknall unvorstellbar viel schneller erfolgt ist als davor oder danach (Ich habe darüber früher schon mal ausführlicher gesprochen).
![Urknall und Inflation (Bild: public domain)](https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/files/2014/03/Big_bang_manifold-500x375.png)
Urknall und Inflation (Bild: public domain)
Die Inflation löst viele Probleme, die sich mit einem inflationslosen Universum nicht lösen lassen. Zum Beispiel das Horizontproblem: Dabei geht es um die Frage, warum das Universum so enorm homogen ist. Egal in welche Richtung man schaut, es sieht überall gleich aus (und man findet nicht zum Beispiel eine “Hälfte” des Universums die voll mit Galaxien ist und eine andere, die komplett leer ist). Das ist nur dann möglich, wenn sich auch die ursprüngliche Materie, die kurz nach dem Urknall das Universum erfüllt hat, entsprechend homogen verteilt war und das wiederum ist nur möglich, wenn diese Materie ausreichend Zeit hatte, sich genügend zu vermischen. Das junge Universum war zwar viel kleiner als heute, aber wenn man von einer normalen Expansionsrate ausgeht, dann war es trotzdem zu keinem Zeitpunkt klein genug als das das eine “Ende” des Universums wissen konnte, was im anderen “Ende” passiert. Die Inflation löst das Problem, in dem es davon ausgeht, dass das Universum eben nicht “normal” expandiert ist, sondern für einen kurzen Zeitraum quasi regelrecht “explodiert” ist. Zuerst war der Kosmos winzig und die Materie darin konnte sich problemlos vermischen und alles war homogen. Und dann blies die Inflation diesen winzigen Kosmos in unvorstellbar kurzer Zeit zu einem vergleichsweise riesigen Universum auf, das nun immer noch homogen war. Auch andere Probleme, wie zum Beispiel das “Flachheitsproblem” (die Frage, warum das Universum überall flach erscheint obwohl es eigentlich gekrümmt sein sollte) oder das Problem der magnetischen Monopole (die eigentlich vorhanden sein sollten, aber bis jetzt noch nicht gefunden werden konnten) werden durch die Inflation gelöst.
Das inflationäre Universum ist die bisher beste Beschreibung der Beobachtungsdaten die wir haben und die Theorie passt auch gut mit dem Rest der Kosmologie und Teilchenphysik (zum Beispiel dem kürzlich bestätigten Higgs-Mechanismus) zusammen. Es gibt bis jetzt viel indirekte Bestätigung für die Inflation aber noch keinen wirklich deutlichen direkten Beleg. Und genau hier kommen die primordialen B-Moden ins Spiel.
Hintergrundstrahlung
Wir haben nicht viele Möglichkeiten, das frühe Universum direkt zu untersuchen. In der Astronomie sieht man zwar um so weiter in die Vergangenheit, je weiter man in die Ferne blickt. Aber auch hier sind uns Grenzen gesetzt und der Vorhang, der die Geschehnisse im frühen Universum verdeckt heißt “kosmische Hintergrundstrahlung”. Ich habe in anderen Artikel – zum Beispiel hier – schon ausführlich erklärt, worum es sich handelt und möchte das daher hier nur nochmal sehr kurz ausführen.
Das junge Universum war noch enorm heiß und es gab keine Sterne, Planeten und Galaxien. Es gab nur “rohe” Materie; nur einzelne Atome die das All erfüllten. Und selbst die waren keine echten Atome. Es war noch so heiß und alles bewegte sich so schnell, dass die negativ geladenen Elektronen sich nicht an die positiv geladenen Atomkerne binden konnten. Neben der Materie war das All auch noch von Energie erfüllt, die in Form von Licht vorlag. Allerdings war das kein “normales” sichtbares Licht sondern hochenergetische Gammastrahlung. Das Licht konnte sich allerdings nicht ungehindert ausbreiten, weil überall noch die freien Elektronen herum geschwirrt sind und das Licht ständig an ihnen gestreut und abgelenkt wurde. Das junge Universum war eine heiße und undurchsichtige Suppe aus Energie und Materie. Erst knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall war es soweit abgekühlt, dass sich die Elektronen an die Atomkerne binden konnten und der Weg frei für die Strahlung wurde. Das Universum wurde durchsichtig, das Licht breitete sich aus und ein Teil davon ist heute immer noch unterwegs.
![Messung der Variation der kosmischen Hintergrundstrahlung des Weltraumteleskops Planck Bild: ESA and the Planck Collaboration)](https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/files/2013/03/Planck_CMB_node_full_image-500x252.jpg)
Messung der Variation der kosmischen Hintergrundstrahlung des Weltraumteleskops Planck Bild: ESA and the Planck Collaboration)
Die Strahlung kommt aus allen Richtungen gleichzeitig, denn sie entstand ja damals auch an jedem Punkt des Universums und ist in alle Richtungen davon geflogen. Durch die Expansion und Abkühlung des Alls hat aber auch die hochenergetische Strahlung mittlerweile Energie verloren und wenn wir zum Himmel blicken, dann sehen wir keine Gammastrahlung mehr, sondern schwache Mikrowellen. Diese Hintergrundstrahlung, deren Existenz vom Urknallmodell vorhergesagt wurde, wurde in den 1960er Jahren das erste Mal entdeckt und seitdem mit verschiedensten Instrumenten immer genauer vermessen. Denn auch wenn sie aus allen Richtungen kommt und enorm homogen ist, gibt es doch winzige Unterschiede. Diese Unterschiede entstehen durch ganz winzige Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der ursprünglichen Materie im Universum. Es muss diese Unterschiede geben, denn wenn alles immer schon komplett gleich verteilt gewesen wäre, dann hätte sich dieses Gleichgewicht auch nie verändert und heute wäre das All immer noch angefüllt von einem homogen Gas aus Atomen. Erst die kleinen Unregelmäßigkeiten haben dafür gesorgt, dass sich im Laufe der Zeit Verklumpungen in der Materie bilden aus denen dann schließlich Galaxien und Sterne entstanden.
Mit Hilfe der Inflation: Denn vor der inflationären Phase war das Universum so winzig, dass auch die Quanteneffekte eine Rolle spielten. Die Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Materie sind Quantenfluktuationen, die normalerweise nur in der (sub)atomaren Mikrowelt eine Rolle spielen, von der einsetzenden Inflation dann aber auf makroskopische Maßstäbe aufgeblasen wurden. Und als dann 400.000 Jahre nach dem Urknall sich das Licht das erste Mal ausbreiten konnte, waren es diese Unregelmäßigkeiten, die seine Ausbreitung leicht beeinflusst haben und genau das kann man heute noch in der Hintergrundstrahlung beobachten.
Hier zeigt sich auch wie gut die Urknalltheorie eigentlich ist. Denn sie macht ganz konkrete Aussagen darüber, wie diese Unregelmäßigkeiten in der Hintergrundstrahlung aussehen sollten und die Beobachtungen stimmen extrem exakt mit diesen Vorhersagen überein. Bis jetzt zumindest. Ob das auch so bleibt, wird die Untersuchung der B-Moden zeigen.
Polarisation und Gravitation
Bis jetzt haben wir einfach “nur” die Hintergrundstrahlung betrachtet. Satelliten wie COBE, WMAP und Planck haben die Intensität der Hintergrundstrahlung gemessen und nachgesehen, wie stark sie variiert wenn man verschiedene Regionen des Himmels betrachtet. Das ist aber noch nicht alles, was man messen kann. Strahlung kann auch polarisiert sein; d.h. sie kann auf verschiedene Arten schwingen. Lichtwellen können zum Beispiel senkrecht zur Ausbreitungsrichtung schwingen oder spiralförmig um die Ausbreitungsrichtung herum, so wie in diesem Bild dargestellt:
![Zirkular polarisiertes Licht (Bild: public domain)](https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/files/2014/03/Circular.Polarization.Circularly.Polarized.Light_Left.Hand_.Animation.305x190.255Colors.gif)
Zirkular polarisiertes Licht (Bild: public domain)
Die Polarisation des Lichts hängt unter anderem davon ab, ob und wie Licht an Materie reflektiert oder gestreut wird (deswegen verwenden Fotografen ja auch Polarisationsfilter um Lichtreflexionen an Oberflächen abzuschwächen). Und ist daher eine wichtige Informationsquelle, wenn wir wissen wollen, was im frühen Universum so los war. Ich habe vorhin schon von den Unregelmäßigkeiten in der Intensität der Hintergrundstrahlung gesprochen und erklärt, dass sie durch winzige Unterschiede in der Dichte der ursprünglichen Materie verursacht worden sind. Das ist auch richtig, allerdings noch nicht die ganze Wahrheit. Die Unregelmäßigkeiten in der Dichte stellen nur einen Teil der gesamten Unregelmäßigkeiten dar. Denn da ist außerdem noch der Einfluss von Gravitationswellen, der ebenfalls dafür sorgt, dass die Hintergrundstrahlung leichte Variationen aufweist.
Über Gravitationswellen habe ich hier und hier schon ausführlich geschrieben. Laut Albert Einstein krümmt Masse die Raumzeit und diese Krümmung nehmen wir als Gravitationskraft wahr. Jede Masse, die sich durch die Raumzeit bewegt, verändert also deren Krümmung und es entstehen “Wellen” die sich durch den Raum ausbreiten. Beziehungsweise Wellen im Raum selbst; die ganze Raumzeit wackelt also quasi ein wenig hin und her und theoretisch könnte man das auch messen, wenn der Effekt nicht so winzig und Instrumente zu schwach wären. Indirekt hat man die Auswirkungen der Gravitationswellen schon gemessen, ein direkter Nachweis wird schon seit einiger Zeit versucht, blieb bis jetzt aber noch erfolglos.
Es gibt also zwei Komponenten die für die Unregelmäßigkeiten in der Hintergrundstrahlung wichtig sind: Die Dichtevariationen in der Materie und die Gravitationswellen (es gibt auch noch eine dritte Komponente, die aber nur einen kleinen Teil ausmacht und die ich hier jetzt ignorieren möchte). In der Fachsprache wird die erste Komponente “Skalar” genannt und die zweite “Tensor”. Verschiedene Varianten der inflationären Urknalltheorie machen nun verschiedene Aussagen darüber, wie groß das Verhältnis zwischen den beiden Beiträgen ist. Um zu unterscheiden, welche Varianten der Inflationshypothese korrekt sein können und welche nicht, müsste man genau wissen, wie groß der skalare und wie groß der tensorielle Beitrag der Unregelmäßigkeiten ist. Aber das weiß man eben nicht. Man könnte es herausfinden, wenn man die Polarisation der Hintergrundstrahlung misst und das ist bis jetzt noch nicht ausreichend genau gelungen.
E-Moden und B-Moden
Polarisiertes Licht ist selten komplett homogen polarisiert (wenn man es nicht vorher durch einen entsprechenden Polarisationsfilter geschickt hat) sondern eine Mischung verschiedener Polarisationszustände. Bei der Hintergrundstrahlung kann man zwei wesentliche Zustände unterscheiden: Die sogenannten E-Moden und die B-Moden. Die genauen Unterschiede sind ein wenig technisch (Da muss man sich mit Vektoranalysis und Differentialoperatoren auskennen; hier gibt es einen Fachartikel mit einer Grafik dazu) aber es läuft darauf hinaus, dass die E-Moden spiegelsymmetrisch sind und die B-Moden nicht. Und, und darauf kommt es für unsere Überlegungen an, dass die B-Moden nicht von der skalaren Komponente herrühren können sondern nur von den Tensoren, also den Gravitationswellen. Eine Messung von E-Moden und B-Moden in der Hintergrundstrahlung kann uns also etwas über das Verhältnis von Skalaren zu Tensoren sagen.
Die E-Moden in der Hintergrundstrahlung hat man schon 2002 beobachtet. Über die Inflation sagen sie uns aber recht wenig, da sie durch die Streuung von Licht an Atomen im Plasma entstehen. Das ist zwar noch passiert, bevor das Universum durchsichtig wurde, aber trotzdem lange nach der Inflation (die passierte ungefährt 10-35 Sekunden nach dem Urknall). Viel interessanter sind die B-Moden die durch die Gravitationswellen entstehen, die aber viel schwächer und schwerer zu messen sind. Aber letztes Jahr im Sommer gelang es trotzdem (“Detection of B-mode Polarization in the Cosmic Microwave Background with Data from the South Pole Telescope”). Dabei handelte es sich aber um B-Moden, die durch den Gravitationslinseneffekt zustande gekommen sind. Auch das hat mit der Raumkrümmung zu tun: Da Materie den Raum krümmt und Licht der Krümmung des Raums folgt, können große Massen die Ausbreitung des Lichts beeinflussen und damit wie optische Linsen wirken. Der Effekt ist schon lange bekannt und wird in der Astronomie standardmäßig zur Beobachtung ferner Galaxien oder extrasolarer Planeten eingesetzt. Und auch die sich ausbreitende Hintergrundstrahlung kann durch große Massen (Galaxien oder Galaxienhaufen) beeinflusst werden, was sich in einer Veränderung der Polarisation äußerst. Diesen Effekt hat man im Sommer 2013 gemessen und wenn das auch zweifellos interessant war, hatte es doch keine Erkenntnisse über die Inflation gebracht.
Dazu muss man die primordialen B-Moden messen. Als die Inflation das junge Universum aufgeblasen hat, entstanden ebenfalls Gravitationswellen und haben die Polarisation verändert. Könnte man diese B-Moden messen, dann hätte man nicht nur einen deutlichen (wenn auch keinen absolut eindeutigen) Beleg für die Existenz der Inflation gefunden, sondern könnte auch herausfinden, wie das Skalar/Tensor-Verhältnis aussieht.
Wer ein bisschen Zeit hat und vor einem englischen Fachvortrag nicht zurückschreckt, kann sich in diesem Video ansehen, wie John Kovac von der Harvard-Universität die Messung der B-Moden erklärt:
Planck vs. BICEP
Die Messung der primordialen B-Moden ist schwierig, aber in den letzten Jahren in den Bereich des technisch möglichen gerückt. Der Satellit Planck wurde im Mai 2009 ins All geschickt und hat in den folgenden Jahren die kosmische Hintergrundstrahlung so genau vermessen wie nie zuvor. Am 23. Oktober 2013 wurde das Weltraumteleskop offiziell außer Dienst gestellt und ich habe hier im Blog schon über die Ergebnisse der Mission berichtet. Die Datenauswertung ist aber noch nicht ganz abgeschlossen und es sind gerade die Ergebnisse zu den B-Moden, die noch fehlen. Bisher gibt es nur Abschätzungen, die in diesem Bild zusammengefasst werden:
Auf die Details des Bilds will ich gar nicht eingehen (das ist auch für mich ein wenig zu speziell und wer möchte, kann sich den zugehörigen Fachartikel durchlesen). Das Diagramm umfasst zwei Parameter, durch die sich verschiedene Inflations-Hypothesen charakterisieren lassen. Auf der y-Achse ist das oben schon angesprochene Verhältnis von Skalar- zu Tensor-Anteil der Unregelmäßigkeiten aufgetragen und die bunten Bereiche und Linien sind diejenigen Regionen, die von den Planck-Daten und verschiedenen Inflationshypothesen beschrieben werden. Wenn zum Beispiel das Modell der “natural inflation” richtig ist, dann sollten die Werte irgendwo im violetten Bereich liegen. Die Beobachtungsdaten von Planck passen zu den blauen, roten und grauen Regionen und da die sich mit der violetten Region überlappen, scheint die natürliche Inflation eine recht gute Beschreibung zu sein. In diesem Bild sieht es so aus, als sollte der Wert für das Skalar/Tensor-Verhältnis irgendwo bei 0,06 liegen, also dort, wo die violette Region die dunkelblauen (also laut Planck wahrscheinlichsten durch die Beobachtungsdaten bestimmten) Bereiche schneidet.
Aber bis jetzt existierte keine konkrete Messung. Planck hat dazu noch nichts veröffentlicht. Aber es gibt auch andere Experimente, zum Beispiel BICEP. Das steht für Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization und ist eine Beobachtungskampagne die am Südpolteleskop in der Antarktis durchgeführt wird. In der trockenen Luft und auf 2800 Meter Höhe hat man vom Südpol aus gute Bedingungen, um die Mikrowellenstrahlung aus dem All zu beobachten. So gute Bedingungen, dass es dort mit BICEP erstmals gelang, die primordialen B-Moden tatsächlich zu messen.
![Das BICEP2-Teleskop in der Polarnacht (Bild: BICEP)](https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/files/2014/03/Liquid-Helium-Delivery__BICEP2-500x281.jpg)
Das BICEP2-Teleskop in der Polarnacht (Bild: BICEP)
Was hat BICEP entdeckt?
Im Vorfeld der Bekanntgabe der Entdeckung spekulierten viele, dass BICEP genau die angesprochene Detektion von B-Moden gelungen sein könnte, die auf ein Skalar/Tensor-Verhältnis von 0,06 hinweist. Andere vermuteten, dass man einen ganz anderen Wert gemessen hat. Denn bei Beobachtungen dieser Art kann man keine exakten Angaben machen sondern nur statistische Wahrscheinlichkeiten angeben. Das ist so wie in der Teilchenphysik und ich habe die Details hier schon mal ausführlich beschrieben. Betrüge das Verhältnis wirklich ca. 0,06 dann sollte BICEP eigentlich gar nicht der in der Lage sein, es genau genug zu messen, damit es als echte Entdeckung durchgeht. Das ist nur dann möglich, wenn das Verhältnis viel höher ist und zum Beispiel bei 0,2 liegt. Das wäre dann aber ziemlich außergewöhnlich. Dieser Wert ist viel größer als die meisten Wissenschaftler erwartet haben und sehr viele Inflations-Hypothesen würden dadurch widerlegt; andere dagegen sehr wahrscheinlich werden (ich habe zum Beispiel hier von der axion monodromy inflation gelesen, die gut zu diesem Wert passt, ohne aber zu wissen, was das genau ist).
Aber genau das ist es, was BICEP tatsächlich gefunden hat! Clem Pryke, einer der beteiligten Wissenschaftler sagte dazu:
“This has been like looking for a needle in a haystack, but instead we found a crowbar” (“Das ist so, als hätten wir eine Nadel im Heuhaufen gesucht, aber stattdessen ein Brecheisen gefunden”)
Was bedeutet dieses Ergebnis nun konkret?
Zuerst einmal, dass nun nicht mehr nur indirekte Beobachtungshinweise auf die Existenz der kosmologischen Inflation existieren. Ihre Auswirkungen wurden nun direkt in der Polarisation der Hintergrundstrahlung beobachtet. Das ist eine dramatische Entdeckung und eine sehr wichtige. Das ist die Art von Entdeckung, für die es normalerweise Nobelpreise gibt (und es würde mich nicht wundern, wenn in naher Zukunft Alan Guth, der Theoretiker der die Inflationshypothese entwickelt hat gemeinsam mit Leuten vom BICEP-Team einen Anruf aus Stockholm bekommen). Wir haben mit dieser Entdeckung etwas über die Vorgänge unmittelbar nach dem Urknall selbst erfahren und unser Universum auf einer ganz fundamentalen Ebene besser verstanden. Dass man nebenbei auch noch einen weiteren indirekten Nachweis von Gravitationswellen geliefert hat, fällt da kaum mehr ins Gewicht (im Vorfeld haben sich viele Medien ja nur auf die Gravitationswellen-Sache der Geschichte konzentriert und die eigentliche Sensation ignoriert).
Wir haben nun erstmals einen direkten Nachweis über einen der seltsamsten und wichtigsten Vorgänge in der Geschichte unseres Universums. Die Beobachtungsdaten erzählen uns, was einen unvorstellbar kurzen Sekundenbruchteil nach dem Urknall selbst passiert ist. Die Inflation hat stattgefunden und die neuen Ergebnisse werden uns dabei helfen, genau zu verstehen, wie sie stattgefunden hat. Wir sind wieder einen Schritt weiter an den Ursprung des Kosmos herangerückt.
Nachtrag: Ich habe mir die Sache mit der Inflation noch mal genauer angesehen und einen zweiten Artikel zum Thema geschrieben, in dem ich auch erklären, was die neue Entdeckung mit dem Multiversum, der Quantengravitation und der Hawking-Strahlung zu tun hat: “Ein Blick zurück auf den Anfang der Zeit: Die kosmische Inflation, Quantengravitation und das Multiversum”
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