“Der Weltraum, ist groß, verdammt groß, du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie groß, gigantisch, wahnsinnig riesenhaft der Weltraum ist. Du glaubst vielleicht, die Straße runter bis zur Drogerie ist eine ganz schöne Ecke, aber das ist einfach ein Klacks verglichen mit mit dem Weltraum.”
So lautet bekanntlich die Einleitung des Reiseführers “Per Anhalter durch die Galaxis”. Und diese Einleitung ist absolut korrekt. Das Universum IST verdammt groß und wir können uns diese Distanzen nicht vorstellen. Das Universum ist auch verdammt alt und das können wir uns ebenfalls nicht vorstellen. Wir wollen es uns aber gerne vorstellen, denn wir wollen Bescheid darüber wissen, was im Universum passiert und wie es sich entwickelt hat. Mit reiner Beobachtung ist es da aber nicht getan, denn wir können nicht die vielen Milliarden Jahre abwarten, innerhalb derer sich die diversen kosmologischen Prozesse abspielen. Aber das ist auch nicht nötig. Denn wir können uns ein künstliches Universum basteln und seine Entwicklung im Computer simulieren. Da dauert es dann vom Urknall bis zur Gegenwart nur noch ein paar Minuten und wir können in Ruhe alles erforschen was uns interessiert. Natürlich nur, wenn das simulierte Universum möglichst detailgetreu ist. Und was das angeht, haben Astronomen aus den USA, Deutschland und Großbritannien kürzlich einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht.
Computersimulationen an sich sind natürlich keine große Neuigkeit sondern Standard in vielen wissenschaftlichen und technischen Bereichen. Aber besonders in der Astronomie sind sie von fundamentaler Bedeutung. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen gibt es für die Astronomen keine Möglichkeit, ihre Studienobjekte direkt zu untersuchen und dazu kommt noch das Problem der langen Zeiträume. Man kann die Galaxien, Sterne und Planeten nicht aus unmittelbarer Nähe untersuchen und man kann ihnen nicht mal vernünftig dabei zusehen, wenn sie das machen, was sie machen. Will man wissen, wie Planeten entstehen, muss man ihnen Millionen Jahre lang zusehen. Will man wissen, wie sich ein Stern entwickelt, muss man ihn ein paar Milliarden Jahre lang beobachten. Und so weiter. Das ist in der Praxis natürlich unmöglich, also simuliert man diese Vorgänge im Computer.
In einigen Bereichen läuft das schon richtig gut. Wenn es zum Beispiel um die Bewegung der Himmelskörper geht, dann ist unser Wissen um die zugrunde liegenden Naturgesetze so gut, dass unsere Computersimulationen enorm genau sind. Wir können die Bewegung von Sonne, Erde und Mond so exakt vorhersagen um Sonnen- oder Mondfinsternisse mit hoher Genauigkeit zu prognostizieren. Wir wissen schon Jahre vorher wo genau sich im All ein Planet oder ein Asteroid befindet und können Raumsonden dort punktgenau landen lassen. Und es ist sogar vergleichsweise simpel, entsprechende Computermodell zur Simulation der Bewegung von Planeten zu schreiben bzw. zu benutzen (ich habe so ein Programm früher schon mal vorgestellt). Aber in anderen Bereichen wird es schon ein wenig schwieriger. Es ist immer noch ein absolut nicht-triviales Problem, die Vorgänge im Inneren eines Sterns am Computer zu simulieren. Es gibt natürlich jede Menge Forschung auf diesem Gebiet und die Leute die sich mit der numerischen Astrophysik beschäftigen haben teilweise enorm ausgeklügelte Programme geschrieben. Aber am Ende kann der Computer natürlich nur das simulieren, was wir ihm auftragen und so lange wir nicht ausreichend gut über die einzelnen Prozesse im Inneren der Sterne Bescheid wissen können wir dem Computer auch nicht sagen, was er simulieren soll.
Bei der Simulation des gesamten Universums kommt dann auch noch der immense technische Aufwand dazu. Ein paar Planeten im Computer um ihren Stern laufen zu lassen, ist heutzutage kein Problem mehr. Aber ein Kosmos voller Sterne, Galaxien, Gas, dunkler Materie, dunkler Energie, usw über die gesamte Lebensdauer des Universums zu simulieren, braucht schon ordentlich Computerpower. Zum Beispiel 8192 Prozessoren die 19 Millionen CPU-Stunden lang rechnen (was ungefähr 2000 Jahren Rechenzeit auf einem einzelnen Computer entspricht). So viel war nötig, um das Illustris-Projekt umzusetzen.
Die Ergebnisse dieser umfassenden kosmologischen Simulation sind nun kürzlich veröffentlicht worden (“Properties of galaxies reproduced by a hydrodynamic simulation”). Und wenn man das gesamte Universum simulieren will, dann ist das nicht mehr ganz so einfach. Da reicht es nicht, einfach einen Haufen Sterne in den Computer zu schmeißen und ihre wechselseitige Gravitation und die daraus resultierende Bewegung zu berücksichtigen. Im All gibt es ja noch viel mehr als nur Sterne. Da ist zum Beispiel jede Menge Gas, aus dem neue Sterne entstehen können und Sterne leben auch nicht ewig. Man muss also schon mal ein paar grundlegende Prozesse der Sternentwicklung inkludieren und die Interaktion mit dem Gas berücksichtigen. Wenn ein Stern am Ende seines Lebens explodiert schleudert er ja auch wieder neues Gas ins All hinaus und mit simpler Gravitation ist es dann nicht mehr getan. Man muss dann auch die Hydrodynamik bei der Bewegung des Gases berücksichtigen. Und Galaxien sind ja auch nicht einfach nur Haufen aus Sternen sondern komplexe Objekte in denen noch viel mehr abgeht – zum Beispiel die Interaktion zwischen den zentralen schwarzen Löchern und der galaktischen Umgebung. Und selbst wenn man das alles in einem Computerprogramm unter einen Hut bekommt, fehlt noch die dunkle Materie die ja überhaupt erst dafür verantwortlich ist, dass sich die ursprüngliche Materie zu Strukturen wie Sternen und Galaxien zusammenklumpen kann und die dunkle Energie, die die Expansion des Alls beeinflusst.
Es ist also ein ziemlicher Aufwand, so eine kosmologische Simulation zu erstellen. Trotzdem hat man es immer wieder probiert. Schon lange bevor die Leute vom Illustris-Projekt ihre Ergebnisse veröffentlicht haben, gab es zum Beispiel die Millenium-Simulation unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching. Damals hat man im wesentlichen simuliert wie sich die dunkle Materie im Laufe der 14 Milliarden Jahre seit dem Urknall entwickelt hat und konnte zeigen, dass die kleinen Variationen in der Dichteverteilung der Materie die von Anfang an vorhanden waren sich im Laufe der Zeit tatsächlich zu der großräumigen Struktur entwickeln können, die wir beobachten. Aber rein technisch war man damals nicht in der Lage, auch die normale Materie zu berücksichtigen oder die Auflösung der Simulation so sehr zu erhöhen, dass man auch einzelne Galaxien (oder gar Sterne) erkennen kann.
Im Illustris-Projekt hat aber genau das funktioniert. Man hat neben der dunklen Materie auch normales Gas, Sterne, supermassereiche schwarze Löcher und die jeweiligen Interaktionen simuliert. Nicht für das gesamte Universum, aber immerhin für einen Würfel mit einer Kantenlänge von 350 Millionen Lichtjahren. Die Auflösung der Simulation beträgt knapp 160 Lichtjahre und das ist gut genug, um auch individuelle Galaxien sehen zu können. Man hat die Entwicklung des Universums für 13 Milliarden Jahre verfolgt, also fast während seiner gesamten Lebensdauer. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die über 41000 Galaxien der Simulation zeigen tatsächlich die gleiche Vielfalt wie die Galaxien die wir im echten Universum beobachten. Es gibt Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße und große elliptische Galaxien – früheren Simulationen gelang es nicht, diese unterschiedlichen Formen zu reproduzieren. So sehen ein paar der Galaxien von Illustris aus:
Man kann auch direkt vergleichen, wie das “Illustris-Universum” neben dem echten Universum aussieht. Dazu haben die Wissenschaftler ein Bild aus der Simulation erstellt, dass dem Blick auf das Hubble Ultra Deep Field entspricht. Links ist die Simulation, rechts die reale Beobachtung:
Damit man so eine gute Übereinstimmung bekommen kann, muss natürlich auch die Ausgangslage stimmen. Man muss vor allem die ursprüngliche Menge und Verteilung der dunklen Materie im Universum gut kennen. Es wird ja oft behauptet, die dunkle Materie sei nur reine Fiktion; von den Astronomen nur “ausgedacht” oder “erfunden”. Dass das nicht so ist, habe ich ja schon in meiner Serie über dunkle Materie erklärt. Aber Simulationen wie Illustris zeigen das noch einmal sehr deutlich. Würde man die dunkle Materie nicht inkludieren und würde man nicht eine ganz bestimmte Menge an dunkler Materie inkludieren, dann würde man am Ende nicht ein Universum bekommen, dass dem realen Universum ähnlich ist. Und die richtige Menge an dunkler Materie ist in diesem Fall die Menge, die man auch aus anderen kosmologischen Beobachtungen ableiten kann.
Illustris hat aber nicht nur die Entstehung von Galaxien beobachtet, sondern auch noch viele andere Eigenschaften. Zum Beispiel die Temperatur des Gases im Universum oder die Metallizität, also die Menge an schweren Elementen. Die Metallizität ist durch Beobachtungen und diverse kosmologische Berechnungen vorgegeben und eine vernünftige Simulation darf nicht zu sehr von den Beobachtungen abweichen. Dieses Bild zeigt einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Illustris-Universum. Oben ist die Gegenwart; unten die Vergangenheit – ganz links ist die Verteilung der dunklen Materie zu sehen, daneben die Dichte des Gases, dann folgt die Temperatur des Gases und ganz rechts seine Metallizität:
Die Ergebnisse der Simulation stimmen auf vielen Ebenen mit den Beobachtungen überein. Die Zahl der Sterne in den Galaxien entspricht den Beobachtungen, genau so wie das Verhältnis zwischen sichtbarer und dunkler Materie. Und auch die Verteilung des Gases in und um die Galaxien sieht im Illustris-Universum so aus wie auch im echten Universum. Das schöne an einer guten Simulation ist aber nicht nur, dass man damit das nachvollziehen kann, was man schon beobachtet hat. Man kann sie auch benutzen, um neue Prozesse und Beobachtungen vorherzusagen und Dinge zu erforschen, die man in der Realität noch nicht beobachten kann. Genau das ist auch der eigentliche Zweck von Illustris. Man kann nun Vorhersagen über die Entwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen machen und probieren das Problem der Satellitengalaxien zu lösen (die Zahl der theoretisch vorhandenen kleinen Satellitengalaxien in großen Haufen stimmt nicht mit den Beobachtungen überein), kann nachsehen welchen Einfluss die dunkle Materie tatsächlich auf die sichtbare Materie hat und vieles mehr. Man kann mit Illustris sogar “Fake”-Beobachtungen machen, also zum Beispiel simulieren, was das Hubble-Weltraumteleskop sehen würde, wenn es ein bestimmtes Phänomen oder Objekt beobachtet und das dann mit den echten Beobachtungen vergleichen bzw. abschätzen, ob sich Beobachtungskampagnen mit bestimmten Instrumenten überhaupt lohnen.
Illustris ist eine beeindruckende Simulation und es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis man alles untersucht hat, was es in diesem künstlichen Universum zu entdecken gibt. Und wenn die Computer weiter so schnell besser werden, wie sie es bisher getan haben, dann werden wir sicherlich bald noch genauere und umfangreichere kosmologische Simulationen betrachten können. Bis dahin gibt es aber in der Welt von Illustris noch genug zu sehen:
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