Bevor der Sommer endgültig aufhört, sommerlich zu sein, muss ich noch meine Buchempfehlungen für den Sommerurlaub vervollständigen. Ich habe ja im Juni schon ein paar originelle Science-Fiction-Bücher vorgestellt. Aber wer nicht nur über fiktive Wissenschaft lesen will, sondern sich auch über die echte Forschung informieren möchte, wird hoffentlich in diesem Teil der Bücherrunde fündig. Denn diesmal geht es um Sachbücher!
Vor 2 Jahren (und 6 Tagen) wurde die langerwartete Entdeckung des Higgs-Teilchens bekannt gegeben. Letztes Jahr wurde diese Leistung mit einem Nobelpreis gewürdigt. Und mittlerweile ist genug Zeit vergangen, um die Geschichte und die Wissenschaft um dieses berühmte Teilchen auch in Buchform aufschreiben zu können. Ich habe zwei “Higgs-Bücher” für euch ausgesucht:
Das erste trägt den schönen Titel “The Particle at the End of the Universe: How the Hunt for the Higgs Boson Leads Us to the Edge of a New World”* und stammt vom Physiker Sean Carroll, den manchen vielleicht auch als Wissenschaftsblogger kennen. Sein Buch ist zwar schon 2012 erschienen, aber meiner Meinung nach trotzdem eines der besten Bücher, wenn es um Teilchenphysik und das Higgs-Teilchen geht. Es ist genau die Art von Buch, in dem man über ein Thema lesen kann, das man eigentlich verstanden zu haben glaubt und dann plötzlich bemerkt: Ah! SO ist das also – jetzt habe ich das erst wirklich kapiert…
Carrolls Buch bietet einen absolut verständlichen Überblick über die moderne Teilchenphysik und selbst wenn man schon einige Bücher dieser Art gelesen hat, wird man sich hier trotzdem nicht langweilen! Man findet dort die – meiner Meinung nach – beste und verständlichste Erklärung des Higgs-Mechanismus, die aber trotzdem weit von den üblichen medialen Vereinfachungen entfernt ist. Carroll schreibt verständlich ohne dabei auf relevante Details zu verzichten. Man lernt bei der Lektüre nicht nur, wie die Teilchenphysiker derzeit die Welt beschreiben und wie sie auf die Idee gekommen sind, dass so etwas wie ein Higgs-Teilchen existieren muss. Man lernt nicht nur, warum Teilchenbeschleuniger nötig sind und wie sie funktionieren. Man lernt auch grundlegende Prinzipien wie die Symmetriebrechung verstehen und bekommt einen Insider-Blick in die Welt der beteiligten Wissenschaftler. Carroll schreibt nicht nur über die Physik sondern auch das ganze drumherum: die ganze Wissenschaftspolitik und den medialen Rummel der die Higgs-Forschung begleitet und verhindert hat und über das Leben der beteiligten Wissenschaftler. Ich habe das Buch mehr oder weniger in einem Rutsch durchgelesen und kann es als Urlaubslektüre absolut empfehlen. Der einzige Kritikpunkt (der aber nicht Carroll anzulasten ist): Bis jetzt hat noch kein deutscher Verlag dieses hervorragende Buch übersetzt und es ist nur in englisch erhältlich.
Auf deutsch dagegen ist das Buch “Vom Gottesteilchen zur Weltformel: Urknall, Higgs, Antimaterie und die rätselhafte Schattenwelt”* von Rüdiger Vaas erschienen. Thematisch umfasst es die gleichen Gebiete wie auch das Buch von Carroll. Es gibt eine Einführung in die moderne Teilchenphysik, die Geschichte des Higgs-Mechanismus wird erzählt und die Arbeit am Teilchenbeschleuniger LHC wird beschrieben. Vaas geht aber ein bisschen mehr in die Tiefe – und Breite, und schreibt auch über die Forschung mit Antimaterie und dunkler Materie oder die Stringtheorie und die Suche nach einer vereinheitlichten Theorie der Quantengravitation. Der dicke Band nimmt im Urlaubsgepäck vielleicht ein bisschen mehr Platz weg als das Buch von Carroll, das auch in einer Taschenbuchausgabe erhältlich ist. Aber ihr könnt ja beide lesen! Zuerst im Urlaub das Buch von Carroll um einen unterhaltsamen und verständlichen Überblick zum Thema zu bekommen und danach noch das Buch von Vaas, dass mit seinen vielen Exkursen alles noch einmal vertieft und detailliert beschreibt.
So absolut gar nichts mit Teilchenphysik hat das Buch “The Humor Code: A Global Search for What Makes Things Funny”* zu tun. Geschrieben haben es der Psychologe Peter McGraw und der Journalist Joel Warner. McGraw erforscht an der Universität Colorado in Boulder eigentlich menschliche Entscheidungsprozesse und Emotionen, hat sich aber auch auf die Wissenschaft des Humors spezialisiert. Was finden Menschen lustig und warum? Gibt es einen “Humor-Code”, mit dem man einen “perfekten” Witz kreieren kann? McGraw hat das Humor Research Laboratory (HuRL) gegründet, wo genau solche Fragen untersucht werden. Da wird dann auch schon mal ein Sketch experimentell getestet um herauszufinden, ob eine Anekdote lustiger ist, wenn darin E.T. vorkommt oder Yoda – oder ob es noch lustiger wäre, einfach nur von einem nicht näher spezifizierten Außerirdischen zu reden. McGraw und seine Mitarbeiter untersuchen, unter welchen Umständen Menschen YouTube-Videos lustig finden oder nicht und haben die Benign Violation Theorie zur Erklärung des menschlichen Humors entwickelt, die im Buch auch ausführlich vorgestellt wird. Das Buch ist aber keine Abhandlung über McGraws Arbeit, sondern beschreibt die Reise, die er gemeinsam mit Warner gemacht hat. In Los Angeles habe sie professionelle Stand-Up-Komiker besucht und in New York mit den Cartoonisten des “New Yorker”-Magazins gesprochen. Sie waren in Afrika um die Tanganjika-Lachepidemie zu untersuchen (ja, so etwas gab es tatsächlich und es war bei weiten nicht so lustig wie es sich anhört) und in Japan, um herauszufinden ob und wie sich Humor kulturell “übersetzen” lässt. In Dänemark haben sie die Zeichner der Mohammed-Karikaturen getroffen und die negativen Folgen von Humor diskutiert und in Palästina diese “dunkle” Seite weiter untersucht um zu sehen, ob man auch lachen kann, wenn es eigentlich gar nichts zu lachen gibt. In Südamerika haben sie “Lachdoktor” Patch Adams begleitet um zu verstehen, ob Lachen auch Medizin sein kann.
Das Buch ist absolut hervorragend, enorm interessant, extrem spannend geschrieben und wenn es auch kein “lustiges” Buch an sich ist, ist es doch enorm faszinierend zu sehen, wie unverstanden so etwas fundamentales wie der menschliche Humor immer noch ist und was man trotz allem schon darüber herausgefunden hat. Ich kann “The Humor Code” nur absolut empfehlen!
Das Buch “One Summer: America 1927”* (auf deutsch im Oktober als “Sommer 1927”* erhältlich) von Bill Bryson hat natürlich den passenden Titel für den Sommerurlaub. Man kann es aber auch zu jeder andern Zeit lesen. Bryson ist ja glücklicherweise durch seine erfolgreichen früheren Werke mittlerweile berühmt genug, um es sich leisten zu können, so ein obskures Buch wie “One Summer” zu schreiben. Es geht darin um das, was zwischen Mai und September 1927 in den USA passiert ist. Um den berühmten Atlantik-Flug von Charles Lindbergh, die 60 Home Runs des Baseball-Spielers Babe Ruth, den Präsidenten Calvin Coolidge und die angeblichen Anarchisten Sacco und Vanzetti. Und jede Menge andere Leute und Ereignisse die eigentlich nicht wirklich etwas miteinander zu tun haben. Aber Bryson hat daraus trotzdem ein äußerst unterhaltsames Buch gemacht, das sich ideal als Urlaubslektüre eignet. Man kann sich von Thema zu Thema treiben lassen, sich über die seltsame Dinge wundern, die da in Amerika passiert sind und lernt ganz nebenbei viel über die 1920er Jahre. Es ist ein sehr seltsames Buch, aber man bekommt genau das, was auf den Titel steht: Die Geschichte des Sommers 1927 in Amerika. Lest sie, es lohnt sich!
Und wenn wir schon bei seltsamen Geschichten sind, dann habe ich zum Abschluss noch ein bisschen historische Astronomie für euch. Ich persönlich interessiere mich ja nicht nur für die astronomische Forschung an sich, sondern auch für die Menschen die sie betrieben haben und die teilweise sehr absurden Anekdoten, die es da zu erzählen gibt. Einige davon kann man im Buch “The Haunted Observatory: Curiosities from the Astronomer’s Cabinet”* von Richard Baum nachlesen. Zum Beispiel die Geschichte des Astronomen William Lassell, der im 19. Jahrhundert meinte, beim neu entdeckten Planeten Neptun Ringe gesehen zu haben. Eine Entdeckung, die zuerst von vielen bestätigt wurde, sich dann als Unsinn herausstellte, bevor schließlich die modernen Raumsonden die Existenz von Neptuns Ringen einwandfrei belegten – aber auch zeigten, dass diese Ringe unmöglich mit den damaligen Teleskopen gesehen werden konnten. Baum erzählt Geschichten über neu entdeckte Planeten, die wieder verschwanden, über Berge auf der Venus die es nicht gab und über “Lichtflocken”. Das Buch ist teilweise ein wenig technisch, weil es oft sehr ins Detail geht, wenn über Beobachtungsdaten gesprochen wird. Aber wer ein klein wenig Ahnung von Astronomie hat und an historischen Anekdoten interessiert ist, wird damit jede Menge Spaß haben!
Das gilt auch für das Buch “The Astronomical Scrapbook: Skywatchers, Pioneers, and Seekers in Astronomy”* von Joseph Ashbrook, das aber leider nur noch antiquarisch oder sehr teuer* zu kriegen ist. Darin sind Ashbrooks Kolumnen aus der Zeitschrift “Sky & Telescope” gesammelt, insgesamt 83 unterhaltsame Geschichten aus der Geschichte der Astronomie. Da geht es um Tycho Brahes goldene Nase, Astronomie in Grönland, die Sternwarte des Königs von Amerika, die teleskopbauende Clark-Familie, den nicht existierenden Mond der Venus und jede Menge andere Themen. Auch das ist ein ideales Urlaubsbuch mit schönen kleinen Geschichten, die man zwischendurch lesen und sich gleichzeitig unterhalten und informieren lassen. Es ist äußerst schade, dass das Buch so schwer erhältlich ist. Ich gebe mein Exemplar jedenfalls nicht her! Ich nehme es mit in den Urlaub!
Kommentare (4)