Zweimal habe ich euch schon gute Bücher für den Sommerurlaub empfohlen. Zuerst jede Menge gute Science-Fiction und danach ein paar spannende Sachbücher. Zum Abschluss kommen aber noch meine beiden absoluten Favoriten: Ein Sachbuch über die Entstehung der modernen Naturwissenschaft und eine Science-Fiction-Trilogie, wie ich sie bis jetzt noch nicht erlebt habe!
Isaac Newton gehört wahrscheinlich zu den Wissenschaftlern, über die am meisten Bücher geschrieben worden sind. Das ist kein Wunder, denn er hat die moderne Naturwissenschaft fast im Alleingang begründet. Aber eben nur fast. Es waren dann doch noch ein paar andere Leute beteiligt und ohne sie wäre Newton wohl heute nicht so berühmt, wie er es ist. Denn Isaac Newton war ein äußerst seltsamer Mensch und lebte während einer sehr interessanten Zeit.
Das Buch “The Clockwork Universe: Isaac Newton, the Royal Society, and the Birth of the Modern World”* von Edward Dolnick beschreibt diesen Mensch und diese Zeit (und leider gibt es keine deutsche Ausgabe davon). Newton spielt darin eine prominente Rolle, aber auch seine Vorgänger und Zeitgenossen. Die Arbeiten von Kopernikus und Galileo; von Hooke, Boyle und Leibnitz und all den anderen heute berühmten Forschern der damaligen Zeit werden im Buch ebenso erläutert wie die politischen, historischen und alltäglichen Umstände der damaligen Zeit. Wer sich für die Naturwissenschaft und ihre Geschichte interessiert, könnte jetzt vielleicht auf die Idee kommen, das Buch könne langweilig sein. Immerhin sind die Entdeckungen von Kopernikus, Galileo und Newton ja Klassiker und schon oft genug beschrieben worden. Aber täuscht euch nicht: Das Buch ist großartig!
Es ist – meiner Meinung nach – das Zeichen eines wirklich guten Buchs, wenn es in der Lage ist, ein Thema packend und spannend zu erklären, obwohl man eigentlich denkt, man wüsste darüber schon ausreichend Bescheid. Und “The Clockwork Universe” ist genau so ein Buch. Dolnick schafft es, die Geschichte der Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert so mit der Geschichte der damaligen Welt zu verknüpfen und die Geschichten der Naturwissenschaftler so miteinander zu verweben, dass es niemals langweilig wird. Und selbst wenn er Themen beschreibt, über die man eigentlich wirklich schon Bescheid weiß – wie zum Beispiel die Grundlagen der Differentialrechnung – dann ist das nicht nur nicht langweilig, sondern man trifft dabei auch immer wieder auf Details, die man nicht kannte.
Es muss auch niemand Angst haben, dass das Buch zu kompliziert ist, um als erholsame Sommerlektüre zu dienen. Dolnick beschreibt zwar die wissenschaftlichen Theorien der damaligen Zeit sehr ausführlich, aber auch immer sehr verständlich, so dass man auch versteht worum es geht, wenn man kein Vorwissen hat. Und er schafft es, die Protagonisten nur nicht nur biografisch zu beschreiben, sondern regelrecht lebendig zu machen. Man versteht, was für ein seltsames Genie Newton tatsächlich war und was für ein unwahrscheinlicher Zufall, dass seine Arbeiten den Einfluss entfalten konnten, den sie entfaltet haben. Man bekommt Mitleid mit Leibnitz und all den anderen, die dem störrischen Physiker im Laufe seines Lebens in die Quere gekommen sind. Man ist einerseits verwundert, welchen komischen und aus heutiger Sicht absurden Ansichten die Wissenschaftler der damaligen Zeit hatten, hat andererseits aber auch Respekt vor ihrem Mut, sich von den alten Vorstellungen zu lösen und eine Form des Nachdenkens über die Welt zu schaffen.
Es ist ein großartiges Buch. Lest es!
Und falls ihr doch lieber Lust auf einen Roman habt, dann müsst ihr die “Southern Reach Trilogie” von Jeff Vandermeer lesen! Sie besteht aus den drei Bänden “Annihilation”*, “Authority”* und “Acceptance”* von denen die ersten beiden schon erschienen sind und der dritte im September folgt. Auf Deutsch heißen sie “Auslöschung”*, “Autorität”* und “Akzeptanz”* und ihr müsst noch bis September warten, bevor der erste Band erscheint. Aber es lohnt sich auf jeden Fall. Die Bücher gehören zu den besten, die ich in letzter Zeit gelesen habe!
Es fällt mir allerdings schwer, die Bücher zu schreiben. Die Handlung scheint im Amerika der Gegenwart zu spielen. Vor 30 Jahren hat sich aus ungeklärten Gründen ein ganzer Landstrich auf mysteriöse Weise verändert. Eine “Grenze” entstand, die nur an einer Stelle überquert werden kann und dahinter ist alles irgendwie anders. Und irgendwie fremd. Aber was genau diese “Area X” so seltsam macht und wie sie überhaupt entstanden ist, kann niemand sagen. Das “Southern Reach”, eine Art Geheimorganisation die die Region nach außen hin abschirmt und erforscht, schickt immer wieder Expeditionen hinter die Grenze. Viele davon kommen nicht zurück. Manche schon und sind danach auf ebenso seltsame wie unfassbare Weise verändert. Der erste Band der Trilogie beschreibt die Erlebnisse einer dieser Expeditionen. Die Welt von Area X sieht auf den ersten Blick ganz harmlos aus. Bäume, Pflanzen, Tiere, Wildnis, verlassene Dörfer. Und ein Turm, der eigentlich ein Tunnel ist. Mysteriöse Schreie in der Nacht. Ein Leuchtturm der Dinge enthält die eigentlich gar nicht sein dürften und Menschen die verschwinden, sterben und wieder auftauchen.
Die Geschichte balanciert immer an der Grenze zwischen Science-Fiction und Fantasy, ohne dabei das eine oder das andere zu sein. Wenn in Area X plötzlich irgendwelche mystischen Fabelwesen auftauchen würden, erschiene einem das genau so plausibel wie eine unerwartete Invasion von Aliens. Aber weder das eine noch das andere passiert und es gibt eigentlich keine klassischen Science-Fiction (oder Fantasy) Elemente, wenn man von der Existenz der Area X einmal absieht. Was das Buch aber so großartig macht, ist die Stimmung die es vermittelt. Es passiert (zumindest mir) ganz selten, dass sich die Grundstimmung eines Buch so sehr aufdrängt, wie hier. Bei anderen Büchern fiebert man mit den Protagonisten durchaus mit, aber da geht es vor allem um die Spannung zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Man hat nicht selbst Todesangst, wenn die Hauptfigur auf Leben und Tod kämpft. Man erlebt das Leben der Protagonisten, aber man lebt es nicht selbst. Aber “Annihilation” konfrontiert einen ganz direkt mit der unangenehm-unwirklichen Stimmung von Area X und selbst wenn im Buch gerade keine dramatische Handlung stattfindet, fühlt man sich ständig selbst ein wenig unwohl und es laufen einem Schauer über den Rücken. Man will unbedingt wissen, was verdammt noch mal in dieser Welt vorgeht und warum das alles so vage unangenehm und unwirklich ist. Aber man weiß auch, dass man es nicht erfahren wird, zumindest jetzt noch nicht. Ich kann es wirklich nicht besser erklären – aber es ist ein sehr beeindruckendes Buch.
Das zeigt auch die Fortsetzung. “Annihilation” endet auf eine Weise, die durchaus als globales Ende geeignet wäre. Man könnte durchaus nach Band 1 aufhören zu lesen. Aber das macht man natürlich nicht, weil das Ende auch ein wunderbarer Cliffhanger ist und man zu wissen meint, was einen in Band 2 erwartet. Tja – meint man. Tatsächlich ist “Authority” ein völlig anderes Buch. Diesmal ist die Hauptfigur der Direktor von Southern Reach, der – neu auf seinem Posten – probiert, irgendeinen Sinn in dem ganzen Vorhaben zu finden und zu verstehen, was mit den Expeditionen passiert, die auf die Reise geschickt werden. Auch wenn die Handlung diesmal in der “normalen” Welt spielt, ist das Buch doch um nichts seltsamer oder unwirklicher als “Annihilation”. Das Fremde von Area X scheint irgendwie in die Außenwelt vorgedrungen zu sein. Oder zumindest fühlt es sich beim Lesen so an, auch wenn die Handlung (vorerst) nichts dergleichen nahe legt.
Ich bin schon enorm gespannt auf den dritten Teil und darauf, ob diese Geschichte noch eine klassische Auflösung erfährt. Es ist ein hervorragendes Buch und ein herausragendes Buch. Und es muss auch niemand Angst davor haben, sein Urlaubsgepäck mit einer dicken Trilogie zu belasten. Teil 3 fehlt ja sowieso noch und die beiden ersten Bände sind recht dünn und zumindest in der englischen Version nur knapp über 300 Seiten lang. Lest die Bücher!
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