Wer sich bisher, so wie ich, Maxwell immer als Mathematiker vorgestellt hat, wird auch überrascht sein, wie viel Wert er auf Experimente legte und wie viel experimentelle Arbeit er selbst geleistet hat. Und auch seine Arbeitsfelder waren vielfältiger als ich dachte. Klar, ich kannte natürlich die “Maxwell-Boltzmann-Verteilung”, die beschreibt, wie sich die Geschwindigkeiten von Teilchen in einem Gas verteilen. Aber mir war nicht klar, wie fundamental diese Leistung von Maxwell damals war. Die Verteilung die Maxwell damals für die Geschwindigkeiten der Gasmoleküle fand, war das erste statistische Gesetz in der Physik und eröffnete völlig neue Arbeitsfelder. Es war der Beginn der statistischen Mechanik, einem Verständnis der Thermodynamik, usw. Selbst wenn Maxwell sonst nichts anderes geleistet hätte, wäre das genug gewesen, um sich seiner als bedeutenden Physikers zu erinnern.
Ich wusste auch nicht, wie intensiv sich Maxwell mit der Wahrnehmung von Farben beschäftigt hatte. Während seines ganzen Arbeitslebens führte er Experimente durch, um herauszufinden, wie Farben zusammengemischt werden müssen, um den Eindruck anderer Farben zu erzeugen; er entwickelte eine mathematische Notation mit der man jede Farbe durch ihren Rot/Grün/Blau-Anteil exakt definieren konnte die zum Vorläufer für das heute benutzte CIE-Normvalenzsystem wurde; er untersuchte Farbenblindheit und er erstellte das erste dauerhafte Farbfoto.
Maxwell schrieb eine maßgebliche mathematische Arbeit, in der er erstmals zeigte, dass die Ringe des Saturn nur aus einzelnen Teilchen bestehen konnte und keine andere Konfiguration (zum Beispiel ein fester oder flüssiger Ring) möglich war. Für diese Arbeit bekam er einen Preis der Universität Cambridge und der königliche Astronom George Airy sagte darüber: “It is one of the most remarkable applications of mathematics to physics that I have ever seen.” (Und ich werde darüber irgendwann definitiv nochmal mehr schreiben!).
Maxwell erfand in einem Gedankenexperiment den Maxwellschen Dämon, der den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in Frage zu stellen schien und noch mehr als 100 Jahre später die Physiker beschäftigt und inspiriert.
Aber natürlich war seine Arbeit auf dem Gebiet des Elektromagnetismus der Höhepunkt seiner Karriere. Das Konzept des “Elektromagnetismus” existiert überhaupt nur, weil Maxwell die beiden Phänomene Elektrizität und Magnetismus als fundamental zusammengehörig erkannte. Die Biografie von Mahon erklärt sehr anschaulich (und verständlich), wie Maxwell sich langsam an diese Erkenntnis herangetastet hat. Zwischen 1855 und 1865 erschienen drei Arbeiten, die sich mit Elektrizität und Magnetismus beschäftigten. Natürlich waren beide in der Mitte des 19. Jahrhunderts schon durchaus experimentell gut erforscht, aber noch nicht wirklich verstanden. Da war zum Beispiel das Konzept von Michael Faraday, der sich das Konzept der “Feldlinien” ausgedacht hatte, aber mangels mathematischer Fähigkeiten nicht in der Lage war, es auch wissenschaftlich gründlich zu untermauern. Maxwell hat sich der Sache angenommen und überlegt, ob es irgendein analoges System geben könnte, dessen Mathematik zur Beschreibung der Feldlinien dienlich wäre. In seiner ersten Arbeit beschrieb Maxwell nur den Fall von statistischen elektrischen Feldern und fand heraus, dass er die Gleichungen nutzen konnte, die eine Flüssigkeit beschreiben, die sich durch dünne Röhren bewegt. Auch für den Fall von dynamischen Felder dachte er sich so ein mechanische Analogie aus; jetzt aber wesentlich komplexer. Es bestand aus rotierenden Zellen, dünnen Röhrchen und Zahnräder und natürlich war Maxwell klar, dass Strom und Magnetismus in der Realität nicht auf diese Weise funktionierten. Aber sein Modell lieferte ihm Gleichungen, mit denen er die bei den Experimenten beobachteten Phänomene beschreiben konnte und darauf kam es an!
Erst in seiner letzten Arbeit warf er die Analogien aus dem Fenster und konzentrierte sich auf die reine Mathematik. Zuerst aber vereinheitlichte er mit seinen Kollegen das komplette System der physikalischen Einheiten, mit denen Elektrizität und Magnetismus beschrieben wurden (daraus entstand das CGS-Einheitensystem und auch die Technik der Dimensionsanalyse geht darauf zurück). Und als Maxwell dann noch ein paar neue mathematischen Techniken lernte, war er bereit, seine vier berühmten Gleichungen aufzustellen. Sie gelten nicht umsonst nicht nur als wissenschaftlich fundamental, sondern auch ästhetisch schön. Auch ohne zu wissen, was sie aussagen, kann man ihre Eleganz erkennen. Es gibt verschiedene Arten, sie aufzuschreiben, aber mir gefällt diese Variante (die Formulierung der Gleichungen im Vakuum) am besten:
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