Ich hab mich schon viel zu oft nicht mehr aufgeregt! In meinen letzten Buchrezensionen habe ich fast ausschließlich Bücher vorgestellt, die ich gut fand und die ich deswegen auch gelobt und empfohlen habe. Aber das kann so ja natürlich nicht weiter gehen! Zum Glück habe ich im August neben einigen sehr schönen und interessanten Bücher auch eines gelesen, über das ich so richtig schön schimpfen kann…
Die perfekte Lesemaschine
Roland Reuß ist Literaturwissenschaftler und mag Bücher. Das ist prinzipiell ja noch nicht verwerflich; ganz im Gegenteil. Aber letztes Jahr hat er ein Buch mit dem Titel “Die perfekte Lesemaschine”: Zur Ergonomie des Buches” geschrieben. Darin erzählt er, was für ein fantastisch toller Gegenstand so ein Buch ist. Und auch das wäre noch kein Grund, sich aufzuregen. Immerhin besitze ich selbst viele hunderte Bücher, nehme sie gerne in die Hand; freue mich, wenn ich sie lesen kann, wenn ich die Seiten umblättern oder sie in meinen Regalen sortieren kann. Bücher sind ohne Zweifel nicht nur enorm nützliche und funktionale sondern auch sehr emotionale Gegenstände. Sie zu loben ist absolut gerechtfertigt – aber das, was Reuß in seinem Werk tut, ist alles andere als das. Ich habe selten so einen elitären, snobistischen und herablassenden Text gelesen wie “Die perfekte Lesemaschine”.
Kurz lässt sich der Inhalt so zusammenfassen: Früher war alles besser. Das Internet ist böse. Elektronische Texte sind noch viel böser. Bücher dürfen ausschließlich gedruckt gelesen werden. Aber bitte auch nur, wenn sie auf die richtige Art und Weise gedruckt werden. Und jeder, der etwas anderes behauptet, hat nicht nur keine Ahnung, keine Bildung und kein Niveau sondern beteiligt sich auch am Untergang des Abendlandes.
Und nein, das ist jetzt nicht übertrieben. Hier ist ein Zitat aus dem Buch, in dem es darum geht, dass man bei einem elektronischen Text nicht mehr vorab und dauerhaft festlegen kann, wie viele Zeichen in einer Zeile angezeigt werden:
“Wenn aber schon dieser grundlegende Parameter der Schriftapperzeption von einem Gestalter nicht bestimmt werden kann (und an ihm hängt mehr oder weniger die ganze Tradition abendländischen Lesens), läßt sich nur noch zwischen leichterer und schwererer typographischer Ohnmacht unterscheiden.”
Es steht also nicht weniger auf dem Spiel als die “ganze Tradition abendländischen Lesens”. Die natürlich jetzt auch durch meine Rezension gefährdet wird, weil mein Text abhängig vom Wiedergabegerät unterschiedlich angezeigt wird. Dieser Verfall von allem was gut, schön und heilig ist, zeigt sich unter anderem auch an der Verwendung der falschen Apostrophe. Reuß weiß ganz genau, wann man ein ‘ verwenden muss und wann ein ´ oder ein ` bzw. wann ein ” angebracht ist und wann nicht. Aber alle anderen wissen das anscheinend nicht mehr und schuld ist wieder einmal das Internet. Emails sind böse und Twitter ist böse und eine “umfassende theoretische Darstellung des Weltwirtschaftssystems” (fragt mich jetzt nicht warum Reuß gerade dieses Beispiel ausgewählt hat) kann niemals in elektronischer Form geschrieben werden und wenn, dann würde sie niemand verstehen können, weil man nur gedruckte Texte die absolut korrekt typographiert worden sind, vernünftig verstehen kann.
Es mag ja durchaus Gründe geben, warum man bestimmte Texte lieber gedruckt lesen möchte und nicht in elektronischer Form. Aber entsprechend seriöse und seriös vorgebrachte Gründe dieser Art konnte ich im Buch von Reuß nicht entdecken. Da wird nur ohne Ende über das “Netz” geschimpft und dieses Wort taucht immer in Anführungszeichen (und mit Sicherheit habe ich hier wieder die falsche Version verwendet) auf, so als wäre es eine Zumutung, diesen Begriff wie ein normales Wort zu behandeln.
Manche der Gründe für die Ablehnung nicht-gedruckter Bücher lassen sich nur schwer nachvollziehen. Reuß scheint beispielsweise der Meinung zu sein, das nur ein dreidimensionales Buch einen adäquaten Blick auf die Wirklichkeit zulassen würde. Die “Zweidimensionalität” eines Bildschirms sei eine “Verhaltensweise, die der Vernichtung der Welt applaudiert”. Andere Gründe sind schlicht und einfach nur von einem kaum zu ertragenden Snobismus geprägt. Ein Beispiel:
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